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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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23. Heft
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Cohn, William: Die Malerei in der ostasiatischen Kunstabteilung der Berliner Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0866

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MALEREI IN DER OST ASIATISCHEN KUNSTABTEILUNG DER BERLINER MUSEEN

flbb. 10. Chiang Sung, die vier Jahreszeiten (Winter). Tujchmalerei auf Papier. 118x23 cm

liehen und füdlichen Schulen feßen [ich hier im neuen Gewände fort. Wu I-hfens
Dramatik kommt unleugbar zur Wirkung: Unter einer gewaltigen Felswand ein Boot mit
Menfchen darin. Die Felswand dicht vor unferen Augen emporwachfend im Kontraft
zu der ausgefprochenen Fernwirkung links. Sturm und Sonnenregen fahren fchräg über
die Szene her und hüllen fie in feuchten Dunft. Die Wellen des Sees unruhig gekräufelt.
Das Laub fällt von den durchrüttelten Herbftbäumen. Die Bootsinfaffen ducken fich
unter den Regenfchauern zufammen. Eiligft fucht der Bootsmann das Ufer zu er-
reichen. Wenn auch die Bildfläche nadi Mingart bis obenhin gefüllt ift, fo erfcheint
das Motiv noch einheitlich gefehen. Gerade in der fpäteren Mingperiode fallen die
Teile der Landfchaften oft völlig auseinander. Aber Sturm- und Regenfzenen in alter
Zeit — ich nenne zum Vergleich nur den Hfia Kuei des Herrn Kawafaki in Kobe1 2 —
hatten doch einen ganz anderen Charakter. Naturaliftifche Momente treten jetjt weit
ftärker in den Vordergrund, während die Kraft des einzelnen Pinfelzuges deutlich er-
mattet. Der Eindruck ift effektvoller geworden, aber hat an feelifcher Tiefe verloren.

In dem Landfchaftsmakimono (Abb. 10) haben wir zum erften Male in diefem
Zufammenhange ein Werk vor uns, das in China felbft erftanden wurde. Ming-
originale find ja im allgemeinen das Höchfte, was fich heute in China erwerben läßt.
Vielleicht bringen es die modernen Reformen mit fich, daß in Zukunft alte Schätze der
Malerei des Landes, an deren Exiftenz man wohl kaum zweifeln kann, aus ihrer Ver-
borgenheit auf tauchen. Unfere Rolle, die aus vier getrennten, die vier Jahreszeiten
verkörpernden Landfchaftsfzenen befteht, ift ein ficheres Original des fehr beliebten
Malers Chiang Sung (jap. Shofu). In Nan-king geboren, bildete er mit einer Reihe von
Kollegen eine Gruppe von Sezeffioniften. Von einem von ihnen Chang Ping-fhan
(jap. Chöheizan) wird ein Datum berichtet. Daraus ift zu fchließen, daß Chiang Sung
als Zeitgenoffe von Chang Ping-fhan um die Wende des 16. Jahrhunderts gelebt
haben muß. Wie Wu I-hfen, fteht er der Che-chiang-Schule nahe. Sein Vorbild
foll vor allem der berühmte Wu Wei (jap. Goi) gewefen fein. Der Nanzenji, ein Tempel
in Kyoto, befitjt ein intereffantes Werk3 unferes Meifters. Deutlich find die Stilgemein-
famkeiten der beiden Arbeiten. Aber die Kyotoer Landfchaft, wenn auch fehr fein in
allen Einzelheiten, verfagt in der Kompofition, die ohne jede Bindung auseinanderfällt.
Die Berliner Bildrolle dagegen befriedigt in dem Reiz der Details, wie in der Ge-
fchloffenheit des Aufbaus. Mit der ganzen Virtuofität in Pinfel und Tufche, die der
Mingzeit eigen ift, hingeworfen, ziehen die Szenen an uns vorüber — immer inter-
effierend, niemals eintönig/’ _

1 Siehe Töyö Bijütfu Täikwan, Band 8, Tafel 55.

2 Siehe Shimbi Täikwan, Band 3, Tafel 27.

3 Die leider allzu klein ausgefallene Abbildung kann kaum eine Vorftellung von dem Original
vermitteln.

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