Von HÄNS JHNTZEN
JÄN SCOREL UND BRÄMÄNTE1
Das neugefundene Werk Jan Scorels, das
Guftav Glück im vorletjten Heft des Cicerone
veröffentlicht hat, wird nicht nur in der Ge-
fchichte des Architektur bi 1 des eine wichtige
Rolle fpielen — es nimmt unter den holländi-
fchen gemalten Architekturen jener Zeit weit-
aus die erfte Stelle ein —, fondern dies
Gemälde Scorels gewinnt auch befondere Be-
deutung für die Architekturgefchichte der Hoch-
renaiffance. Der auf dem Bilde dargeftellte
Raum zeigt nämlich nichts geringeres als die
Peterskiche desBramante. Scorel fuchthier
im engen Anfchluß an die Bauteile, die bei
feinem Aufenthalt in Rom bereits aufgeführt
waren und im wefentlichen der Tätigkeit Bra-
mantes und Raffaels angehörten, einen Gefamt-
eindruck des gewaltigen Domes zu vermitteln.
Um fich am fdinellften von der Zugehörigkeit
der Scorelfchen Architektur zu Bramantes Plänen
für die Peterskirche zu überzeugen, genügt ein
Blick auf Studie G bei Geymüller, Bl. 21, nach
der Paufe Le Taroullys.2 Die klare Äufriß-
zeichnung macht die Vergleichung fehr bequem.
Noch auffälliger wird die Übereinftimmung, wenn
man dasfelbe Blatt nimmt, aber nur den Teil,
der bei Geymüller im Textbuch (Studie G) re-
produziert ift. Hier ift die Zeichnung zufällig
fo befchnitten, daß die rechte Seite des Blattes
in der Hauptfache diefelbe Ärchitekturanficht
zeigt wie das Gemälde Scorels: vorn die Doppel-
pilafter der Koloffalordnung an dem Kuppel-
pfeiler, dann nach der Tiefe zuerft die Nifche
desfelben Pfeilers (bei Bramante im Grundriß
eingezeichnet), darauf die Nebenkuppel und zu-
leßt die Nifche des Eckpfeilers und die ab-
fchließende Apfis. Als Verfchiedenheiten er-
geben fich, daß in der Zeichnung Bramantes (die
ja noch nicht endgültig war), die Details fehlen,
vor allem, daß noch keine Piedeftale für die
Pilafter angegeben find. Ferner zeigt der Grund-
riß eine kleine Abweichung infofern als bei Bra-
mante in diefem Plan die Nebenkuppel auf
Schrägen ruht.
Daß Scorels Gemälde tatfächlich einen Ein-
blick in einen der Nebenkuppelräume S. Peters,
wie fie von Bramante geplant waren, darftellt,
zeigen weitere Vergleiche. Die gekuppelten
Koloffalpilafter, die wir bei Scorel vorn links
fehen, gehören einem der Pfeiler zur Zentral-
kuppel an, und zwar die Schäfte mit den im
unteren Teil gefüllten Kanneluren fo wie fie * S.
1 Als Ergänzung zu dem Beitrag von Guftav Glück „Ein
neugefundenes Werk Jan Scorels“ in Heft 17 diefer Zeit-
fchrift.
- H. v. Geymüller, Die urfpriinglichen Entwürfe für
S. Peter in Rom. Paris und Wien 1875.
noch heute zu fehen find. Außerdem finden
wir aber bei Scorel die von Bramante beab-
fichtigten Piedeftale. Es find die Piedeftale, die
fpäter durch Antonio da Sangallo, als er den
Fußboden um 16 Palmen erhöhen ließ, kaffiert
wurden. Geymüller nimmt an (a. a. O. S. 236),
daß fie von Bramante geplant waren, aber erft
fpäter vorgeblendet werden füllten. Da diefe
Sockel bei Scorel, der 1522—1524 in Rom war,
zu fehen find, fo ergibt fich die Frage, ob fie
vom Maler nach Plänen in etwas phantaftifcher
Weife hinzugefügt find, oder ob die Piedeftale
fchon vorhanden waren, vielleicht unter Raffaels
Bauleitung angefügt wurden. Auf die Art des
Schmuckes fei zum Schluffe noch einmal ver-
wiefen.
