Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

DOI Heft:
11. Heft
DOI Artikel:
Polaczek, Ernst: Beiträge zur Geschichte der Strassburger Keramik, [3]: Strassburger und Hagenauer Prozellan
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0449

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEITRAGE ZUR GESCHICHTE DER STRASSBURGER KERAMIK

großen Stücken abgefplittert. Doch gibt es auch Stücke von hervorragender Schönheit
der Form. Soweit idi sehe, befitjen nur die öffentlichen und privaten Sammlungen von
Straßburg und Paris erheblichere Beftände an Hagenauer Porzellan. Das Gefchirr hat
durchaus Louis XVI.-Formen. Teller, Schüffeln und Platten find glattrandig; die Terrinen
haben kannelierte Füße, als Henkel Tierköpfe mit beweglichen Ringen; Goldränder find
beliebt. Die Maler bevorzugen als Dekorationsmotive Blumen, Tiere, gelegentlich auch
Schäferfzenen oder Chinoiferien. Wir bilden zwei Proben ab: Eine große Terrine, deren
Henkeln leider die vergoldeten Ringe fehlen (Abb. 5), und eine befonders fchön geformte
Kanne, zu der eine Unterfaijplatte gehört (Abb. 6). Die Farben find, was nicht etwa be-
abfichtigt war, ganz matt. Eine Lüfterfarbe, die fteilenweife auftritt, ift ebenfalls nicht
ganz gelungen.

Diefe Stücke find teils mit eingeritten, teils mit über oder unter Glafur aufgemalten
Marken verfehen. Dem Monogramm JH folgt meift ein Buchftabe, öfters V (Vaisselle)
oder C (Coupe), dann eine Formnummer, darunter dann zuweilen ein anderer Buchftabe
(Markentafel Nr. 6). Zuweilen ift außer der gemalten Bezeichnung auch noch eine einge-
ri^te Bezeichnung vorhanden. Bisweilen ift der blau gemalten Bezeichnung noch eine
braune, meift abweichende Nummerierung hinzugefügt.

Aus dem Inventar geht hervor, daß außer dem normalen Tafelgefchirr auch fehr große
Stücke gemacht werden follten, ja bereits in Arbeit waren. Es werden Kronleuchter,
Büften, Vafen genannt. Die Hagenauer Porzellanplaftik ift ebenfalls nicht unbeträchtlich
gewefen. Es find mindeftens 50 Modelle für Einzelfiguren und mindeftens ebenfoviele
für Gruppen vorhanden gewefen. Bezeichnet find fie mit eingepreßter Marke IH, darunter
faft immer ein F oder G (Figur oder Gruppe) und die Modellnummer. Zuweilen finden
fich noch andere, wohl den Modelleur betreffende Nummern (Markentafel Nr. 5).

Kindergruppen kommen in den Verzeichnten befonders häufig vor, meift ohne nähere
Bezeichnung. Die Abbildungen 7 und 8 geben zwei gute Beifpiele: Frei bewegte, gut
modellierte Körper; der Ton etwas gelblich; allerlei Brandfehler. Einmal werden vier
Kindergruppen, die vier Elemente vorftellend, erwähnt. Wir bilden aus diefer Garnitur
das „Waffer“ ab (Abb. 9); das „Feuer“ ift im Hamburger Mufeum.1 Befonders reizend
ift die Figur eines Steinhauers (Abb. 10). Das Mädchen mit der blumengefüllten Schürze
ift einem Modell von Sevres nachgebildet (Abb. 11). Eine beinahe tragifche Szene gibt
die glafierte, aber nicht bemalte dreifigurige Gruppe: Ein junges Paar bemüht fich mit hef-
tigen Gebärden um den Ehekonfens des Vaters (Abb. 12). Für die große Gruppe (Abb. 13),
deren Stoff der antiken Mythologie entnommen fcheint, weiß ich keinen Namen. Oder
follte Dichter undMufe gemeint fein? Das Hauptftück der ganzen Reihe ift die „Ruhende
Venus“, befonders wertvoll durch die tadellofe Erhaltung im alten, wenn auch vielleicht
nicht ganz urfprünglichen Arrangement, auf einem hölzernen, mit rotem Sammet belegten
und von einem Bronzefries eingefaßten Sockel, auf den ein von Bronzeftäben zufammen-
gehaltener Glaskaften aufgefefet wird (Abb. 14). Eine handfchriftliche Notiz des Straß-
burger Botanikers Hermann, des verdienftvollen Mannes, der aus den Stürmen der Re-
volution einen Teil der herrlichen Portaldekorationen des Münfters gerettet hat, fagt: II
(seil. Jofef Hannong) etait surtout magnifique en figures de groupes pour lesquelles il

avait arrange des salles particulieres et des cloches pour les mettre dessous.

. . . II avait eu aussi une idee tres heureuse dont je ne sache pas qu’elle ait ete executee
dans aucune autre fabrique. II faisait des draperies uniques pour la legerte et la verite.

1 Vgl. Brinckmann im Jahresbericht 1908 des Hamburgifchen Mufeums für Kunft und Gewerbe. S. 73.

396
 
Annotationen