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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0089

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Die Republik erscheint
täglich. Preis in Heidel-
berg vierteljährig 45 kr.
Durch die Post bezogen im
ganzen Großh. Baden l ff.
lv kr. Bei Inseraten kostet
die dreispalt. Petitzeile 2kr.

ML 20.

Die Republik.

Bestellung wird gemacht in
Heidelberg in der Buch-
druckerei von Renner u-
Wolff und bei Kaufmann
Berner; auswärts bei
allen Postämtern. Briefe
werden frankirt erbeten.

Samstag, 22. April.

18L8

Der Festtage wegen konrrtc gestern und wird morgen unser Blatt nicht erscheinen.

Usber das moderne und das mittelalterliche
Proletariat (Stand der besitzlosen Arbeiter.)
(S^uß.)
Damit ist aber nicht gesagt, daß es gar keine Geltung
' mehr haben, gleichsam aus der Weltgeschichte weggcstrichen
werden sollte. Nein; es soll nur nicht die Alleinherrschaft
führen und sich für das Höchste ausgeben; vielmehr wird es
sich durch ein anderes Prinzip modifiziren und mäßigen las-
sen müssen. So ist, es immer. Wenn ein neues Prinzip in
die Weltgeschichte eintritt, so ist cs so lange in seinem Rechte,
bis es in seiner Alleinherrschaft nicht mehr genügt, die Mensch-
heit vielmehr nach einem andern ringt und sucht. Wenn aber
dieses auch gefunden, so kann das alte doch nicht ganz ver-
drängt werden; nur muß es sich zu einem bloßen Momente
herabsetzen lassen, nachdem es bisher Eins und Alles war.
Im Mlt.elaltcr galt der Emzclne an sich nichts; er galt
nur als Mitglied des Standes. Also die Corporationen, die
Zünfte waren hier Alles. Diesem gegenüber trat eben das
Prinzip der abstrakten Gleichheit der Einzelnen. Jetzt stellte
sich jeder nur auf sich selbst. Es ging hier derselbe Prozeß
vor, wie in der Kirche. Auch hier machte sich mit der Re-
formation, gegenüber der Autorität (Gewalt), das Prinzip
der Individualität (der Persönlichkeit) geltend. Solche bin-
dende, den Einzelnen nicht zu seinem Rechte achtende Autori-
täten, waren auch die Zünfte. Diesen gegenüber trat nun
die Berechtigung des Einzelnen als solche. ' Mas vorher die
Zunft, die Corporation war, wollte nun jeder Einzelne selbst
sein; wie auch in der protestantischen Kirche nun jeder den
heiligen Geist beanspruchte, nachdem vorher nur eine Corpo-
ration, eine Art Zunft, ihn in ausschließenden Besitz genom-
men hatte. Die Folge dieses neuen Prinzips war/daß, so-
wohl in den kirchlichen als industriellen Verhältnissen, Alles
in Monaden (unendliche Kleintheile) zerschlagen wurde. Selbst
in den bäuerlichen Verhältnissen gewahrte man einen ähnli-
chen Verfall; auch hier droht durch die unbeschränkte Thcil-
barkeit des Grundbesitzes Alles in Atome zu zerfallen.
Wir haben also gesehen, daß das Prinzip, auf dem die
ganze neue sociale Ordnung ruht, durchaus aus dem Geiste
des modernen Wesens, wie es sich seit der Reformation ge-
staltet, hcrvorgegangcn ist. Es hat sich freilich in seiner Ein-
seitigkeit erfüllt und überlebt, aber so viel bleibt immer an
ihm, daß die alten Verhältnisse nie und nimmermehr zurück-

geführt werden können. Es hieße das die ganze Arbeit des
Weltgeistes seit dem Sturze des Mittelalters verloren machen.
Die gleiche Berechtigung Aller muß immer festgehalten werden;
nur wird eben noch ein anderes Prinzip dazu kommen, das
die VereinzeluriZ aufhebt, mit andern Worten: die vereinzelt
Stehenden äuch .so dem Zufall Preis gegebenen organistrt und
verbindet. ^Der vierte Stand kann nur auf dieselbe Weise
aufkommen, ., wie der dritte gegen den Adel auskam. Wir ha-
ben aber geschen, daß es das Zunftwesen, also die Association
und Organisation es war, die den Adel in den Städten über-
wand. Dieses neue Prinzip, das durchaus in unserer Zeit
liegt, macht sich auch wieder in der Kirche geltend. Auch hier-
ist man bestrebt, die Getrennten in Einer Bruderkirche zu ver-
einigen; aber in einer freien, dem Einzelnen seine Rechte
lassenden Kirche; und eine Zurückführung zur Einheit der al-
ten Kirche ist, nachdem sich das Prinzip der Persönlichkeit und
Eigentümlichkeit einmal geltend gemacht, ebenso wenig mög-
Uck,. als dort eine Zvrückführung zu den Privilegien der Zünfte
und dem Lehcnwesen.
So hat es sich also bisher, nur um Recht, um Freiheit
gehandelt. Auch dieses ist absolut beizubehalten. Nur muß
zu tiefer Form noch ein Inhalt hiuzukommcn,.oder das ab-
strakte Recht genügt nicht mehr, sondern es müssen die ma-
teriellen Verhältnisse so geordnet werden, daß man diese Rechte
auch genießen, sich ihrer auch erfreuen kann. Das abstrakte
Recht ist nur die Möglichkeit zur Entwickelung Les menschli-
chen Wesens; cs müssen aber auch Mittel vorhanden sein,
jene Möglichkeit zur Wirklichkeit zu erheben. Dieser Schritt
muß nur noch gcthan werden. Man darf es nicht verhehlen:
er ist freilich der schwierigste, aber auch der bleibendste und
segensreichste. Man muß nur ernstlich wollen. Es mag frei-
lich manche Opfer von Seiten der Reichen und Vornehmen
kosten, aber ohne daß sich die Lage der großen Menge gründ-
lich verbessert, ist Gefahr vorhanden, daß Alles ins Verderben
gerissen werde. Denn ein Staat wird nie blühen und groß
werden, wenn nur einige wenige sich wohl befinden, die große
Mehrzahl aber moralisch und materiell verkommen ist Man
kann gewiß helfen, wenn man nur ernstlich will; wenn auch
nicht durch eine einzige Maßregel, doch durch eine Reihe or-
ganisch ineinander greifender Mittel. Besonders mögen die
Liberalen bedenken, daß ohne Heilung unserer öffentlichen
Schäden die Prinzipien nie mit der gehörigen Kraft die Mas-
sen durchdringen, sondern nur kalt und thcilnahmslos lassen.
Nur der Wohlstand erzeugt jenen Sinn für Unabhängigkeit
und Freiheit.
 
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