Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0833
DOI issue:
22. Heft
DOI article:Ausstellungen
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AUSSTELLUNGEN
fehlt. Unter diefem Gefichtspunkte follte heute
jede graphifche Äusftellung betrachtet werden,
denn leider hat noch eine erhebliche Änzahl
unferer Graphiker die inftinktive Neigung, die
Graphik zu etwas zu mißbrauchen, wozu fie
nicht paßt, fie fcheinen befonders ihre Mittel
fehr häufig nur dazu zu benutjen, einen beque-
men und billigen Erfatj für Ölgemälde herzu-
ftellen. Alle diefe farbigen Radierungen, die
ausfehen wie Heliogravüren nach Gemälden
widerfprechen durchaus dem Geifte echter gra-
phifcher Kunft, ebenfo allerdings auch diefe
ideenreichen Blätter mehr oder weniger phan-
tafievoller Künftler, die die Form zu wenig be-
herrfchen, um für ihre „Gedanken“ einen adä-
quaten künftlerifchen Ausdruck zu finden. Wenn
man von allen diefen Künftlern, die beffer zu
den Illuftratoren und Reproduktionstechnikern
gehörten, abfieht, haben wir nicht allzuviele
Leute, die echte wirkliche Graphik zu fchaffen
vermögen, doch ift ihre Zahl gerade in den
leßten Jahren erheblich gewachfen. Ein Rund-
gang durch die Äusftellung im Buchgewerbe-
mufeum beftätigt das durchaus. Bei den Leip-
zigern, denen relativ viel Plaß eingeräumt ift,
ragt natürlich Klinger hervor, deffen drei neuen
Blätter aus dem Zyklus vom Tode II, „Krieg,
Herrfcher, Philofoph“ ja fchon zur Genüge be-
kannt find. Von Max Seliger find eine große
Änzahl von Studien-Kinderporträts und dergl.
ausgeftellt, ebenfo von 0. R. Boffert und
Ä.Leiftner. Die Radierungen von B. Heroux,
die fich in den Kreifen der Exlibris-Sammler
ziemlicher Beliebtheit erfreuen, find teilweife
ganz liebenswürdig, oft aber etwas akademifch
in der Mache. Von Horft- Schulze und
E. Grüner find einige recht flotte Zeichnungen
zu fehen, von befonderem Reiz find dann die
ganz einfachen aber fehr ftimmungsvollen Land-
fchaften einer jungen Leipziger Künftlerin Lifa
Hofmann ebenfo wie die Radierungen von
Meta Voigt. In Dresden und Weimar ver-
geht man es ungleich beffer als in der Metro-
pole des Buchgewerbes, große malerifche Werte
in der Zeichnung zum Ausdruck zu bringen,
und hier wird auch die Graphik viel mehr wie
dort dazu benutzt, perfönliche künftlerifdie Än-
fchauungen auszufprechen, während fie dort
häufig nur Veranlaffung gibt zu technifchen
Spielereien. R. Müller ift allerdings beson-
ders in feinen Studien fehr langweilig und
durchaus ein Vertreter der alten Schule, unend-
lich viel frifcher und durchaus modern in der
Empfindung — vielleicht zu modern für konser-
vative Gemüter — wirken die Aquarelle von
R. Dreher, der fehr viel von den Impreffioniften
gelernt hat, dabei aber doch genug Kraft hat,
um die Form nicht ganz zu vernachlässigen.
F. R. Scholz gibt auch fehr impreffioniftifch
erfaßte Bilder aus Dresden, als eine fehr tem-
peramentvolle ähnliche Ziele erftrebende Künft-
lerin beweift fich Martha Schräg - Chemnrß.
Der bekanntere Dresdener Graphiker Otto
Fifcher ift fehr gut vertreten; trotzdem es an
allen feinen Arbeiten offenbar ift, wie genau
er die englifchen Meifter der Graphik ftudiert
hat, gehört er doch unzweifelhaft zu unferen
kraftvollften Radierern, der von allen unkünft-
lerifchen Nebenabfichten frei es unternommen
hat, für die Landfchaft eine durchaus fachgemäße
dem Geifte der Radierung fehr entfprechende
künftlerifdie Form zu finden. Auch W. Zeifing
ift ein fehr fympathifcher trefflich gefchulter Dres-
dener Radierer, mehr nach Seite des Karikaturi-
ftifchen neigen die Arbeiten von M. E. Philipp
und G. Gelbke, der in feinen „Gloffen über das
Fettbürgertum“ einen fehr witzigen Ton anfchlägt.
