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Eine merkwürdige Pariser Kunstindustrie.
(Originalbericht des „Journals der Goldschmiedekunst“.)
(Nachdruck verboten.)
In einer Ausstellung, die unlängst von der Leitung des
städtischen Archivs in der Rue de Sevigne in Paris ver-
anstaltet wurde und die das Paris der Romantiker, 1830
bis 1840, repräsentierte, konnte man unter den angehäuften,
sehr interessanten Doku-
menten dieser merkwür-
digen Epoche auch eine
Kollektion der seltsamsten
Kunstwerke aus — Men-
schenhaar sehen: Me-
daillons, Broschen, Ringe,
Uhrketten, Armbänder,
kleine Spiegelrahmen, Uhr-
anhängsel und dergleichen
zierlichen Tand, aber auch
Blumen und selbst kleine
Buketts aus Haaren, und
— so unwahrscheinlich es
auch klingen mag - Bilder
und Miniaturen, an denen
nicht nur Kopfhaar, Wim-
pern und Brauen aus natür-
lichem Haar bestanden, son-
Montmartre spürte ich einige dieser Tisseurs auf, die mir
mit liebenswürdigem Entgegenkommen über alle Einzelheiten
ihres Berufs Auskunft gaben. Dass ihre Kunst jederzeit
gebührende Schätzung fand, beweist unter anderm auch
eine Stelle aus dem Testa-
ment Napoleons, das der
grosse Korse am 15. April
1821 auf St. Helena dik-
tierte und in dem es heisst:
„Meine Haare wird General
Marchand aufbewahren und
daraus in Paris Armbänder
anfertigen lassen, die an
die Kaiserin Marie-Louise,
an meine Mutter und Ge-
schwister verteilt werden
sollen“.
Das Handwerkszeug,
dessen sich die Tisseurs
bedienen, ist sehr einfach:
eine Lupe, kleine Pinzetten,
blattdünne, scharfe Skalpeis
und endlich eine Art von
Gürtelschloss in Silberfiligran.
Von Joseph B. Citroen. Amsterdam.
dernwomanauchzumMalen
Drehscheibe, wie sich ihrer
Zer-
Aus
nun
ver-
und
Broschen in Goldfiligran,
’on Joseph B. Citroen, Amsterdam.
Geflecht unglaublich schwere
anhängen kann, ohne ein
befürchten zu müssen.
schmalen Schnüren werden
wieder zu hohen Ehren ge-
die „tisseurs des cheveux“
blühen im Verborgenen; ihre
sind nur den Interessenten
sie üben ihr Metier, dessen Ge-
heimnisse, Kunstgriffe und Vorteile sich
vom Vater auf den Sohn vererben, in ab-
gelegenen Vierteln aus, wie der Montagne
St.Genevieve, oder in den versteckten Pas-
sagen und Durchgängen, die sich in Paris
von Gesicht und Händen eine aus pulverisiertem Menschen-
haar und Oel bereitete Farbe
Unter der grossen Menge
unbekannten Sammlern, die
haberei oft den seltsamsten
zuwenden, gibt es auch eine beträcht-
liche Zahl solcher, die dergleichen Haar-
wunder zu oft fabelhaft hohen Summen
erwerben. Besonders Amerika, das seit
jeher den bizarrsten Manien auf diesem
Gebiete , huldigt, liefert den Pariser An-
tiquitätenhändlern die besten Kunden.
Denn für diese eigenartige Industrie ist
Paris nicht nur der Ort, wo sie erfunden
wurde, etwa um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts; sie hat sich da bis auf den
heutigen Tag erhalten, fast durchwegs
ausgeübt von den Nachkommen jener
„Haarkünstler“, die unter Louis XV. und
Louis XVI. so angesehen waren, dass
sie, ebenso wie die damals hochgeehrten
Barbiere und Perrückenmacher, einen
Degen trugen und sich die stolzesten
Namen beilegten. Die Kunst der Fri-
seure ist in unseren Tagen, dank der
allgemein üblichen extravaganten Damen-
frisuren ,
kommen;
dagegen
Adressen
bekannt;
die Spitzenklöpplerinnen bedienen und wo an schmalen
Spulen die Haare aufgewickelt werden, nachdem man sie
hinreichend entfettet und von allen fremden Substanzen
gereinigt
in so grosser An-
zahl vorfinden und für den aufmerksamen Spaziergänger eine
so grosse Anziehungskraft haben, weil man da auf Schritt
und Tritt die seltsamsten Kunsthandwerker in ihren kleinen
Ateliers beobachten kann. In der Passage Choiseul, im
Faubourg St. Denis und in manchen stillen Gässchen des
verwendet hatte.
