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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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23. Heft
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Cohn, William: Die Malerei in der ostasiatischen Kunstabteilung der Berliner Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0863

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MALEREI IN DER OSTASIATISCHEN KUNSTABTEILUNG DER BERLINER MUSEEN

Oeuvre ftehen, das an Großartigkeit in Oftapen ohne gleichen ift. Warum fich diefes
gute halbe Duzend fo hervorragender Schöpfungen in Japan befindet, ift vielleicht
gerade damit zu beantworten, daß die Arbeiten des in China vernachläffigten Mu
Ch’i für Japan leichter zu erftehen fein mochten. Das Berliner Mufeum befitp
eine Wildgans, die den beften Arbeiten im Stile Mu Chi’s außerordentlich nahe
kommt. Leider konnte die photographifche Veröffentlichung des Werkes nicht ge-
ftattet werden. Ich verftehe die Gründe. Aber diefes Verbot reißt eine ernfte Lücke
in meine Ausführungen. Das wichtigfte chinefifche Bild der Sammlung, das gewaltig
in die Wagfchale fallen würde, fehlt. So muß ich mich leider mit diefer kurzen Er-
wähnung begnügen. Eine zweite Mu-Ch’i zugefprochene Arbeit, der Vogel Pa-ko
(jap. Hahacho), aus der Sammlung des berühmten Teemeifters und DäimyösKöboriEnfhu,
ift, fcheint mir, ungleich fchwächer und überdies arg zerftört. Ich gebe hier nur ein
Kakemono (Abb. 7), das Kümmel als Mingkopie nach Mu Ch’i beftimmt. Herr Üyeno
Riichi in Ofaka befitjt eine Replik, die das Original oder depen befte Wiederholung
fein dürfte. Dargeftellt ift der Zenpriefter Chao-yang, der im Mondenfchein lefend am
Fuße eines Baumes fiijt. Das Werk ift immerhin wichtig, weil es trofe der fpäten Aus-
führung ernften Sunggeift atmet. Eine neuere Kopie, wenn nur von einem wirklichen
Künftler gefchaffen, vermag wohl die alte Zeit lebendig zu machen. Zudem ver-
anfchaulicht die ftimmungsvolle Nachtfzene glücklich die Richtung chinefifcher Figuren-
malerei, der es vor allem auf reine konzentrierte Linienkraft ankommt.

Vom weltfernen Gedankenleben des Buddhismus zum Hofe der Hankaifer, mit dem
fich unfer nächftes Bild befchäftigt. Weltliche chinefifche Figurenbilder aus der Präming-
zeit find in Japan nur in feltenen Beifpielen vorhanden. Es ift wichtig darauf hin-
zuweifen, daß es vorfchnell wäre, aus diefen Zahlenverhältnipen einen Schluß auf die
tatfächliche Verteilung der Motive zu ziehen. Wir dürfen nie vergepen, daß die Vor-
ftellung, die wir in Japan von altchinefifCher Malerei gewinnen können, ganz abhängig
ift von dem zufälligen Gefchmack der Japaner derAfhikaga- und frühen Tokugawazeit, wo
die meiften chinefifchen Werke nach dem Infelreiche kamen. Die Japaner zogen damals
Stope des Zen-Buddhismus und vor allem Tufchmalereien den weltlichen Motiven und
der Buntfarbigkeit vor. Die nebenftehende Arbeit (Abb. 8) ftammt aus dem Befitje der
Fürftenfamilie Mizuno. Kümmel gelang es vor kurzem in dem japanifchen Buche „Töyö
Rekifhi Däijiten“ (S. 589) eine Abbildung aufzufinden, die openbar einen kleinen Aus-
fchnitt aus unferem Bilde gibt. Der japanifche Autor nennt als Maler Ch’ien Shun-chü
(jap. Sen Shunkyo), den bekannten Meifter der Yüandynaftie. Wie weit das alles ftimmt,
ift fchwer feftzuftellen. In jedem Falle haben wir es dem Stile nach mit einer Schöpfung
der Yüanzeit (1280—1367) zu tun. Auf mich macht die Szene den Eindruck eines
Emakimono-Abfchnittes trots der abfoluten Selbftändigkeit und Abgefchloffenheit der
Kompofition. Auf einer längeren Bildrolle war vielleicht in getrennten Gruppen die
ganze Gefchichte der Prinzeffin Chao Chün, einer der zahllofen Frauen des Kai fers
Jüan Ti, gefchildert, die zu ferner Reife aufbricht, um Gattin eines Turk-Khans zu
werden1 (diefen Moment zeigt unfer Bild) oder etwa eine Reihe ähnlicher Sdiickfale
anderer Perfonen — Kombinationen, die in China durchaus gewöhnlich find. Aber
ganz feiten dürften die Werke von der Qualität unferer Szene fein. Und gerade bei
diefen Genremotiven ift die Kritik nur zu geneigt am Äußerlichen haften zu bleiben.
Man läßt fich fo leicht von dem reizvollen Stop und der glatteren Technik fangen.

1 Siehe Giles, Dictionary, Nr. 2148.

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