Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 30.1909
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Nr. 47
DOI Artikel:Herbststimmung in Hanau
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422
JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST
Nr. 47
HERBSTSTIMMUNG IN HANAU
Wirbelnd treibt der Novemberwind sein Spiel
mit den fallenden Blättern. Rot und braun und
goldgelb liegt es in buntem Gewirr auf unseren
Strafzen und Alleen. Schön ist Hanau im Herbst,
wenn das alte Wahrzeichen der Stadt, das gigantische
Dach der französischen Kirche dem Spaziergänger
schon von weitem aus dem prächtigen Goldrahmen
der Bäume leuchtend entgegenblinkt. Und in diesem
Jahre, das uns wie selten eines so wunderschöne
Herbsttage beschert hat, will es mir scheinen, als
wenn der farbenprächtige goldene Glanz, den die
sinkende Sonne allabendlich auf die Stadt und ihre
Umgebung, auf den breiten Mainstrom und die
fernen Kämme des Spessart ergiefzt, ein symbolisches
Zeichen wäre für Hanau und seine Goldwaren-
industrie. Waren die letzten Monate der verflossenen
beiden Jahre 1907 und 1908 recht ungünstig zu
nennen, so macht sich in diesem Herbst eine er-
hebliche Besserung im Geschäftsgang bemerkbar.
Die, noch in vorgerückter Abendstunde hell er-
leuchteten Werkstätten, eine im verflossenen Jahre
selten beobachtete Erscheinung, zeugen davon, und
aus den vielfach in den Aufzenbezirken der Stadt
befindlichen Ateliers der Hanauer Industrie, die so
ohne jeden äufzeren Fabriknimbus oft versteckt
hinter Bäumen und freundlichen Gartenanlagen liegen,
dringen noch spät die wohlbekannten Laute emsigen
Gewerbefleifzes hervor. Es fällt in Hanau im Gegen-
satz zu Pforzheim ganz besonders angenehm ins
Auge, dafz die Stätten der Arbeit noch nicht den
ausgesprochenen Fabrik-Charakter tragen, obgleich
nicht verkannt werden darf, dafz auch hier die
fortschreitende gewerkschaftliche Entwickelung die
Hanauer Arbeitsweise immer mehr fabriksmäfzig
umgestaltet. Die erst kürzlich beigelegte Arbeiter-
bewegung in der Gold- und Silberwarenbranche hat
ja einen für beide Teile wenigstens vorläufig zu-
friedenstellenden Verlauf genommen und obwohl
man nach dem Resultat der Verhandlungen zwischen
den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer anzunehmen geneigt ist, dafz die Arbeiter
der unterliegende Teil wären, so wird doch kein
Eingeweihter glauben, dalz die Fühlungnahme mit
dem „Deutschen Metallarbeiter-Verband" sich jemals
wieder wird umgehen lassen. Im Gegenteil; stärker
denn vorher ist diese Organisation der Arbeiter ge-
worden, fast ohne Ausnahme reichten dieselben
ihre Kündigung ein, und ein bedenkliches Symptom
mangelnden Einigkeitsgefühls in den Reihen der Ar-
beitgeber ist es, das wahrscheinlich die Furcht vor
der drohenden Pforzheimer Konkurrenz die Hanauer
Fabrikanten in die Einigungsverhandlungen eintreten
liefz, die vorher kategorisch abgelehnt wurden.
Nun ist nach den unruhigen Tagen der Be-
wegung alles wieder im alten Gleise, am 6. No-
vember wurde die neue Arbeitsordnung an die
Arbeiter ausgegeben, die auf 3 Jahre festgelegt
ist, und die Zugeständnisse des abgelaufenen Ver-
trages mit den Bestimmungen der alten Arbeits-
ordnung in sich zu einem einigermafzen be-
friedigenden Ganzen vereinigt.
Im allgemeinen hat aber wohl die seit dem
Jahre 1906 datierende starke Organisation der
Hanauer Gold- und Silberschmiede der hiesigen
Industrie keinen grofzen Segen gebracht; das frühere
fröhliche und leichte Arbeiten, das tatsächlich gute
Einvernehmen der Arbeiter mit den Prinzipalen hat
durch die Schärfen, die nun einmal bei solchen
Bewegungen unvermeidlich entstehen, arge Einbufze
erlitten, und es wird nur eine Frage der Zukunft
sein, dafz in Hanau auch ganz die spezifisch fabrik-
mäfzige Tätigkeit eintritt wie in anderen Industrie-
zentren. Noch vor 10 Jahren hätte man es viel-
leicht kaum für möglich gehalten, dafz die Hanauer
Goldschmiede, die in ihrem Schaffen so viel indi-
viduelle kunstgewerbliche Betätigung an den Tag
legen müssen, die schon von Beginn der Lehrzeit
an ohne Ausnahme akademisch im Zeichnen ge-
bildet werden, sich solidarisch in einem Versande
mit den Metallarbeitern aller Branchen vereinen
würden. Aber das ist wohl auch nur ein Zeichen
unserer ruhelosen Zeit, die in den Strudel ihrer
heftigen wirtschaftlichen Kämpfe alles hineinzieht.