der dem weiteren Publikum
ihre leidenschaftliche Lieb-
Objekten
hat. Dies ermöglicht die einfachste Art der
Verarbeitung, das Flechten zu schmalen,
zierlich durchbrochenen Bändern, ge-
schmeidiger und weicher selbst als die
beste Seide und dabei äusserst haltbar,
da man an ein derartiges spinnweb-
feines
Lasten
reissen
diesen
Armbänder, Uhrketten und Kolliers
fertigt, in Gold und Silber gefasst
mit Perlen oder Edelsteinen geschmückt,
oft wahre Kunstwerke, wie man bei-
spielsweise in der Auslage eines re-
nommierten Juweliers der Rue de la Paix
ein derartiges Halsband, mit Saphiren
und Brillanten verziert und als Mittel-
stück eine wunderschöne graue Perle
tragend, mit 50 000 Francs bewertet
sehen kann. Ein Goldschmied der Rue
St. Honore, dessen Spezialität dergleichen
Schmucksachen sind, zeigte mir eine
grosse Anzahl wundervoll gearbeiteter
Ringe, die sich öffnen lassen und im
Innern, um einen Golddraht gerollt, ein
Büschel Haare zeigen. Neben den
üblichen Medaillons, die dem gleichen
Zwecke dienen, gibt es noch Louisdors,
die in Prägung und Form den üblichen
Goldmünzen gleich sind, aber durch einen
geheimen Federdruck aufspringen und eine
Art hohler Doppelmuschel bilden, ferner Busennadeln, Agraf-
fen. Manschettenknöpfe und Haarkämme, die gleicherweise
zur Aufbewahrung dieser pietätvollen Reliquien bestimmt sind.
Doch ungleich kunstreicher sind manche Arbeiten dieses
Genre, die man in den Vitrinen des Louvre und des Museum
Carnavalet bewundern kann, Miniaturen auf Holz, Elfenbein,
Eine merkwürdige Pariser Kunstindustrie.
(Originalbericht des „Journals der Goldschmiedekunst“.)
(Nachdruck verboten.)
In einer Ausstellung, die unlängst von der Leitung des
städtischen Archivs in der Rue de Sevigne in Paris ver-
anstaltet wurde und die das Paris der Romantiker, 1830
bis 1840, repräsentierte, konnte man unter den angehäuften,
sehr interessanten Doku-
menten dieser merkwür-
digen Epoche auch eine
Kollektion der seltsamsten
Kunstwerke aus — Men-
schenhaar sehen: Me-
daillons, Broschen, Ringe,
Uhrketten, Armbänder,
kleine Spiegelrahmen, Uhr-
anhängsel und dergleichen
zierlichen Tand, aber auch
Blumen und selbst kleine
Buketts aus Haaren, und
— so unwahrscheinlich es
auch klingen mag - Bilder
und Miniaturen, an denen
nicht nur Kopfhaar, Wim-
pern und Brauen aus natür-
lichem Haar bestanden, son-
Montmartre spürte ich einige dieser Tisseurs auf, die mir
mit liebenswürdigem Entgegenkommen über alle Einzelheiten
ihres Berufs Auskunft gaben. Dass ihre Kunst jederzeit
gebührende Schätzung fand, beweist unter anderm auch
eine Stelle aus dem Testa-
ment Napoleons, das der
grosse Korse am 15. April
1821 auf St. Helena dik-
tierte und in dem es heisst:
„Meine Haare wird General
Marchand aufbewahren und
daraus in Paris Armbänder
anfertigen lassen, die an
die Kaiserin Marie-Louise,
an meine Mutter und Ge-
schwister verteilt werden
sollen“.
Das Handwerkszeug,
dessen sich die Tisseurs
bedienen, ist sehr einfach:
eine Lupe, kleine Pinzetten,
blattdünne, scharfe Skalpeis
und endlich eine Art von
Gürtelschloss in Silberfiligran.
Von Joseph B. Citroen. Amsterdam.
dernwomanauchzumMalen
Drehscheibe, wie sich ihrer
Zer-
Aus
nun
ver-
und
Broschen in Goldfiligran,
’on Joseph B. Citroen, Amsterdam.
