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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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20. Heft
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Biermann, Georg: Die Ausstellung französischer Kunst im Leipziger Kunstverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0746

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DIE AUSSTELLUNG FRANZÖSISCHER KUNST IM LEIPZIGER KUNSTVEREIN

entbehren können (Gott fei Dank),
fondern daß wir nach Maßgabe
unferer eigenen Leiftungen allmäh-
lich auch den Standpunkt kriti-
fchen Urteilsvermögens befißen, der
uns die Leiftungen der Nachbar-
nation allein unter dem Gefichts-
punkt ihres primitiven Wertes ein-
fchäßen läßt. Erft unter diefer
Vorausfeßung wird die Leipziger
Ausftellung zum Erlebnis, für das
wir den Veranftaltern aufrichtig
danbkar find. Hat man auch oft
genug das Gefühl des willkürlich
Zufammengebrachten, fo bleibt das
Fazit doch erfreulich. Nicht fo
fehr, weil das Programm wirklich
erfüllt worden wäre, jenes retro-
fpektiv-hiftorifche Programm, das
die allgemeinen Richtlinien der Ent-
wicklung aufweifen foll, fondern
weil es unter den einzelnen Werken
fo viele hervorragende Dokumente
franzöfifchen Kunftfchaffens gibt,
die dem Forfcher doppelt teuer
find, wenn auch das Publikum acht-
los und ohne Verftändnis daran
vorbei gehen wird. NICOLAS DE LHRGILL1ERE, Bildnis des Baron de Prangins

Es ift freilich felbftverftändlich,

daß auch die Heroen franzöfifchen Geiftes, die folgenfchwer die Entwicklung in neue
Bahnen gedrängt haben als Perfönlichkeiten nicht fo ftark in den Vordergrund treten
konnten, daß fie alles beherrfchend über dem Ganzen ftehen. Der Kenner muß fich
eben an den vereinzelten Proben Genüge fein laffen und wenn er von diefen aus
die Wege ins Allgemeine fucht, fo ift es gar nicht fo fchwer, das Ganze zu einem
harmonifchen Gefamtbilde zufammenzubringen.

Sicherlich genügt es nicht, wenn für die frühe franzöpfche Kunft bis zur Ära der
Revolution nur zwanzig Bilder vorgeführt werden, und wenn die gleiche Anzahl von
Werken das Charakteriftifche der Kunft des 19. Jahrhunderts bis an die Schwelle der
Moderne andeuten foll, aber wenn in der erften Abteilung überhaupt fchon Meifter wie
Watteau, Boucher, Fragonard, Greuze, Chardin u. a. vertreten find, wenn in der zweiten
Abteilung Namen wie David, Delacroix, Jngres, Corot, Millet, Courbet, Manet, Ribotu. a.
aufgeführt find (und zwar mit durchweg einwandfreien Proben ihres Schaffens), fo
darf man doch fagen, daß eine folche Kunftfchau für fich auf dem Boden deutfchen
Ausftellungswefens — allein um diefer Proben willen — ein Ereignis ift.

Und gerade das, was in diefer retrofpektiven Abteilung gezeigt wird, verleiht der
Veranftaltung den Stempel des künftlerifch und kunfthiftorifch Wertvollen. Über die
Qualität der modernen Franzofen, die nach Leipzig kamen, läßt fich ftreiten. Ich
 
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