So schreiten wir denn aus diesen bewegten
Herbsttagen dem Weihnachtsfest entgegen, dessen
Nahen uns eine Fülle von Arbeit bringt; hoffentlich
hält die Aufwärtsbewegung in unserem Gewerbe
auch nach dem Feste an, so dafz uns auch die
spätere Zeit nicht müfzig sitzen läfzt. Hoffen wir
das Beste I
JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST
Nr. 47
HERBSTSTIMMUNG IN HANAU
Wirbelnd treibt der Novemberwind sein Spiel
mit den fallenden Blättern. Rot und braun und
goldgelb liegt es in buntem Gewirr auf unseren
Strafzen und Alleen. Schön ist Hanau im Herbst,
wenn das alte Wahrzeichen der Stadt, das gigantische
Dach der französischen Kirche dem Spaziergänger
schon von weitem aus dem prächtigen Goldrahmen
der Bäume leuchtend entgegenblinkt. Und in diesem
Jahre, das uns wie selten eines so wunderschöne
Herbsttage beschert hat, will es mir scheinen, als
wenn der farbenprächtige goldene Glanz, den die
sinkende Sonne allabendlich auf die Stadt und ihre
Umgebung, auf den breiten Mainstrom und die
fernen Kämme des Spessart ergiefzt, ein symbolisches
Zeichen wäre für Hanau und seine Goldwaren-
industrie. Waren die letzten Monate der verflossenen
beiden Jahre 1907 und 1908 recht ungünstig zu
nennen, so macht sich in diesem Herbst eine er-
hebliche Besserung im Geschäftsgang bemerkbar.
Die, noch in vorgerückter Abendstunde hell er-
leuchteten Werkstätten, eine im verflossenen Jahre
selten beobachtete Erscheinung, zeugen davon, und
aus den vielfach in den Aufzenbezirken der Stadt
befindlichen Ateliers der Hanauer Industrie, die so
ohne jeden äufzeren Fabriknimbus oft versteckt
hinter Bäumen und freundlichen Gartenanlagen liegen,
dringen noch spät die wohlbekannten Laute emsigen
Gewerbefleifzes hervor. Es fällt in Hanau im Gegen-
satz zu Pforzheim ganz besonders angenehm ins
Auge, dafz die Stätten der Arbeit noch nicht den
ausgesprochenen Fabrik-Charakter tragen, obgleich
nicht verkannt werden darf, dafz auch hier die
fortschreitende gewerkschaftliche Entwickelung die
Hanauer Arbeitsweise immer mehr fabriksmäfzig
umgestaltet. Die erst kürzlich beigelegte Arbeiter-
bewegung in der Gold- und Silberwarenbranche hat
ja einen für beide Teile wenigstens vorläufig zu-
friedenstellenden Verlauf genommen und obwohl
man nach dem Resultat der Verhandlungen zwischen
den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer anzunehmen geneigt ist, dafz die Arbeiter
der unterliegende Teil wären, so wird doch kein
Eingeweihter glauben, dalz die Fühlungnahme mit
dem „Deutschen Metallarbeiter-Verband" sich jemals
wieder wird umgehen lassen. Im Gegenteil; stärker
denn vorher ist diese Organisation der Arbeiter ge-
worden, fast ohne Ausnahme reichten dieselben
ihre Kündigung ein, und ein bedenkliches Symptom
mangelnden Einigkeitsgefühls in den Reihen der Ar-
beitgeber ist es, das wahrscheinlich die Furcht vor
der drohenden Pforzheimer Konkurrenz die Hanauer
Fabrikanten in die Einigungsverhandlungen eintreten
liefz, die vorher kategorisch abgelehnt wurden.
Nun ist nach den unruhigen Tagen der Be-
wegung alles wieder im alten Gleise, am 6. No-
vember wurde die neue Arbeitsordnung an die
Arbeiter ausgegeben, die auf 3 Jahre festgelegt
ist, und die Zugeständnisse des abgelaufenen Ver-
trages mit den Bestimmungen der alten Arbeits-
ordnung in sich zu einem einigermafzen be-
friedigenden Ganzen vereinigt.
Im allgemeinen hat aber wohl die seit dem
Jahre 1906 datierende starke Organisation der
Hanauer Gold- und Silberschmiede der hiesigen
Industrie keinen grofzen Segen gebracht; das frühere
fröhliche und leichte Arbeiten, das tatsächlich gute
Einvernehmen der Arbeiter mit den Prinzipalen hat
durch die Schärfen, die nun einmal bei solchen
Bewegungen unvermeidlich entstehen, arge Einbufze
erlitten, und es wird nur eine Frage der Zukunft
sein, dafz in Hanau auch ganz die spezifisch fabrik-
mäfzige Tätigkeit eintritt wie in anderen Industrie-
zentren. Noch vor 10 Jahren hätte man es viel-
leicht kaum für möglich gehalten, dafz die Hanauer
Goldschmiede, die in ihrem Schaffen so viel indi-
viduelle kunstgewerbliche Betätigung an den Tag
legen müssen, die schon von Beginn der Lehrzeit
an ohne Ausnahme akademisch im Zeichnen ge-
bildet werden, sich solidarisch in einem Versande
mit den Metallarbeitern aller Branchen vereinen
würden. Aber das ist wohl auch nur ein Zeichen
unserer ruhelosen Zeit, die in den Strudel ihrer
heftigen wirtschaftlichen Kämpfe alles hineinzieht.
So schreiten wir denn aus diesen bewegten
Herbsttagen dem Weihnachtsfest entgegen, dessen
Nahen uns eine Fülle von Arbeit bringt; hoffentlich
hält die Aufwärtsbewegung in unserem Gewerbe
auch nach dem Feste an, so dafz uns auch die
spätere Zeit nicht müfzig sitzen läfzt. Hoffen wir
das Beste I