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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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23. Heft
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Cohn, William: Die Malerei in der ostasiatischen Kunstabteilung der Berliner Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0857

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MALEREI IN DER OSTASIATISCHEN KUNSTABTEILUNG DER BERLINER MUSEEN

ganze Seele des Schöpfers fpricht — wenn er die Bäume im dritten Grunde zu Punkten
und Schatten von reichfter Mannigfaltigkeit auflöft, oder wenn von den Bergen in der
lebten Tiefe nur noch blaffe Konturen nachklingen. Man fuche folche Eigenfchaften auf
jenen rohen Stücken, die in Europa allzu oft chinefifche Malerei bedeuten, auf denen
jeder Pinfelzug mechanifch verläuft, weil er nur ängftlich ein Vorbild wiederholt, wo
die Tufchtöne jedes inneren Lebens entbehren und die Fläche mit zahllofen getrennt
gefehenen Dingen überfüllt ift.

Die zweite Landfchaft (Abb. 2) trägt den Namen Li Kung-nien (jap. Rikönen). Die
Bezeichnung befindet fich auf dem Felfen rechts und geht fo reftlos in der Färbung des
Ganzen auf, daß es nicht ausgefchloffen ift, daß wir eine eigenhändige Infchrift vor
uns haben, mindeftens eine fehr alte. Über Li gibt es einige Notizen. Ein Meifter
der Sungdynaftie. Seine Lieblingsmotive waren Morgen- und Abendfzenen und die
vier Jahreszeiten in Landfchaften verkörpert. Sein großes Wirklichkeitsftreben wird
gerühmt. Unfere Landfchaft ift natürlich kein genaues Abbild der Wirklichkeit; viel-
mehr eine ideale Kompofition, hier allerdings in überrafchend freier Auffaffung. Der
Ruhm von Lis Realismus kann fich nur auf die Gefchloffenheit beziehen, mit der er
feine phantafievoll ausgewählten Sujets zu einem Bildeindruck zu vereinigen wußte,
daß wir vor der Natur felbft zu ftehen meinen. Gab Chung-jen eher ein zartes
Idyll, fo ift Li Kung-niens Werk mehr dramatifch. Von allen Seiten dräuen die Berge,
wogen die Nebel, raufchen die Waffer.

Das dritte Blatt (Abb. 3) repräfentiert die Art jener fein-minutiöfen Vögel- und
Blumenftücke, die der Tradition nach von Huang Chu-tfai und Hfu Chung-ffu, zwei
Meiftern der beginnenden Sungdynaftie1 eingeleitet wurde und in Japan fehr reich
vertreten ift. Die Bezeichnung lautet Han Je-cho. Han Je-cho, in der Provinz Honan
geboren, war, fo wird überliefert, ein Zeitgenoffe des kunftfinnigen, auch felbft als
Maler erfolgreichen Kaifers Hui Tfung (jap. Kifo Kotei, 1082—1135), den er einftmals
die Ehre hatte zu porträtieren. Die fchon begonnene Arbeit wurde jedoch unterbrochen
durch die Gefangennahme des Kaifers von feiten der Chin-Tartaren im Jahre 1127.
Unferen Meifter reizten Motive aus der Vogelwelt vor allen anderen. Seine Studien
pflegte er der Natur felbft abzulaufchen und bis auf die feinften Details auszuführen.
In überrafchender Schmiegfamkeit durchfchneiden die Reisähren und Halme die kleine
Fläche des wundervoll nachgedunkelten Papiers. Die kecken Spafeen, die darauf
fchaukeln und faft abrutfchen, fuchen gierig ein Reiskorn zu ergattern. Ganz zarte
Farben; die Farbengebung der beften chinefifchen Zeit. Wie immer bei Werken
diefes Genres Reichtum bei größter Zurückhaltung. Jedes laute Wort wird vermieden.
Die gefchloffenfte Harmonie in Kolorit und Kompofition, die überhaupt denkbar ift.
Dazu eine Beherrfchung der Wirklichkeit, die es verfteht, Naturnähe und durchgeifti-
gende Selbftändigkeit fouverän zu vereinen. — Die andere Hälfte der Albumblätter ift
fchwächer, wohl auch meift aus fpäterer Zeit. Indeffen die fechs genannten Arbeiten
— ich meine außer den befprochenen die von Pien Wu, Tai Sung und Li Fang-fhu —
in ihrer winzigen Kleinheit genügen vollkommen, um jedem Empfänglichen die Quali-
täten echter Sung- und Jüanmalerei zu offenbaren.

Dasfelbe kann von dem Landfchaftskakemono (Abb. 4) gelten, das Gejö Mafäo, ein
intelligenter japanifcher Kunftkenner, Sammler und Maler dem Kuo Hfi (jap. Kwäkki,
lO.Jahrh.) zufchreibt. Solche Zufchreibungen follen felbftverftändlich nur die ungefähre

1 Siehe Töyö Bijütfu Täikwan, Band 8, S. 13.

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