Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0173
DOI issue:
5. Heft
DOI article:Clouzot, Henri: Über die gedruckte Leinwand in Frankreich (17. und 18. Jahrhundert)
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Die Arbeit in der Manufaktur. Grau in grau mit Rot von J. B. Huet. 1785
Manufaktur von Oberkampf in Youy
ÜBER DIE GEDRUCKTE LEINWÄND IN
FRANKREICH (17. UND 18. JAHRHUNDERT)
Von HENRI CLOUZOT, Konfervator der Bibliothek Fornejj in Paris
Die Kunft Leinwand zu bedrucken ift aus dem Bedürfnis entftanden, das die Menfchen
jederzeit gehabt haben, einen teueren Artikel durch einen anderen zu erfeßen, der
dem erften ebenbürtig, aber billiger im Preife ift, diefelbe Wirkung hervorbringt und felbft
den kleinen Börfen zugängig ift; ferner auch aus dem Wunfche, den die Künftler jeder-
zeit gefühlt haben, ihre Mühe und Zeit zu fparen, indem fie die Arbeit ihrer eigenen
Hände durch mechanifche und fchnell arbeitende Mittel zu erfeßen fuchten. Aus diefen
beiden angeführten Urfachen entftanden alle die bedruckten Stoffe, die uns das Mittelalter
hinterlaffen hat: Billige Nachbildungen von Gold- und Silberbrokaten für Bekleidungen
und Hauseinrichtungen, Verzierungen von Geweben beftimmt für liturgifche Zwecke
(Meßgewänder, Decken für Chorpulte, Antependien ufw.}, wahre Kunftwerke, in denen
die mittelalterlichen Maler den Pinfel durch gravierte Stempel erfeßten. Aber diefes Druck-
verfahren, in dem man nur Öl- und bisweilen auch Wafferfarben anwenden konnte, blieb
auf die Werkftätte des Malers und des Holzfchneiders befchränkt. Infolge des allgemeinen
Reichtums während des 16. Jahrhunderts ließ man bald diefe fahlen Nachahmungen bei-
feite und erfetjte fie durch reiche feidene Gewebe und durch Gold- und Silberftoffe. Im
folgenden Jahrhundert wurde die Tradition vollftändig gebrochen, als die Sucht, die rei-
zenden Stoffe des Morgenlandes nachzuahmen, die Kattundruckerei, ein wahres Färberei-
verfahren entftehen ließ, während das Mittelalter dagegen nur die Kunft gekannt hatte,
oberflächlich mit der Form („ä la forme“) zu malen.
Im Anfang der Regierung Ludwig XIV. begeifterte fich die Mode für die Gewebe, die
die Schiffe der Compagnie des Indes von der Koromandelküfte und die Karawanen von
den Märkten Ifpahans eingeführt hatten. Die heiteren Farben, die große dekorative Wir-
Der Cicerone, Il.Jahrg., 5. Heft. 11
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Manufaktur von Oberkampf in Youy
ÜBER DIE GEDRUCKTE LEINWÄND IN
FRANKREICH (17. UND 18. JAHRHUNDERT)
Von HENRI CLOUZOT, Konfervator der Bibliothek Fornejj in Paris
Die Kunft Leinwand zu bedrucken ift aus dem Bedürfnis entftanden, das die Menfchen
jederzeit gehabt haben, einen teueren Artikel durch einen anderen zu erfeßen, der
dem erften ebenbürtig, aber billiger im Preife ift, diefelbe Wirkung hervorbringt und felbft
den kleinen Börfen zugängig ift; ferner auch aus dem Wunfche, den die Künftler jeder-
zeit gefühlt haben, ihre Mühe und Zeit zu fparen, indem fie die Arbeit ihrer eigenen
Hände durch mechanifche und fchnell arbeitende Mittel zu erfeßen fuchten. Aus diefen
beiden angeführten Urfachen entftanden alle die bedruckten Stoffe, die uns das Mittelalter
hinterlaffen hat: Billige Nachbildungen von Gold- und Silberbrokaten für Bekleidungen
und Hauseinrichtungen, Verzierungen von Geweben beftimmt für liturgifche Zwecke
(Meßgewänder, Decken für Chorpulte, Antependien ufw.}, wahre Kunftwerke, in denen
die mittelalterlichen Maler den Pinfel durch gravierte Stempel erfeßten. Aber diefes Druck-
verfahren, in dem man nur Öl- und bisweilen auch Wafferfarben anwenden konnte, blieb
auf die Werkftätte des Malers und des Holzfchneiders befchränkt. Infolge des allgemeinen
Reichtums während des 16. Jahrhunderts ließ man bald diefe fahlen Nachahmungen bei-
feite und erfetjte fie durch reiche feidene Gewebe und durch Gold- und Silberftoffe. Im
folgenden Jahrhundert wurde die Tradition vollftändig gebrochen, als die Sucht, die rei-
zenden Stoffe des Morgenlandes nachzuahmen, die Kattundruckerei, ein wahres Färberei-
verfahren entftehen ließ, während das Mittelalter dagegen nur die Kunft gekannt hatte,
oberflächlich mit der Form („ä la forme“) zu malen.
Im Anfang der Regierung Ludwig XIV. begeifterte fich die Mode für die Gewebe, die
die Schiffe der Compagnie des Indes von der Koromandelküfte und die Karawanen von
den Märkten Ifpahans eingeführt hatten. Die heiteren Farben, die große dekorative Wir-
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