Die Pilafterordnung vergleiche man auch mit
Geymüllers Rekonftruktion des endgültigen
Durchfchnitts, wie er für Bramante anzunehmen
ift. In der Aufteilung der Fläche zwifchen den
Pilaftern ergeben fich manche Übereinftimmungen.
Zu unterft, auf dem Piedeftal aufftoßend, eine
im Halbkreis gefchloffene Nifche. Darüber ein
rechteckig umrahmtes Feld, das bei Scorel in-
deffen zur Nifche vertieft ift und fchließlich oben
die dritte Nifdie, die bei Scorel vom Rahmen
überfchnitten wird. Die Gefimfe, die ebenfo
wie bei Bramante, den Kämpfer des benach-
barten Gurtbogens zwifchen den Pilaftern weiter-
führen, hat Scorel befonders gefchickt mit den
Nifchen verbunden.
Damit gelangen wir jeßt zur Äußenfeite von
Bramantes Kuppelpfeiler. Links über den Bild-
abfchluß hinaus würden wir an der abgefchräg-
ten, der Zentralkuppel zugewandten, Seite des
Pfeilers entlang blicken. Die andere im Ge-
mälde fichtbare Seite zeigt noch die Nifche,
die für Bramantes Kuppelpfeiler charakteriftifch
ift, und die erft fpäter von Michelangelo zu-
gemauert wurde. Der Grundriß diefer Nifchen-
wand, wie Scorel fie gemalt hat, ftimmt genau
mit Bramantes Plan überein. Der Kämpfer, der
vielleicht auf Raffael zurückgeht, zeigt im Bilde
die Anordnung, die Antonio da Sangallo in
feinem Memoriale tadelt (vgl. Geymüller (a. a.
0. S. 247). Über die Kaffettierung der Tonne
weiter unten.
Für die Nebenkuppel Bramantes war, wie
auch Geymiiller (S. 252) annimmt, kein Tambour
geplant, „fondern über den vier Bögen ein Ge-
bälk und eine Halbkreiskuppel“. Das Gemälde
Scorels beftätigt diefe Annahme und fügt noch
hinzu, daß es j'ich um ein einfaches Dorifches
Gebälk handelt.
Decken wir alfo die Teile des Hintergrundes
zu, fo haben wir den Hauptpfeiler des Bramante
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JÄN SCOREL UND BRÄMÄNTE1
Das neugefundene Werk Jan Scorels, das
Guftav Glück im vorletjten Heft des Cicerone
veröffentlicht hat, wird nicht nur in der Ge-
fchichte des Architektur bi 1 des eine wichtige
Rolle fpielen — es nimmt unter den holländi-
fchen gemalten Architekturen jener Zeit weit-
aus die erfte Stelle ein —, fondern dies
Gemälde Scorels gewinnt auch befondere Be-
deutung für die Architekturgefchichte der Hoch-
renaiffance. Der auf dem Bilde dargeftellte
Raum zeigt nämlich nichts geringeres als die
Peterskiche desBramante. Scorel fuchthier
im engen Anfchluß an die Bauteile, die bei
feinem Aufenthalt in Rom bereits aufgeführt
waren und im wefentlichen der Tätigkeit Bra-
mantes und Raffaels angehörten, einen Gefamt-
eindruck des gewaltigen Domes zu vermitteln.
Um fich am fdinellften von der Zugehörigkeit
der Scorelfchen Architektur zu Bramantes Plänen
für die Peterskirche zu überzeugen, genügt ein
Blick auf Studie G bei Geymüller, Bl. 21, nach
der Paufe Le Taroullys.2 Die klare Äufriß-
zeichnung macht die Vergleichung fehr bequem.
Noch auffälliger wird die Übereinftimmung, wenn
man dasfelbe Blatt nimmt, aber nur den Teil,
der bei Geymüller im Textbuch (Studie G) re-
produziert ift. Hier ift die Zeichnung zufällig
fo befchnitten, daß die rechte Seite des Blattes
in der Hauptfache diefelbe Ärchitekturanficht
zeigt wie das Gemälde Scorels: vorn die Doppel-
pilafter der Koloffalordnung an dem Kuppel-
pfeiler, dann nach der Tiefe zuerft die Nifche
desfelben Pfeilers (bei Bramante im Grundriß
eingezeichnet), darauf die Nebenkuppel und zu-
leßt die Nifche des Eckpfeilers und die ab-
fchließende Apfis. Als Verfchiedenheiten er-
geben fich, daß in der Zeichnung Bramantes (die
ja noch nicht endgültig war), die Details fehlen,
vor allem, daß noch keine Piedeftale für die
Pilafter angegeben find. Ferner zeigt der Grund-
riß eine kleine Abweichung infofern als bei Bra-
mante in diefem Plan die Nebenkuppel auf
Schrägen ruht.
