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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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5. Heft
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Clouzot, Henri: Über die gedruckte Leinwand in Frankreich (17. und 18. Jahrhundert)
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0174

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ÜBER DIE GEDRUCKTE LEINWAND IN FRANKREICH

kung und der exotifche Stempel diefer leichten Stoffe waren überall äußerft beliebt. Von
1658 an räumte der Poet Loret ihnen einen Plat^ ein in feiner gereimten Gazette (Gazette
rimee) auf dem Jahrmärkte Saint Germain inmittten der Spißen, der feinen Tücher, der
verzierten Kaminfchirme und der anderen Kleinigkeiten, die damals in der Mode waren.
Man überzog die Möbel mit Kattun, man machte aus ihm Morgenröcke. Moliere be-
kleidete damit feinen „Bourgeois gentilhomme“. Jedermann wollte diefen Kattun kaufen,
den man je nach dem Orte der Herkunft „Surats“, „Patnas“, „Calancas“ nannte. Da die
Ware bald rar wurde, fo kamen gefchickte Handwerker auf die Idee, vom Orient einge-
führte weiße Tücher zu färben, und fo war der erfte Schritt zur Induftrie der Nachahmung
der indifchen Kattune getan.

Sie wurden fo ziemlich überall in der Umgebung von den Ankunftshafen eingeführt,
in der Languedoc, in der Provence, im Saintonge, im Poitou, in der Normandie. In allen
diefen Gegenden machten die Hugenotten, die durch die Edikte von der größten Anzahl
der Innungen ausgeftoßen waren, diefe neue Induftrie zu ihrem Monopol. Paris begnügte
fich, den Käufer zu fpielen. Die elegante Welt war in diefe reizenden und leichten Stoffe
wie vernarrt, denn ihr billiger Preis geftattete den Bürgersfrauen und fogar den Töchtern
aus befcheidenen Familien die große Dame nachzuahmen. Zwifchen 1670 und 1680 war die
Vorliebe dafür fo übertrieben, daß die Fabrikanten von Seide, Sammet, Stoffen, Woll-
waren, ebenfo wie die Pofamentiere und Weber fich beunruhigten. Colbert nahm Partei
für fo viele bedrohte Handwerke. Ein Erlaß vom Jahre 1681 unterfagte die Fabrikation
und den Verkauf gefärbter Tücher unter Androhung der ftrengften Strafen.

Der Almanach diefes Jahres machte fich zum Echo diefes fo bedeutenden weltlichen
Ereigniffes. Er brachte ein Bild mit dem Titel „Le Depart de la Mode des Toiles“ auf
dem die „Demoiselle de toile“ (das Kattunfräulein) Tränen vergoß und vergebens ver-
fuchte, fich mit folgenden Worten ihrer eigenen Flucht zu widerfet^en:

„Faut-il que ma disgräce aille jusqu’ä ce point
„Que de vous voir partir, eher objet de mes soins;

„Belle mode des toiles, demeurez ä Paris
„et n'allez pas trotter dans les autres pays.“

Leider traf gerade das ein. Die franzöfifchen Handwerker verpflanzten ihre Induftrie
ins Ausland. In England gründete ein proteftantifcher Flüchtling die erfte Fabrik, und
zwar in Richmond an derThemfe im Jahre 1690. Im gleichen Jahre wanderte Jacques de
Luze aus der Provinz Saintonge mit feinem Sohne, feinem Schwiegerfohne Pourtales, den
Brüdern Pasquier nach der Schweiz aus und gründete in der Nähe von Neufchätel die
berühmte Fabrik „des Bied“, von der aus die Kunft der Kattunfärberei fich in der Schweiz
und in Deutfchland verbreitete. Schon im erften Viertel des 18. Jahrhunderts hatte Genf
eine Fabrik im Viertel „Les Päquis“ bei Fazy, dem Gatten einer Tante J. J. Rouffeaus,
und dem Verfaffer des „Emile" wurden die Fingerfpitjen zerquetfeht als er, noch ein Kind,
mit der Druckmafchine fpielte. Im Jahre 1740 gründete ein Mülhaufer namens J. Schmalßer,
ein Schüler der Fabrik in Neufchätel, im Verein mit dem Maler Jean Henri Dollfus und
dem Kaufmann Samuel Koechlin eine Fabrik unter der Firma „Manufacture de la Cour
de Lorraine“. Der Erfolg war fo bedeutend, daß im ganzen Oberelfaß Goldfehmiede,
Färber, Bäcker, Ärzte, Apotheker ihre Profeffion an den Nagel hingen, um das einbringen-
dere Handwerk der Kattunfabrikation auszuüben.

Das Edikt von Colbert hatte nicht einmal das Verdienft, dadurch daß es eine Profeffion
ruinierte, den anderen zur Hilfe zu kommen. Wenn man auch die verbotenen Stoffe nicht

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