Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0717
DOI issue:
19. Heft
DOI article:Jantzen, Hans: Jan Scorrel und Bramante
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JAN SCOREL UND BRAMANTE
und zwar im wefentlichen fo, wie ihfi Scorel
zwei Jahre nach dem Tode Raffaels in Rom an
Ort und Stelle fehen konnte. (In dem Gemälde
werden die Proportionen der Architektur ftark
beeinträchtigt durch die Figuren. Aber fchon in
einer flüchtigen Paufe ohne Figuren, die zu-
gleich die fehlenden Linien ergänzt, kommt die
ganze Pracht der Bramantefchen Architektur
heraus.) Verfolgt man bei Geymüller Bl. 45
genauer, welche Stelle denn Scorel als Vorbild
gedient haben mag, fo kann man annehmen,
der Befchauer fteht in dem Scorelfchen Gemälde
vor dem Ändreaspfeiler und fieht in den Kuppel-
raum CC hinein. Allerdings war die abfchließende
Apfis, die bei Scorel zu fehen ift, nicht vor-
handen und wurde auch nie gebaut, aber fie
lag doch im Plan des Bramante. Ein Beweis,
wie genau der holländifche Maler die Gedanken
des Baumeifters durchdacht hatte. Für die Raum-
wirkung einer folchen Apfis gab es aber auf
der andern Seite einen Anhaltspunkt in der
proviforifchen Tribüne des Fra Giocondo, eben-
falls bei Geymüller eingezeichnet und außerdem
zu fehen Bl. 51 auf einer fpäteren Zeichnung
des Heemskerck rechts am äußerften Rande.
Nach allem wird es wahrfcheinlicb, daß Scorel
die neue Kirdie nicht nur nach den fdhon vor-
handenen Bauteilen kannte, fondern auch eine
genaue Kenntnis der Pläne und Zeichnungen
befaß. Das dürfen wir um fo eher vermuten,
als Scorel im Vatikan unter Papft Hadrian VI.,
feinem Landsmann, eine hohe Stellung ein-
nahm. Diefer Umftand legt wieder die Frage
nahe, wie weit die übrigen Einzelheiten auf
dem Gemälde, vor allem die feine Äusfchmückung
der Bogenzwickel, derApfiden und Nifchen, den
Plänen jener Zeit entfprechen.
Schließlich fei noch darauf verwiefen, woher
Scorel die Anregung für die bildliche Ge-
ftaltung diefer Architektur nahm. Nimmt man
auf der „Schule von Athen“ das obere Viertel
links für fich allein heraus, fo ergibt fich im
großen und ganzen diefelbe perfpektivifche An-
ordnung der Architektur. Zudem ftimmen die
Kaffettendecken genau überein, und vielleicht
nahm Scorel auch den Relieffchmuck des Pilafter-
fockels von der analogen Stelle bei Raffael her-
über, wenn er ihn nicht direkt von Bramante
nahm. Der Relieffchmuck hat in Wirklichkeit
wohl nicht an der bei Scorel angegebenen Stelle
gefeffen. In allen übrigen fcheidet fich die Scorel-
fche Architektur ftreng von derjenigen der „Schule
von Athen“ durch den Umftand, daß der hol-
ländifche Maler für feine Kompofition von dem
wirklich vorhandenen Kuppelpfeiler des
Bramante ausgeht.
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und zwar im wefentlichen fo, wie ihfi Scorel
zwei Jahre nach dem Tode Raffaels in Rom an
Ort und Stelle fehen konnte. (In dem Gemälde
werden die Proportionen der Architektur ftark
beeinträchtigt durch die Figuren. Aber fchon in
einer flüchtigen Paufe ohne Figuren, die zu-
gleich die fehlenden Linien ergänzt, kommt die
ganze Pracht der Bramantefchen Architektur
heraus.) Verfolgt man bei Geymüller Bl. 45
genauer, welche Stelle denn Scorel als Vorbild
gedient haben mag, fo kann man annehmen,
der Befchauer fteht in dem Scorelfchen Gemälde
vor dem Ändreaspfeiler und fieht in den Kuppel-
raum CC hinein. Allerdings war die abfchließende
Apfis, die bei Scorel zu fehen ift, nicht vor-
handen und wurde auch nie gebaut, aber fie
lag doch im Plan des Bramante. Ein Beweis,
wie genau der holländifche Maler die Gedanken
des Baumeifters durchdacht hatte. Für die Raum-
wirkung einer folchen Apfis gab es aber auf
der andern Seite einen Anhaltspunkt in der
proviforifchen Tribüne des Fra Giocondo, eben-
falls bei Geymüller eingezeichnet und außerdem
zu fehen Bl. 51 auf einer fpäteren Zeichnung
des Heemskerck rechts am äußerften Rande.
Nach allem wird es wahrfcheinlicb, daß Scorel
die neue Kirdie nicht nur nach den fdhon vor-
handenen Bauteilen kannte, fondern auch eine
genaue Kenntnis der Pläne und Zeichnungen
befaß. Das dürfen wir um fo eher vermuten,
als Scorel im Vatikan unter Papft Hadrian VI.,
feinem Landsmann, eine hohe Stellung ein-
nahm. Diefer Umftand legt wieder die Frage
nahe, wie weit die übrigen Einzelheiten auf
dem Gemälde, vor allem die feine Äusfchmückung
der Bogenzwickel, derApfiden und Nifchen, den
Plänen jener Zeit entfprechen.
Schließlich fei noch darauf verwiefen, woher
Scorel die Anregung für die bildliche Ge-
ftaltung diefer Architektur nahm. Nimmt man
auf der „Schule von Athen“ das obere Viertel
links für fich allein heraus, fo ergibt fich im
großen und ganzen diefelbe perfpektivifche An-
ordnung der Architektur. Zudem ftimmen die
Kaffettendecken genau überein, und vielleicht
nahm Scorel auch den Relieffchmuck des Pilafter-
fockels von der analogen Stelle bei Raffael her-
über, wenn er ihn nicht direkt von Bramante
nahm. Der Relieffchmuck hat in Wirklichkeit
wohl nicht an der bei Scorel angegebenen Stelle
gefeffen. In allen übrigen fcheidet fich die Scorel-
fche Architektur ftreng von derjenigen der „Schule
von Athen“ durch den Umftand, daß der hol-
ländifche Maler für feine Kompofition von dem
wirklich vorhandenen Kuppelpfeiler des
Bramante ausgeht.
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