Daß Scorels Gemälde tatfächlich einen Ein-
blick in einen der Nebenkuppelräume S. Peters,
wie fie von Bramante geplant waren, darftellt,
zeigen weitere Vergleiche. Die gekuppelten
Koloffalpilafter, die wir bei Scorel vorn links
fehen, gehören einem der Pfeiler zur Zentral-
kuppel an, und zwar die Schäfte mit den im
unteren Teil gefüllten Kanneluren fo wie fie * S.
1 Als Ergänzung zu dem Beitrag von Guftav Glück „Ein
neugefundenes Werk Jan Scorels“ in Heft 17 diefer Zeit-
fchrift.
- H. v. Geymüller, Die urfpriinglichen Entwürfe für
S. Peter in Rom. Paris und Wien 1875.
noch heute zu fehen find. Außerdem finden
wir aber bei Scorel die von Bramante beab-
fichtigten Piedeftale. Es find die Piedeftale, die
fpäter durch Antonio da Sangallo, als er den
Fußboden um 16 Palmen erhöhen ließ, kaffiert
wurden. Geymüller nimmt an (a. a. O. S. 236),
daß fie von Bramante geplant waren, aber erft
fpäter vorgeblendet werden füllten. Da diefe
Sockel bei Scorel, der 1522—1524 in Rom war,
zu fehen find, fo ergibt fich die Frage, ob fie
vom Maler nach Plänen in etwas phantaftifcher
Weife hinzugefügt find, oder ob die Piedeftale
fchon vorhanden waren, vielleicht unter Raffaels
Bauleitung angefügt wurden. Auf die Art des
Schmuckes fei zum Schluffe noch einmal ver-
wiefen.
Die Pilafterordnung vergleiche man auch mit
Geymüllers Rekonftruktion des endgültigen
Durchfchnitts, wie er für Bramante anzunehmen
ift. In der Aufteilung der Fläche zwifchen den
Pilaftern ergeben fich manche Übereinftimmungen.
Zu unterft, auf dem Piedeftal aufftoßend, eine
im Halbkreis gefchloffene Nifche. Darüber ein
rechteckig umrahmtes Feld, das bei Scorel in-
deffen zur Nifche vertieft ift und fchließlich oben
die dritte Nifdie, die bei Scorel vom Rahmen
überfchnitten wird. Die Gefimfe, die ebenfo
wie bei Bramante, den Kämpfer des benach-
barten Gurtbogens zwifchen den Pilaftern weiter-
führen, hat Scorel befonders gefchickt mit den
Nifchen verbunden.
Damit gelangen wir jeßt zur Äußenfeite von
Bramantes Kuppelpfeiler. Links über den Bild-
abfchluß hinaus würden wir an der abgefchräg-
ten, der Zentralkuppel zugewandten, Seite des
Pfeilers entlang blicken. Die andere im Ge-
mälde fichtbare Seite zeigt noch die Nifche,
die für Bramantes Kuppelpfeiler charakteriftifch
ift, und die erft fpäter von Michelangelo zu-
gemauert wurde. Der Grundriß diefer Nifchen-
wand, wie Scorel fie gemalt hat, ftimmt genau
mit Bramantes Plan überein. Der Kämpfer, der
vielleicht auf Raffael zurückgeht, zeigt im Bilde
die Anordnung, die Antonio da Sangallo in
feinem Memoriale tadelt (vgl. Geymüller (a. a.
0. S. 247). Über die Kaffettierung der Tonne
weiter unten.
Für die Nebenkuppel Bramantes war, wie
auch Geymiiller (S. 252) annimmt, kein Tambour
geplant, „fondern über den vier Bögen ein Ge-
bälk und eine Halbkreiskuppel“. Das Gemälde
Scorels beftätigt diefe Annahme und fügt noch
hinzu, daß es j'ich um ein einfaches Dorifches
Gebälk handelt.
Decken wir alfo die Teile des Hintergrundes
zu, fo haben wir den Hauptpfeiler des Bramante
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