Nicht zu vergeffen find auch die dekorativen
Holzfchnitte von Jofef Goller. In Weimar ift
L. v. Hof mann die ftärkfte Perfönlichkeit, er
ift gut durch eine große Zahl feiner bekannten
Zeichnungen vertreten. George Greve-Lin-
dau macht fehr ehrliche und einfache Radierun-
gen, die Holzfchnitte von M. Geibel find be-
kannt genug, um hier befonders hervorgehoben
werden zu müffen.
Die Münchener Schule ift wohl die fruchtbarfte
von allen. Eine folche Menge von relativ eigen-
artigen Perfönlichkeiten, eine folche allgemeine
Höhe des technifchen Könnens findet fich eben
nur auf folch kultiviertem Boden, wie ihn die
füddeutfche Kunftmetropole doch immer noch
darftellt. Doch wird man fich angefichts diefer
Abteilung nur fchwer der Erkenntnis verfchließen,
daß fehr bedeutende Perfönlichkeiten, die zu
befonders eigenartigen Ergebniffen gekommen
find, fehlen. Der dekorative kunftgewerbliche
Zug der Münchner Schule kommt auch in ihrer
Graphik zum Ausdruck. Die fehr bequeme Art,
wie man durch den modernen Farbenholzfchnitt
ftark farbige, mitunter etwas plakatmäßige Wir-
kungen erzielen kann, hat hier am meiften Ein-
gang gefunden. Hans Neumann ift der be-
kanntere der Künftler, die den Farbenholzfchnitt
nach japanifchem Mufter zu Ehren gebracht haben,
unfere jungen mit kunftgewerblichen Ideen noch
mehr imprägnierten Maler pflegen ihn mit ganz
befonderer Vorliebe und oft mit bemerkenswerten
Gefchick wie die ausgeftellten Arbeiten von
Heine Rath, H. Konsbrück, Joh. Meiner,
M. Lange-Schöiler, R. Graef usw. zur Ge-
nüge beweifen. Am meiften treten von ihnen
W. Klemm und C. Thiemann hervor, die eine
außerordentliche Produktivität auf diefem Gebiete
760
fehlt. Unter diefem Gefichtspunkte follte heute
jede graphifche Äusftellung betrachtet werden,
denn leider hat noch eine erhebliche Änzahl
unferer Graphiker die inftinktive Neigung, die
Graphik zu etwas zu mißbrauchen, wozu fie
nicht paßt, fie fcheinen befonders ihre Mittel
fehr häufig nur dazu zu benutjen, einen beque-
men und billigen Erfatj für Ölgemälde herzu-
ftellen. Alle diefe farbigen Radierungen, die
ausfehen wie Heliogravüren nach Gemälden
widerfprechen durchaus dem Geifte echter gra-
phifcher Kunft, ebenfo allerdings auch diefe
ideenreichen Blätter mehr oder weniger phan-
tafievoller Künftler, die die Form zu wenig be-
herrfchen, um für ihre „Gedanken“ einen adä-
quaten künftlerifchen Ausdruck zu finden. Wenn
man von allen diefen Künftlern, die beffer zu
den Illuftratoren und Reproduktionstechnikern
gehörten, abfieht, haben wir nicht allzuviele
Leute, die echte wirkliche Graphik zu fchaffen
vermögen, doch ift ihre Zahl gerade in den
leßten Jahren erheblich gewachfen. Ein Rund-
gang durch die Äusftellung im Buchgewerbe-
mufeum beftätigt das durchaus. Bei den Leip-
zigern, denen relativ viel Plaß eingeräumt ift,
ragt natürlich Klinger hervor, deffen drei neuen
Blätter aus dem Zyklus vom Tode II, „Krieg,
Herrfcher, Philofoph“ ja fchon zur Genüge be-
kannt find. Von Max Seliger find eine große
Änzahl von Studien-Kinderporträts und dergl.
