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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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24. Heft
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0914

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AUSSTELLUNGEN

In den Blättern, die das elegante Paris in Na-
poleons des Dritten Glanzzeiten fchildern und an
uns vorüberziehen laffen in unverblaßter Frifche
und Eleganz, in den pikanten Darftellungen aus
den „maisons closes“ oder den packenden Volks-
fzenen aus dem Orient, zu denen in der Änficht
des Bosporus ein überaus geiftreiches Land-
fchaftsbild kommt, lernt man bewundernd
einen Künftler von größter Beweglichkeit und
verblüffender Sicherheit des Auges kennen. Von
Renoir fieht man ein großes Paftell „Dame mit
Schleier“, das Schwarz der Kleidung von
prickelndem Reiz vor dem dünnen, durch-
fichtig gelben Grund, daneben ein feines
Aquarell Manets „Dame mit Fächer“ und eine
Reihe Degasfcher Tänzerinnen, Meifterwerke der
Zeichenkunft. Es ift billig, auch Daumier den
vielleicht größten der Zeichner in einigen Arbeiten
vorzuführen. Eine kleine Zahl hervorragendfter
Radierwerke rundet das Bild ausländifcher Kunft
ab: Meryon, Corot, Legros find in Hauptblättern,
meift Abdrücken von glänzender Qualität ver-
treten. Bei dem geringen Intereffe und Ver-
ftändnis des Publikums für die beften Leitungen
graphifcher Kunft des 19. Jahrhunderts, kann man
der Sezeffion für dergleichen zu Nuß und From-
men als Mahnung gezeigten Werken nur dank-
bar fein. Denn im Kgl. Kupferftichkabinett fieht
fich das gebildete Berlin dergleichen nicht an, alfo
muß Meryon auf der Sezeffion entdeckt werden.
— Übergehend zu den Stüßen der Sezeffion,
finden wir von Liebermann den großen Karton
zu feinem Gemälde „Judengaffe in Amfterdam“
und eine Reihe von Paftellen, in denen des
Künftlers Vermögen Licht und Sonnenglanz in
erftaunlicher Leuchtkraft zu bannen, noch um
einige Grade geftiegen zu fein fcheint. Sein
neuer Sommerwohnpß am Wannfee hat ihm
allerlei freundliche Motive gebracht: die Ruder-
boote auf dem See mit buntem Volk darin und
elegante Damen läffig am Ufer in Korbftühlen
fißend, vom Sonnenlicht überflutet. Corinth
bringt ein großes, äußerft frifches Paftell „Aus
Hamburg“, den Blick durch Bäume hindurch auf
einen Bootshafen, daneben lebensvolle Porträt-
ftudien, gezeichnete, radierte und lithographierte.
Erftaunlich in jeder Beziehung, an Farbenkraft,
Luft und Licht find Slevogts Aquarelle, Motive
aus München, von der See, aus dem Riefen-
gebirge, daneben ein Blättchen aus London
„Beflaggte Straße“ von unbefchreiblichem Leben
und unendlicher Beweglichkeit. Diefe Slevogts
zeigen das Vermögen des Künftlers in kleinen
Ausschnitten ein Stück der Natur denkbar reich
darzuftellen in wachfender Vollkommenheit. Ein
ganzer Saal faft ift Hodler eingeräumt, deffen
große Zeichenkunft wohl am allerbeften das

Verftändnis feinerPerfönlichkeit vermittelt. Zahl-
reiche Blätter find Entwürfe zum „Rückzug von
Marignano“, die übrigen zeigen ideale Geftalten
und Studien zu Gemälden wie die zum „Holz-
hacker“, der auf der Sommerausftellung diefes
Jahres hing. Bemerkenswert ift fchließlich eine
Lithographie zum „Auszug Jenenfer Studenten“.
Zu den bedeutendften Werken der ganzen Aus-
heilung möchte ich einen riefigen, farbig an-
gelegten Karton Edvard Munchs rechnen, „die
Gefchichte“ genannt, zur Ausführung in einer
Univerfität gedacht. Unter einem riefigen, nied-
rigen, weitveräftelten Baum vor einer weiten
Berglandfchaft fißt ein Mann, der einen Knaben
belehrt. Ich kenne kein Werk des Norwegers,
das fo großzügig in mächtigen Linien eine wahre
Riefenfläche (ungefähr 10 Meter Länge bei 3 Me-
tern Höhe!) zufammenreißt und mit zwingender
Gewalt den Blick auf die eine, denkbar einfach
gehaltene Gruppe feftlegt. Das ift großer, mo-
numentaler Freskenftil. —

Des Guten ift noch viel zu nennen. Da ift
Frau Kollwiß mit ihren leßten Radierungen,
darunter dem tiefergreifenden „Überfahren“ das
eine weiche bisher nicht erftrebte Schönheit und
Schwungkraft der Kompofition befißt und meh-
reren Zeichnungen, Otto Greiner mit einer Reihe
von Studien zu dem großen Stich, die „Hexen-
fchule“, fämtlich aus der Sammlung Dr. Hirzeis
in Leipzig, Kalckreuth bringt Zeichnungen und
feine leßten Radierungen, aus deren wachfend
breiter Behandlung eine günftige Weiterentwick-
lung zu fchließen ift, Dora Hiß zeigt farben-
kräftige, eindrucksvolle Studienköpfe, denen
gleichfalls ein frifcher Geift neuer Äuffaf-
fung nachzurühmen ift. Den Zeichnungen Paul
Baums und Theo von Brockhufens kann man
einen Vorwurf machen: diefe Landfchafts-

bilder find allzu groß geraten für die einfilbige
Technik des Schwarz-Weiß, um fie zu füllen
und intereffant zu geftalten muß eine ftärkere
Künftlerperfönlichkeit den Stift führen — van
Gogh hat das gekonnt! Seinen Bildern, in
denen der Entwicklungskampf allzufehr auf
Koften ihrer Erfcheinnng tobt, bedeutend vor-
zuziehen, find Max Beckmanns Zeichnungen,
vor allem einige vorzügliche Aktfiguren, während
die Landfchaften noch kein rechtes Urteil
erlauben. Faure in Stuttgart bringt ausgezeich-
nete Äquatintablätter, Schinnerer reizvolle Flo-
rentiner Anßchten, in denen der durch und durch
deutfche Künftler den Reizen Italiens neue, zarte
Schönheiten abgelaufcht hat, Ernft Gabler ver-
fucht fich ohne befonderen Erfolg mit vlämifchen
Städtebildern (Radierungen) und Wilhelm Gail-
hof gibt zwei flott hingeworfene Lithographien,
Darftellungen einigermaßen bedenklich be-

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