Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0259
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7. Heft
DOI article:Cohen, Walter: Die Ausstellung alter Gemälde aus Wiesbadener Privatbesitz
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DIE ÄUSSTELLUNG ÄLTER GEMÄLDE
ÄUS WIESBÄDENER PRIVÄTBESITZ
Mit 4 Abbildungen (1 im Text und 3 auf 1 Tafel) Von WALTER COHEN
Die vom Naffauifchen Kunftverein veranftaltete Ausheilung, die am 10. April nach
nahezu achtwöchentlicher Dauer gefchloffen worden ift, umfaßte noch nicht ganz
100 Nummern und durfte gerade durch diefe kluge Befchränkung als vorbildlich für der-
artige Veranftaltungen gelten. Konnte fich auch — wo hat fich folches je vermeiden
laffen? — einiges einfchleichen, was weder als Kunftwerk beträchtlich noch aus irgend
einem anderen Grunde ausftellungswürdig war, hielt auch mancher große Namen des
Katalogs der fachmännifchen Kritik nicht ftand, fo konnte das Ganze doch auch verwöhnte
Befucher feffeln, ganz abgefehen von dem erzieherifchen Wert, den jede Ausftellung aus
Privatbefits für das einheimifche Publikum hat. Als befonders rühmlich muß hervorgehoben
werden, daß diefe Ausftellung unter richtiger Flagge fegelte: es fteckte in keiner Weife
kunfthändlerifche Befliffenheit dahinter, wie fie viel umfaffendere Ausheilungen in den
lebten Jahren oft genug gefchädigt hat. — Der nicht eben durch gute Beleuchtungsver-
hältniffe ausgezeichnete Feftfaal des Wiesbadener Rathaufes war durch Scherwände in
drei Abteilungen zerlegt worden; die mittlere umfaßte den wichtigften Teil der Aus-
ftellung, Deutfche und Altniederländer, die beiden anderen teils die Holländer und Vlamen,
teils die Italiener, Franzofen und die Deutfchen des 18. Jahrhunderts. Während bei den
fpäteren Deutfchen gerade der vorzugsweife in Frankfurt, im Großherzogtum Heffen und in
Heffen-Naffau tätige Künftlerftamm recht anfprechend vertreten war, verfagte der fich keiner
alten Tradition erfreuende Wiesbadener Privatbefilj auf dem Gebiete der frühen mittelrheini-
fchen Malerei; nur ein einziges kleineres Gemälde vertrat die rheinifche Landfchaft, aus der
ein Grünewald hervorgegangen ift. Zum Erfatj wurden mehrere Skulpturen gezeigt, für
die der mittelrheinifche Urfprung aus ftiliftifchen oder anderen Gründen vorausgefe^t wurde.
Die Ausftellung hatte ihren auch fchon äußerlich durch die Aufhellung betonten Glanz-
punkt in einem Gemälde von 1449, der Madonna von Petrus Criftus1, deren eigen-
tümliche Entdeckungsgefchichte ich vor einigen Monaten in der Schnütgenfchen Zeitfchrift
(XXII, Nr. 8) erzählt habe. Schloß Vollrads, wo man diefes Werk unter einer Kreuzigung
der Spätrenaiffance aufgefunden hatte, gehört zum Regierungsbezirk Wiesbaden und fo
lag es nahe, den Beßrer, Herrn Grafen Matufchka-Greiffenklau, um die Leihgabe der
hiftorifch bedeutungsvollen, aber in der warmen, aus Rot, Grün, Braun und tiefem Violett
zufammengefefeten Färbung auch recht reizvollen Schöpfung anzugehen. Jedenfalls über-
traf diefes Frühwerk des Meifters, von dem die Abbildung eine nicht ganz zutreffende
Vorftellung gibt, fchon an Sorgfalt der Ausführung alle Nachbarn; nur fehr wenige Be-
fucher waren fich darüber klar, daß der Erhaltungszuftand einen durchgreifenden Reftau-
rierungsprozeß bedingt hatte. Als Kuriofum fei mitgeteilt, daß der in fachmännifcher
Rüftung klirrende Kunftberichterftatter einer großen rheinifchen Zeitung ausgerechnet die
„Unberührtheit“ des Bildes rühmte. Sicherlich war es ein nicht geringes Verdienft der
Ausftellungsleitung, in erfter Linie des Herrn Dr. Erwin Hensler, das bisher nur einem
kleinen Kreife von Kunftgelehrten bekannte Werk einem weiteren Publikum vorzuführen.
Ein zweites Hauptwerk von Ausftellung, das männliche Bildnis Jan van Scorels,
aus dem Befiße der Frau Ph. Abegg, war felbft für die Kenner diefes Meifters eine Über-
1 Eichenholz, hoch (ohne den alten Infchriftrahmen) 0,57, breit 0,39 m. Die hier beigegebene Ab-
bildung des Stückes zeigt leider infolge eines technifchen Verfehens, das durch Mißverftändniffe
zwifchen Autor und Verleger entftand, einen viel zu hellen Hintergrund. Derfelbe ift im Original
dunkelbraun.