Geflecht unglaublich schwere
anhängen kann, ohne ein
befürchten zu müssen.
schmalen Schnüren werden
wieder zu hohen Ehren ge-
die „tisseurs des cheveux“
blühen im Verborgenen; ihre
sind nur den Interessenten
sie üben ihr Metier, dessen Ge-
heimnisse, Kunstgriffe und Vorteile sich
vom Vater auf den Sohn vererben, in ab-
gelegenen Vierteln aus, wie der Montagne
St.Genevieve, oder in den versteckten Pas-
sagen und Durchgängen, die sich in Paris
von Gesicht und Händen eine aus pulverisiertem Menschen-
haar und Oel bereitete Farbe
Unter der grossen Menge
unbekannten Sammlern, die
haberei oft den seltsamsten
zuwenden, gibt es auch eine beträcht-
liche Zahl solcher, die dergleichen Haar-
wunder zu oft fabelhaft hohen Summen
erwerben. Besonders Amerika, das seit
jeher den bizarrsten Manien auf diesem
Gebiete , huldigt, liefert den Pariser An-
tiquitätenhändlern die besten Kunden.
Denn für diese eigenartige Industrie ist
Paris nicht nur der Ort, wo sie erfunden
wurde, etwa um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts; sie hat sich da bis auf den
heutigen Tag erhalten, fast durchwegs
ausgeübt von den Nachkommen jener
„Haarkünstler“, die unter Louis XV. und
Louis XVI. so angesehen waren, dass
sie, ebenso wie die damals hochgeehrten
Barbiere und Perrückenmacher, einen
Degen trugen und sich die stolzesten
Namen beilegten. Die Kunst der Fri-
seure ist in unseren Tagen, dank der
allgemein üblichen extravaganten Damen-
frisuren ,
kommen;
dagegen
Adressen
bekannt;
die Spitzenklöpplerinnen bedienen und wo an schmalen
Spulen die Haare aufgewickelt werden, nachdem man sie
hinreichend entfettet und von allen fremden Substanzen
gereinigt
in so grosser An-
zahl vorfinden und für den aufmerksamen Spaziergänger eine
so grosse Anziehungskraft haben, weil man da auf Schritt
und Tritt die seltsamsten Kunsthandwerker in ihren kleinen
Ateliers beobachten kann. In der Passage Choiseul, im
Faubourg St. Denis und in manchen stillen Gässchen des
verwendet hatte.
der dem weiteren Publikum
ihre leidenschaftliche Lieb-
Objekten
hat. Dies ermöglicht die einfachste Art der
Verarbeitung, das Flechten zu schmalen,
zierlich durchbrochenen Bändern, ge-
schmeidiger und weicher selbst als die
beste Seide und dabei äusserst haltbar,
da man an ein derartiges spinnweb-
feines
Lasten
reissen
diesen
Armbänder, Uhrketten und Kolliers
fertigt, in Gold und Silber gefasst
mit Perlen oder Edelsteinen geschmückt,
oft wahre Kunstwerke, wie man bei-
spielsweise in der Auslage eines re-
nommierten Juweliers der Rue de la Paix
ein derartiges Halsband, mit Saphiren
und Brillanten verziert und als Mittel-
stück eine wunderschöne graue Perle
tragend, mit 50 000 Francs bewertet
sehen kann. Ein Goldschmied der Rue
St. Honore, dessen Spezialität dergleichen
Schmucksachen sind, zeigte mir eine
grosse Anzahl wundervoll gearbeiteter
Ringe, die sich öffnen lassen und im
Innern, um einen Golddraht gerollt, ein
Büschel Haare zeigen. Neben den
üblichen Medaillons, die dem gleichen
Zwecke dienen, gibt es noch Louisdors,
die in Prägung und Form den üblichen
Goldmünzen gleich sind, aber durch einen
geheimen Federdruck aufspringen und eine
Art hohler Doppelmuschel bilden, ferner Busennadeln, Agraf-
fen. Manschettenknöpfe und Haarkämme, die gleicherweise
zur Aufbewahrung dieser pietätvollen Reliquien bestimmt sind.
Doch ungleich kunstreicher sind manche Arbeiten dieses
Genre, die man in den Vitrinen des Louvre und des Museum
Carnavalet bewundern kann, Miniaturen auf Holz, Elfenbein,