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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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20. Heft
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Biermann, Georg: Die Ausstellung französischer Kunst im Leipziger Kunstverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0748

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DIE AUSSTELLUNG FRANZÖSISCHER KUNST IM LEIPZIGER KUNSTVEREIN

Lebrun, deren Art nur durch das große Ereignis der Revolution innerlich ihre Erklärung
findet, fteht mit einem Fuß noch mitten im Rokoko, mit dem andern (und das muß
gegenüber früheren Doktrinen zweimal unterftrichen werden) ganz im neuzeitlichen Wollen
eines durch die Gestalt Napoleons und feiner antikifchen Apoftrophie verklärten Zeitalters,
das man gemeinhin neoklaffiziftifch genannt hat. Was von diefer durch Anfchauung
der Zeit ftaatlich fanktionierten Kunftweife zu der prachtvoll reaktionären Erkenntnis der
um die fünfziger Jahre einfetjenden Bewegung geführt hat, wird auf der einen Seite
durch Ingres, auf der anderen aber durch Delacroix erklärt. Daß diefe Beiden nicht
fehlen, muß befonders betont werden. Zwar fieht man von Delacroix, diefem unge-
ftümen Dränger nach monumentaler Wiedergabe des gefchichtlichen Lebens, diefem
neuen Michelangelo des revolutionären Frankreich nur eine unzulängliche Kopie nach
der Rubensfchen Wildfehweinjagd, von Ingres dagegen einen antikifch erfaßten weib-
lichen Akt, der ganz das Wefen feiner Kunft ausfehöpft. Und von diefen Beiden geht
es fort zu Isabey, Corot, Millet, Courbet, Monticelli, dem kühnen romantifch ange-
hauchten Meifter impreffioniftifcher Geftaltung und weiter zu Ribot, der ein neuzeit-
licher Velazquez, die Tiefe feiner Töne zu fonoren Klängen im allgemeinen Menfchen-
fchickfal weckt. Selbft der träumerifche Puvis de Chavannes, der große Pfadfinder
monumentaler Kunft und ftiller Innerlichkeit ift da und fchlägt, fo ganz anders geartet,
für fich die Note an, die aus den wundervollen Fresken des Pantheon auf die Moderne
herüberklingen sollte, ohne den fo ganz neuzeitliche Meifter wie Cheret und Maurice
Denis einfach nicht zu begreifen find.

Soll man aufzählen, wer in diefer Gefellfchaft etwa noch fehlt! Es genügt feftzu-
ftellen, daß die Linie versucht ift, die ins Programmatische weift, ob fie vollkommen
freigelegt ift, mag eine andere Frage fein. Die moderne franzöfifche Kunft, wie fie diefe
Ausftellungauszufchöp-
fen verfucht, bleibt da-
gegen ein Strichpunkt
ohne Fortfefeung. Wir
begrüßen es dankbar,
daß im Rahmen diefer
Periode ein Duzend der
erften Künftler Frank-
reichs zu Worte kom-

men, bedauern es aber
auf der andern Seite auf-
richtig, daß das fchöne
Bild von der fouverä-
nen Könnerfchaft, das
diewenigen preisgeben,
durch einen embarras

de richesse verdunkelt

wird, der felbft dem
Fachmann das Erken-

nen des Wertvollen

nicht ganz leicht macht.
Hier find offenbar ge-
fellfchaftlich-konventio-

HORÄCE VERNET, Im Ätelier des Künftlers

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