Der Cicerone, II. Jahrg., 7. Heft. 17
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ÄUS WIESBÄDENER PRIVÄTBESITZ
Mit 4 Abbildungen (1 im Text und 3 auf 1 Tafel) Von WALTER COHEN
Die vom Naffauifchen Kunftverein veranftaltete Ausheilung, die am 10. April nach
nahezu achtwöchentlicher Dauer gefchloffen worden ift, umfaßte noch nicht ganz
100 Nummern und durfte gerade durch diefe kluge Befchränkung als vorbildlich für der-
artige Veranftaltungen gelten. Konnte fich auch — wo hat fich folches je vermeiden
laffen? — einiges einfchleichen, was weder als Kunftwerk beträchtlich noch aus irgend
einem anderen Grunde ausftellungswürdig war, hielt auch mancher große Namen des
Katalogs der fachmännifchen Kritik nicht ftand, fo konnte das Ganze doch auch verwöhnte
Befucher feffeln, ganz abgefehen von dem erzieherifchen Wert, den jede Ausftellung aus
Privatbefits für das einheimifche Publikum hat. Als befonders rühmlich muß hervorgehoben
werden, daß diefe Ausftellung unter richtiger Flagge fegelte: es fteckte in keiner Weife
kunfthändlerifche Befliffenheit dahinter, wie fie viel umfaffendere Ausheilungen in den
lebten Jahren oft genug gefchädigt hat. — Der nicht eben durch gute Beleuchtungsver-
hältniffe ausgezeichnete Feftfaal des Wiesbadener Rathaufes war durch Scherwände in
drei Abteilungen zerlegt worden; die mittlere umfaßte den wichtigften Teil der Aus-
ftellung, Deutfche und Altniederländer, die beiden anderen teils die Holländer und Vlamen,
teils die Italiener, Franzofen und die Deutfchen des 18. Jahrhunderts. Während bei den
fpäteren Deutfchen gerade der vorzugsweife in Frankfurt, im Großherzogtum Heffen und in
Heffen-Naffau tätige Künftlerftamm recht anfprechend vertreten war, verfagte der fich keiner
alten Tradition erfreuende Wiesbadener Privatbefilj auf dem Gebiete der frühen mittelrheini-
fchen Malerei; nur ein einziges kleineres Gemälde vertrat die rheinifche Landfchaft, aus der
ein Grünewald hervorgegangen ift. Zum Erfatj wurden mehrere Skulpturen gezeigt, für
die der mittelrheinifche Urfprung aus ftiliftifchen oder anderen Gründen vorausgefe^t wurde.
Die Ausftellung hatte ihren auch fchon äußerlich durch die Aufhellung betonten Glanz-
punkt in einem Gemälde von 1449, der Madonna von Petrus Criftus1, deren eigen-
tümliche Entdeckungsgefchichte ich vor einigen Monaten in der Schnütgenfchen Zeitfchrift
(XXII, Nr. 8) erzählt habe. Schloß Vollrads, wo man diefes Werk unter einer Kreuzigung
der Spätrenaiffance aufgefunden hatte, gehört zum Regierungsbezirk Wiesbaden und fo
lag es nahe, den Beßrer, Herrn Grafen Matufchka-Greiffenklau, um die Leihgabe der
hiftorifch bedeutungsvollen, aber in der warmen, aus Rot, Grün, Braun und tiefem Violett
zufammengefefeten Färbung auch recht reizvollen Schöpfung anzugehen. Jedenfalls über-
traf diefes Frühwerk des Meifters, von dem die Abbildung eine nicht ganz zutreffende
Vorftellung gibt, fchon an Sorgfalt der Ausführung alle Nachbarn; nur fehr wenige Be-
fucher waren fich darüber klar, daß der Erhaltungszuftand einen durchgreifenden Reftau-
rierungsprozeß bedingt hatte. Als Kuriofum fei mitgeteilt, daß der in fachmännifcher
Rüftung klirrende Kunftberichterftatter einer großen rheinifchen Zeitung ausgerechnet die
„Unberührtheit“ des Bildes rühmte. Sicherlich war es ein nicht geringes Verdienft der
Ausftellungsleitung, in erfter Linie des Herrn Dr. Erwin Hensler, das bisher nur einem
kleinen Kreife von Kunftgelehrten bekannte Werk einem weiteren Publikum vorzuführen.
Ein zweites Hauptwerk von Ausftellung, das männliche Bildnis Jan van Scorels,
aus dem Befiße der Frau Ph. Abegg, war felbft für die Kenner diefes Meifters eine Über-
1 Eichenholz, hoch (ohne den alten Infchriftrahmen) 0,57, breit 0,39 m. Die hier beigegebene Ab-
bildung des Stückes zeigt leider infolge eines technifchen Verfehens, das durch Mißverftändniffe
zwifchen Autor und Verleger entftand, einen viel zu hellen Hintergrund. Derfelbe ift im Original
dunkelbraun.
Der Cicerone, II. Jahrg., 7. Heft. 17
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