DOI Heft:
10. Heft
DOI Artikel:Everth, Erich: Ein neu aufgefundener Teppich nach Raffael
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0404
EIN NEU AUFGEFUNDENER TEPPICH NACH RAFFAEL
RÄFFÄEL, Darftellung des Todes des Änanias Berlin, Privatbepfe
nach dem Typus der Köpfe, daß der hier befprochene Teppich in den Niederlanden wie
die vatikanifchen, wenn auch erft gegen Ende des 16. Jahrhunderts, gewebt wurde.
Woher nun aber die Abweichungen bei der Loretaner Serie fowohl wie bei unferem
Stück? Vielleicht erklären fie fich gerade aus einer befonders frühen Entftehungszeit.
Wenigftens greift der vorgenannte Archivar zu einer Hypothefe: Leo X. habe vielleicht
ein Verbot erlaffen, nach den raffaelifchen Kartons follten keine Tapeten mehr gewebt
werden, und vielleicht mußten die vlämifchen Künftler ein folches Verbot damals noch
umgehen. Ob diefe Abweichungen freilich durch vlämifche Künftler allein veranlaßt
wurden, ohne italienifche Vorlagen, etwa aus der Raffael-Schule? Das fcheint mir kaum
annehmbar; doch führt es hier zu weit, darauf einzugehen, man würde fich z. B. fragen
müffen: Ift die Gruppierung der hinzugekommenen Geftalten raffaelifch, d. h. der Raffael-
Schule gemäß; ift fo die neue Haartracht der Frauen; find bezeichnende Faltenmotive an
den hinzugetretenen Figuren, die in diefe Richtung weifen ufw.?
Sehen wir uns aber die Abweichungen von den Kartons genauer an. Zunächft
ift die Größe anders, und zwar namentlich in der Breite. Man hat nämlich die Kom-
pofition auch innerlich bereichert, nicht bloß äußerlich vergrößert, d. h. sie ift vermehrt,
um eine Anzahl Figuren zunächft, und zwar auf der einen Seite, der rechten vom Be-
fchauer aus. Die Folge ift, daß das fymmetrifche Bild „verfchoben“ und weniger ftreng
ift. Das Format alfo ift mehr in die Breite gezogen, das in den Kartons mehr dem
Quadrat nahe fteht; fo wurde denn auch die nach vorn einfach konvexe Gefamtform der
Figurenkompofition hier mehr gelöft. Außerdem kommt die Handlung dem unteren
Rande und dem Befchauer näher, und ebenfo bleibt oben weniger Raum über den Köpfen
als im Karton. Diefer Raum da oben ift ferner nicht fo ruhig geblieben, die Falten dort
find maffiger und bewegter geworden, und ein Durchbruch ins Freie ift ftatt der bloßen
Wandbekleidung gefchaffen. Freie Natur zeigt der ganze Hintergrund überhaupt, der
Szene wurde fo eine weitere Refonanz gegeben, dafür aber ift ihr auch etwas an gefammelter
Kraft genommen, die fie im gefchloffenen Raum hatte. In allem ift hier, der Nachklaffik
entfprechend, mehr gegeben und doch auch wieder weniger herausgekommen als bei
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RÄFFÄEL, Darftellung des Todes des Änanias Berlin, Privatbepfe
nach dem Typus der Köpfe, daß der hier befprochene Teppich in den Niederlanden wie
die vatikanifchen, wenn auch erft gegen Ende des 16. Jahrhunderts, gewebt wurde.
Woher nun aber die Abweichungen bei der Loretaner Serie fowohl wie bei unferem
Stück? Vielleicht erklären fie fich gerade aus einer befonders frühen Entftehungszeit.
Wenigftens greift der vorgenannte Archivar zu einer Hypothefe: Leo X. habe vielleicht
ein Verbot erlaffen, nach den raffaelifchen Kartons follten keine Tapeten mehr gewebt
werden, und vielleicht mußten die vlämifchen Künftler ein folches Verbot damals noch
umgehen. Ob diefe Abweichungen freilich durch vlämifche Künftler allein veranlaßt
wurden, ohne italienifche Vorlagen, etwa aus der Raffael-Schule? Das fcheint mir kaum
annehmbar; doch führt es hier zu weit, darauf einzugehen, man würde fich z. B. fragen
müffen: Ift die Gruppierung der hinzugekommenen Geftalten raffaelifch, d. h. der Raffael-
Schule gemäß; ift fo die neue Haartracht der Frauen; find bezeichnende Faltenmotive an
den hinzugetretenen Figuren, die in diefe Richtung weifen ufw.?
Sehen wir uns aber die Abweichungen von den Kartons genauer an. Zunächft
ift die Größe anders, und zwar namentlich in der Breite. Man hat nämlich die Kom-
pofition auch innerlich bereichert, nicht bloß äußerlich vergrößert, d. h. sie ift vermehrt,
um eine Anzahl Figuren zunächft, und zwar auf der einen Seite, der rechten vom Be-
fchauer aus. Die Folge ift, daß das fymmetrifche Bild „verfchoben“ und weniger ftreng
ift. Das Format alfo ift mehr in die Breite gezogen, das in den Kartons mehr dem
Quadrat nahe fteht; fo wurde denn auch die nach vorn einfach konvexe Gefamtform der
Figurenkompofition hier mehr gelöft. Außerdem kommt die Handlung dem unteren
Rande und dem Befchauer näher, und ebenfo bleibt oben weniger Raum über den Köpfen
als im Karton. Diefer Raum da oben ift ferner nicht fo ruhig geblieben, die Falten dort
find maffiger und bewegter geworden, und ein Durchbruch ins Freie ift ftatt der bloßen
Wandbekleidung gefchaffen. Freie Natur zeigt der ganze Hintergrund überhaupt, der
Szene wurde fo eine weitere Refonanz gegeben, dafür aber ift ihr auch etwas an gefammelter
Kraft genommen, die fie im gefchloffenen Raum hatte. In allem ift hier, der Nachklaffik
entfprechend, mehr gegeben und doch auch wieder weniger herausgekommen als bei
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