ausgeftellt, ebenfo von 0. R. Boffert und
Ä.Leiftner. Die Radierungen von B. Heroux,
die fich in den Kreifen der Exlibris-Sammler
ziemlicher Beliebtheit erfreuen, find teilweife
ganz liebenswürdig, oft aber etwas akademifch
in der Mache. Von Horft- Schulze und
E. Grüner find einige recht flotte Zeichnungen
zu fehen, von befonderem Reiz find dann die
ganz einfachen aber fehr ftimmungsvollen Land-
fchaften einer jungen Leipziger Künftlerin Lifa
Hofmann ebenfo wie die Radierungen von
Meta Voigt. In Dresden und Weimar ver-
geht man es ungleich beffer als in der Metro-
pole des Buchgewerbes, große malerifche Werte
in der Zeichnung zum Ausdruck zu bringen,
und hier wird auch die Graphik viel mehr wie
dort dazu benutzt, perfönliche künftlerifdie Än-
fchauungen auszufprechen, während fie dort
häufig nur Veranlaffung gibt zu technifchen
Spielereien. R. Müller ift allerdings beson-
ders in feinen Studien fehr langweilig und
durchaus ein Vertreter der alten Schule, unend-
lich viel frifcher und durchaus modern in der
Empfindung — vielleicht zu modern für konser-
vative Gemüter — wirken die Aquarelle von
R. Dreher, der fehr viel von den Impreffioniften
gelernt hat, dabei aber doch genug Kraft hat,
um die Form nicht ganz zu vernachlässigen.
F. R. Scholz gibt auch fehr impreffioniftifch
erfaßte Bilder aus Dresden, als eine fehr tem-
peramentvolle ähnliche Ziele erftrebende Künft-
lerin beweift fich Martha Schräg - Chemnrß.
Der bekanntere Dresdener Graphiker Otto
Fifcher ift fehr gut vertreten; trotzdem es an
allen feinen Arbeiten offenbar ift, wie genau
er die englifchen Meifter der Graphik ftudiert
hat, gehört er doch unzweifelhaft zu unferen
kraftvollften Radierern, der von allen unkünft-
lerifchen Nebenabfichten frei es unternommen
hat, für die Landfchaft eine durchaus fachgemäße
dem Geifte der Radierung fehr entfprechende
künftlerifdie Form zu finden. Auch W. Zeifing
ift ein fehr fympathifcher trefflich gefchulter Dres-
dener Radierer, mehr nach Seite des Karikaturi-
ftifchen neigen die Arbeiten von M. E. Philipp
und G. Gelbke, der in feinen „Gloffen über das
Fettbürgertum“ einen fehr witzigen Ton anfchlägt.
Nicht zu vergeffen find auch die dekorativen
Holzfchnitte von Jofef Goller. In Weimar ift
L. v. Hof mann die ftärkfte Perfönlichkeit, er
ift gut durch eine große Zahl feiner bekannten
Zeichnungen vertreten. George Greve-Lin-
dau macht fehr ehrliche und einfache Radierun-
gen, die Holzfchnitte von M. Geibel find be-
kannt genug, um hier befonders hervorgehoben
werden zu müffen.
Die Münchener Schule ift wohl die fruchtbarfte
von allen. Eine folche Menge von relativ eigen-
artigen Perfönlichkeiten, eine folche allgemeine
Höhe des technifchen Könnens findet fich eben
nur auf folch kultiviertem Boden, wie ihn die
füddeutfche Kunftmetropole doch immer noch
darftellt. Doch wird man fich angefichts diefer
Abteilung nur fchwer der Erkenntnis verfchließen,
daß fehr bedeutende Perfönlichkeiten, die zu
befonders eigenartigen Ergebniffen gekommen
find, fehlen. Der dekorative kunftgewerbliche
Zug der Münchner Schule kommt auch in ihrer
Graphik zum Ausdruck. Die fehr bequeme Art,
wie man durch den modernen Farbenholzfchnitt
ftark farbige, mitunter etwas plakatmäßige Wir-
kungen erzielen kann, hat hier am meiften Ein-
gang gefunden. Hans Neumann ift der be-
kanntere der Künftler, die den Farbenholzfchnitt
nach japanifchem Mufter zu Ehren gebracht haben,
unfere jungen mit kunftgewerblichen Ideen noch
mehr imprägnierten Maler pflegen ihn mit ganz
befonderer Vorliebe und oft mit bemerkenswerten
Gefchick wie die ausgeftellten Arbeiten von
Heine Rath, H. Konsbrück, Joh. Meiner,
M. Lange-Schöiler, R. Graef usw. zur Ge-
nüge beweifen. Am meiften treten von ihnen
W. Klemm und C. Thiemann hervor, die eine
außerordentliche Produktivität auf diefem Gebiete
760