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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0803

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Durch die Post bezogen im
ganzen Großh. Baden > fl.
1V kr. Bei Inseraten kostet
die dreispalt. Petitzeile 2kr.

H" 1»8.

Die Republik.
Freitag, 24. November.

Bestellung wird gemacht in
Heidelberg in der Buch-
druckerei von Renner u.
Wolff und bei Kaufmann
Berner; auswärts bei
allen Postämtern. Briefe
werden frankirt erbeten.

1848

Die vier Präsidentschafts-Kandidaten für die Republik
Frankreich.
Die folgende treffende Charakteristik der Hauptkandidaten
dieser Präsidentschaft wurde uns heute zugcschickt, wir säumen
nicht, sie unser» Lesern mitzuthcilen, da sie für dieselben nicht
ohne Interesse sein wird:
Sechs Bewerber werden zu dieser höchsten Stelle im
Staate, die am 10. Dezember durch allgemeine Wahl besetzt
werden soll, genannt, von denen wir übrigens bloß vier als
Kandidaten mit gegründeter Hoffnung bezeichnen zu können
glauben; diese vier sind: Lamartine, Cavaignac, Le-
drü-Rolli» und Louis Napoleon Bonaparte. Daß
Thiers und Bügcaud selbst nur die mindeste Hoffnung auf Er-
folg ihrer Kandidatur hegen, wollen wir nicht annchmen; sie
werden wahrscheinlich zurücktreten, um dem neue». Mirakel,
dem Heros von Straßburg und Boulogne keine Stimmen zu
entziehen. Zudem wäre sowohl der Name Thiers als der
Bügeauds, zusammengcstellt mit dem Titel „Präsident der Re-
publik", der schneidendste Hohn auf die Februarrevolution und
ein Aufgeben der Republik selbst. In diesem Falle wäre es
noch besser, dem „Grafen von Neuilly" den 6liul--ä-lmrw
wieder zuzuschicken und ihn zu bitten, er möge doch huldreichst
geruhen, wieder in seine gute Stadt Paris mit den „lieben
Vorstädten" zurückzukehren. Lassen wir also den Minister des
1. März und den Schlächter der Rue Transonain ganz aus
dem Spiel und beschäftigen wir uns nur mit den 4 oben ge-
nannten Kandidaten:
Lamartine hat viele Ansprüche auf die Dankbarkeit
der Nation; sein edler Charakter ist Bürge, daß er sich nie
zu einer unehrenhaften Handlung verleiten lassen könnte, es
läßt sich Vieles zu seinen Gunsten sagen, aber auch Manches
zu seinen Ungunstcn. Neben großer Energie hat er auch
schon Mangel an Festigkeit bewiesen. Er läßt sich zu sehr von
den Eingebungen seines Gemüthes bestimmen; statt aus einer
vorgezeichneten Bahn kräftig uud entschieden vorwärts zu drin-
gen, schwankt er wie ein vom leisesten Windhauch bewegtes
Rohr und läßt sich sehr oft von seiner Sentimentalität letten.
Er kennt die Leiden der arbeitenden Klasse, er schildert sie in
glänzender Sprache, aber er hat weder den Muth noch die
Entschlossenheit ihnen abzuhelfen; kurz, Lamartine ist uns als
Mensch theuer, als Präsidenten der französischen Republik wür-
den wir ihn bedauern. Wir stimmen daher völlig der Ansicht
Freiligraths bei, der einst einigen faden Schmeichlern entgeg-
nete: -/Wir Dichter taugen nie und nimmer zu Generälen,
wohl aber zu Trompetern, in dieser Stellung sind wir
am rechten Platze, und können ost gute Dienste leisten!"
Cavaignac's Ansprüche gründen sich allein auf das
"Verdienst", durch sehr //energische" Maßregeln die Juni-
Jnsurrcktion unterdrückt zu haben. Dafür sang ihm die Bour-
geoisie Lobeshymnen und flocht ihm Lorbecrkränze; vor vier
Monaten wäre er vielleicht mit ungeheuerer Mehrheit zum

Präsidenten gewählt worden, heute würde es Mühe kosten.
Bis zur Präsidentenwahl wird er noch das Werkzeug in den
Händen der verbündeten Thiers- und //National"-Partei blei-
ben, dann wirft die erstere die Maske und mit ihr Cavaignac
als abgenutzt weg. So wenig wir mit ihm als Diktator ein-
verstanden waren, eben so wenig könnten wir cs mit ihm als
Präsidenten der Republik sein; in seiner Macht stand es die
Republik zu befestigen und er hat das Gegentheil gethan. Wir
bemitleiden ihn, denn er ist im Grund seines Herzens Repu-
blikaner, aber, weil weniger begabt als sein edler, leider zu
früh verstorbener Bruder Godefroi Cavaignac, folgte er schlech-
ten Rüthen, ohne im Stande zu sein, deren Tragweite zu
durchschauen.
Der Name des dritten Candidaten, Ledrü-Rollin,
wird vielen nicht gefallen; die Reaktion fürchtet ihn und schreit
daher aus vollem Halse gegen ihn; keine Verläumdung wird
gespart, keine Lüge gescheut, wenn es gilt, den für das Wohl
Les Volkes glühenden Tribunen zu verlästern. — Äan
hat es so weit gebracht, daß in den Augen der Bourgeoisie,
des Adels und der Geistlichkeit, mit wenigen Ausnahmen, Le-
drü-Rollins Name gleichbedeutend mit dem des leibhaftigen
Satans ist; er ruft ihnen die schrecklichsten Erinnerungen der
großen Revolution ins Gcdächtniß zurück; sie denken an Ma-
rat, Danton re. und ihre Haare sträuben sich vor Schauder.
Und doch hat Ledrü-Rollin noch nichts in seinem Leben began-
gen, was jene übertriebene Furcht auch nur im Geringsten
rechtfertigen könnte. Im Gegentheil, wir sind von seinen red-
lichen Absichten, von seinem guten Herzen überzeugt; wer Le-
drü-Rvllin auch nur ein Mal gesehen und sprechen gehört hat,
der muß Vertrauen zu ihm fassen. Mit tüchtigen Ministern
an der Seite würde Ledrü-Rollin die französische Republik
groß und stark machen und der europäischen Demokratie den
Sieg verschaffen, — nicht durch bewaffnete Propaganda, son-
dern durch die imponirende moralische Macht der Republik-
Er würde Lamartine's Programm zur Wahrheit machen.
Und nun noch der vierte Kandidat, Louis Napoleon
Bonaparte. Ueber diesen ist wahrlich nicht viel zu sagen;
er empfiehlt sich auch durch gar nichts für die hohe Stelle,
nach welcher sein ehrgeiziges Streben vorerst gerichtet ist,
denn der ruhmreiche Name seines Onkels ist doch wahrhaftig
bei Vernünftigen kein Beweggrund, zur Unterstützung seiner
Kandidatur. Wie viele Gründe lassen sich aber gegen ihn
anführen, unter denen seine Unfähigkeit den ersten Rang ein-
nehmen kann? Für uns wäre das allein hinreichend mit aller
Energie die Kandidatur Louis Napoleons zu bekämpfen, daß
er am 10. April beim Chartistenkrawall in London am Arme
Lord Chesterfields als Spezialkonstabler (freiwilliger Polizei-
diener in den Straßen herumstolzirte und seinen Dienstknüttc!
wohlgefällig ain Arm hängen ließ. Unserer Meinung nach
kann ein Polizeischerge der englischen Aristokratie nicinals Prä-
sident einer Republik werden!"
 
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