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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0823

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ganzen Großh. Baden I st.
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die drcispalt. Petitzeile 2kr.

Die Republik.

Bestellung wird gemacht in
Heidelberg in der Buch-
druckerei von Renner u.
Wolff und bei Kaufmann
Berner; auswärts bei
allen Postämtern. Briefe
werden frankirt erbeten.

Hl-32O. ? § Donnerstag, 3«. November.

1848.

Wie» und Berlin.
Wenn eine großartige, ereignißvolle Zeit, wie die unsrige
ist, in manigfacher, bald stürmischer, bald ruhiger Entwicke-
lung, der Verwirklichung ihres Inhaltes zustrebt, so ist vor
Allein nöthig, daß man sich ein klares Bild von den einfachen
und verwickelteren Begebenheiten der Gegenwart mache, d. h.
daß man seine Zeit begreife. So gibt cs Leute, die wir
die Unverbesserlichen nennen, die, mag der mächtige Nuf der
Zeit noch so verwarnend an ihr taubes Ohr schlagen, ver-
messentlich Sünden in dem heiligen Geist der Zeit begehen,
weil sie Vorrechte, Macht, Gewalt, Gehalt, äußere Ehre,
Ansehen, Vortheil oder oft nur einige Lebensbequemlichkeitcn
zu verlieren fürchten, und daher immer noch die süßen Träu-
me der Vergangenheit forttränmen — die Zeitbeftrcbungen
hassen, die Zeit nicht begreifen wollen.
Ein anderer Theil, wozu die „guten, ruhigen" Bürger
gehören, ist gerade dem Entwickelnngsgange der Neuzeit we-
niger abhold, weil die Zukunft auch ihre »/Hoffnungen,/ für sie
hat — aber wenn nur die „Befürchtungen" nicht wären; der
Krieg, die Barrikaden, die Stockung der Geschäfte, das Blut-
vergießen, und die bcgucmen Pantoffeln unter der Bettstelle
rc. — uyd so kommt eö, daß sie aus lauter Acngstlichkeit und
Herzensbeklommenheit die Zeit nicht begreifen können.
Die Verstockten und Schwachmüthigen beurtheilen daher
ihre Zeit nie richtig. Wie albernes Zeug muß man oft über
die Verhältnisse Oesterreichs und Preußens anhörcn, daß sie
ganz dieselben seien, und wie Wien einem traurigen Geschick
unterlag, Berlin auch seinem Sturze verfallen mime. Der
Wiener Ausstand hat mit dem Berliner (in seinem Beginne
und Verlauf, auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit. In Wien
lagen die Negierenden und Negierten, die Kammarilla
und das Volk mit einander im Kampf. — Die Regierenden
wollten dem Volke seine Errungenschaften und die in der Angst
gewährleisteten Rechte und Zugeständnisse wieder gewaltsam
entreißen und das Reich der Gnade Herstellen, wo das Heil
und der Segen blos von Oben kommt. Das Oesterreichische
Volk, das in seiner politischen Jugendlichkeit, seiner politischen
Integrität, seine hcißerrungene Freiheit wie der glühende
Jüngling seine Braut liebte, das durch die Täuschungen, die
Scheinfreihciten eines einwiegenden Constitutionaliömus nicht
verdorben und dumm gepredigt war — bewachte eifer süchtig
seine neu errungenen Rechte und als die ruchlose Kammarilla
durch den Kroatenhäuptling Jellachich die Freiheit Ungarns
zuerst unterdrücken wollte, sah in diesem frevlen Beginnen
der naturwüchsige Wiener gleich seinen eigenen Abgrund offen
vor Augen. Es wurde die Heeresvcrstärkung nach Ungarn
mit Waffengewalt aufgehalten. — Ein paar Verräther verfie-
len der Volksrache. Jetzt war Grund genug vorhanden, den
Unmenschen Windischgrätz gegen Wien mit einem Heere von
60,000 Mann aufbrechen zu lassen.
Die Nationalversammlung, der diese Ereignisse unerwar-

tet kamen, befand sich in großer Ratlosigkeit, und unter dem
Schein der Gesetzlichkeit im langen verderblichen Notenwechsel
mit dem Kaiser ließ sie dem Wütherich Windischgrätz Zeit
die Stadt cinzuschließen. Die Nationalversammlung beging
noch einmal einen gesetzlichen Verrath. Sie rief die
Ungarn, die an der Grenze standen, nicht zu Hülfe, bis eö
zu spät war. Die Provinzen traf die Nachricht vom Ausbruch
und den Rüstungen zum Kampfe unvorbereitet, weil er wirk-
lich aus dem Stegreife begonnen wurde und das Motiv
hiezu vorerst außer Wien lag. Diesem Umstande ist es auch
beizumessen, daß der Achilles-Zorn des Ocfterreichischen Volkes
nicht nachhaltiger entbrannte. Kaum war die Gefahr etwas
größer, so war es der feigen Bourgeoisie unheimlich zu Muthe
und anstatt mitzukämpfen, beschützte sie die kaiserlichen Schätze
und ihr Eigenthum. — Die Gefahr wächst — und die ehrlose
Bourgeoisie verläßt und verräth die muthige Legion der Stu-
denten, die tapfcrn Reihen der Arbeiter. So fällt das herr-
liche Wien durch den legalen Verrath seiner Nationalver-
sammlung und den illegalen Verrath seiner feigen Bourgeoisie
In Berlin hingegen sind es die beiden Faktoren der
Staatsgewalt, der König und die Nationalversammlung,
die im Kampfe stehen, in dem das Volk blos der einstimmende
Chorus ist.
Der König von Preußen, durch die glückliche Operation
in Oesterreich ermuntert, wollte auch wieder die „ungeschmä-
lerte" Krone auf den ungeschmälerten Schädel setzen und hatte
die Stirne, ein Ministerium Brandenburg einzusctzen und die
Nationalversammlung außer Berlin zu verlegen. Die Natio-
nalversammlung widersetzt sich standhaft. Berlin wird in Be-
lagerungszustand erklärt. Der Windischgrätzische Wrangcl
wendet Alles an, einen Kampf hervorzurufen. Berlin bleibt
ruhig. Die Nationalversammlung wird nochmals auseinan-
der getrieben; immer keinen Kampf. Die Nationalversamm-
lung beharrt auf passiven Widerstand und verweigert die
Steuern. Das ganze Land ergreift Partei für die hochherzige
Nationalversammlung ; in unzähligen Adressen wird ihr Dank
und Zustimmung ausgedrückt, selbst viele Beamtete und fast
die sämmtliche Landwehr sind auf ihrer Seite — und wie
jenes Zaudern der 9kat.-Vers.die Sache des Volkes verspielen
half, so ist hier das Hinausrücken des Kampfes heil- und
sicgbringend. Von Berlin hat sich die gewitterschwere Wolke
weggezogen und ist über die Provinzen verhängt. Die Sol-
dateska zum dreifachen Polizcischcrgen mißbraucht, zur Ent-
waffnung der Nationalgardcn, zur Eintreibung der vcrweiger
ten Steuern und zur gewaltsamen Einberufung der Landwehr
wird das sämmtliche Volk auf's Höchste erbittern.
Ein Kampf, ein fürchterlicher Kamps wird nicht ausblei-
ben — das Motiv ist ein nationales, nachhaltiges; es gilt
der Ehre, der Freiheit, dem Rechte der preußischen Nation
gegen ein vor-märzliches, anmaßendes Königthum. Nur zwei
Partheien wird es in Preußen geben — der König mit sei-
nen Unteroffizieren — und ihm gegenüber das ganze erbitterte
Volk. -
 
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