Journal der Goldschmiedekunst: ill. Fachzeitschr. für Juweliere, Gold- u. Silberschmiede u. d. Bijouterie-Industrie ; Zentralorgan für d. Interessen dt. Juweliere, Gold- u. Silberschmiede .. — 30.1909
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https://doi.org/10.11588/diglit.55857#0205
DOI issue:
Nr. 23
DOI article:Leipheimer, Hans Dietrich: Forderungen im modernen Kunstgewerbe, [1]
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i9ü9 - -JOURNAL DER GOLDSCHMIEDEKUNST -— 187
Formen ihrer Schmuckmotive von aussen
auf. Dies bedeutet aber einen entschiedenen
und entscheidenden Schritt abwärts, und
je mehr nun in der Folge die Welt des
Gedankens die Überhand gewinnt über die
Empfindung, desto mehr sehen wir die
Kunst an Kraft und Tiefe des Ausdruckes
verlieren. Wohl kommen noch Höhe-
punkte, in welchen sie wieder ihre alte
Grösse zu erreichen sucht, und dies ge-
schieht dann immer in den Zeiten, in wel-
chen ein Kultus, und zwar diesmal ein
Kultus der Person, ähnliche Konzentrations-
punkte und damit ähnliche Festigungen
der Lebensformen schafft, wie sie der
kirchliche Einfluss für die Zeiten der Gotik
hervorgerufen hatte. In der Person der
allmächtigen französischen Könige ver-
körpern sich die nun folgenden Stile.
Diese selbst können wir freilich nur als
Abwandlungen des Renaissancestiles be-
trachten.
Die allgemeine Abwärtsbewegung der
Kunst von der Höhe der Gotik nun im
einzelnen weiter zu verfolgen, ist hier nicht
Raum genug, es genügt das Gesagte, um
eine Nutzanwendung auf die jüngste Zeit
zu ziehen, was für spätere Ausführungen
wichtig erscheint.
Die erste Regung, welche wir als ein
Bedürfnis nach Kunst, als einen Willen
zur Kunst auffassen dürfen, erscheint nach
dem glücklich vollendeten Kriege gegen
Frankreich als Folge des mächtig ge-
steigerten Nationalgefühls und des wirt-
schaftlichen Aufschwunges, welche beide
nach grösserer Prunkentfaltung verlangten.
Durch Ausbildung eines neudeutschen Stiles,
wie manche hofften, konnte die damalige
Zeit aber auf dieses Verlangen nicht ant-
worten, aus denselben Gründen wie sie
eben für die Renaissance angeführt wurden.
Die Schwingungen unserer Gefühlswelt sind
eben grössere, langgestrecktere, als die
der Gedankenwelt. Erstere gibt vollere,
sattere Töne und Akkorde, ist aber dafür
auch langsamer in der Entwickelung. , -
So mussten die auf der rasch arbeitenden
Gedankenwelt aufbauenden Umwälzungen der Jahre nach
dem Kriege sich erst klären, die allgemeine Lebens-
haltung des deutschen Volkes musste erst bestimmtere For-
men annehmen, ehe sich die ersten Spuren eines Einflusses
der grossen Ereignisse auf die Gefühlswelt zeigten. Erst
20 Jahre nach dem Kriege beginnt es sich zu regen und heute
erst nach einer relativ langen Periode des Friedens und
des inneren Ausbaues sind wir so weit, dass wir den neuen
Stil in seinen Umrissen deutlich zu erkennen vermögen.
. Tafelaufsatz
Sdjale grüner neptjrif in Altsilber gefasst, Gelänge mit
Feucropalen, Vogel emailliert
Nachdem nun der Begriff Kunst festgelegt und der
Zusammenhang zwischen Zeitempfinden und Stilentwicke-
lung wenigstens berührt ist, wäre noch einiges zu sagen
über die je nach Zeitverhältnissen verschiedene Art der
Kunstübung.
In den Kunstepochen, welche vor der Renaissance
liegen, deckte sich der Begriff Künstler vollkommen
mit dem Begriff Handwerker. Der Meister der damaligen
Zeit entwarf seine Werke und führte sie auch aus.
Formen ihrer Schmuckmotive von aussen
auf. Dies bedeutet aber einen entschiedenen
und entscheidenden Schritt abwärts, und
je mehr nun in der Folge die Welt des
Gedankens die Überhand gewinnt über die
Empfindung, desto mehr sehen wir die
Kunst an Kraft und Tiefe des Ausdruckes
verlieren. Wohl kommen noch Höhe-
punkte, in welchen sie wieder ihre alte
Grösse zu erreichen sucht, und dies ge-
schieht dann immer in den Zeiten, in wel-
chen ein Kultus, und zwar diesmal ein
Kultus der Person, ähnliche Konzentrations-
punkte und damit ähnliche Festigungen
der Lebensformen schafft, wie sie der
kirchliche Einfluss für die Zeiten der Gotik
hervorgerufen hatte. In der Person der
allmächtigen französischen Könige ver-
körpern sich die nun folgenden Stile.
Diese selbst können wir freilich nur als
Abwandlungen des Renaissancestiles be-
trachten.
Die allgemeine Abwärtsbewegung der
Kunst von der Höhe der Gotik nun im
einzelnen weiter zu verfolgen, ist hier nicht
Raum genug, es genügt das Gesagte, um
eine Nutzanwendung auf die jüngste Zeit
zu ziehen, was für spätere Ausführungen
wichtig erscheint.
Die erste Regung, welche wir als ein
Bedürfnis nach Kunst, als einen Willen
zur Kunst auffassen dürfen, erscheint nach
dem glücklich vollendeten Kriege gegen
Frankreich als Folge des mächtig ge-
steigerten Nationalgefühls und des wirt-
schaftlichen Aufschwunges, welche beide
nach grösserer Prunkentfaltung verlangten.
Durch Ausbildung eines neudeutschen Stiles,
wie manche hofften, konnte die damalige
Zeit aber auf dieses Verlangen nicht ant-
worten, aus denselben Gründen wie sie
eben für die Renaissance angeführt wurden.
Die Schwingungen unserer Gefühlswelt sind
eben grössere, langgestrecktere, als die
der Gedankenwelt. Erstere gibt vollere,
sattere Töne und Akkorde, ist aber dafür
auch langsamer in der Entwickelung. , -
So mussten die auf der rasch arbeitenden
Gedankenwelt aufbauenden Umwälzungen der Jahre nach
dem Kriege sich erst klären, die allgemeine Lebens-
haltung des deutschen Volkes musste erst bestimmtere For-
men annehmen, ehe sich die ersten Spuren eines Einflusses
der grossen Ereignisse auf die Gefühlswelt zeigten. Erst
20 Jahre nach dem Kriege beginnt es sich zu regen und heute
erst nach einer relativ langen Periode des Friedens und
des inneren Ausbaues sind wir so weit, dass wir den neuen
Stil in seinen Umrissen deutlich zu erkennen vermögen.
. Tafelaufsatz
Sdjale grüner neptjrif in Altsilber gefasst, Gelänge mit
Feucropalen, Vogel emailliert
Nachdem nun der Begriff Kunst festgelegt und der
Zusammenhang zwischen Zeitempfinden und Stilentwicke-
lung wenigstens berührt ist, wäre noch einiges zu sagen
über die je nach Zeitverhältnissen verschiedene Art der
Kunstübung.
In den Kunstepochen, welche vor der Renaissance
liegen, deckte sich der Begriff Künstler vollkommen
mit dem Begriff Handwerker. Der Meister der damaligen
Zeit entwarf seine Werke und führte sie auch aus.