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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0911

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Erscheint Montags ausge-
nommen täglich. In Heidel-
berg vierteljährig 45 kr.
Durch die Post bezogen im
ganzen Großh. Baden I fl.
I<> kr. Bei Inseraten kostet
die drcispalt. Pctitzeile Ar.

223.


Montag, 23 Dezember

Bestellung wird gemacht in
Heidelberg in der Buch-
druckerei von Renner u.
Wolff und bei Kaufmann
Berner; auswärts bei
allen Postämtern. Briefe
werden frankirt erbeten.

18Ä8


Des Festtages wegen erscheint das Dienstagsblatt heute, am Montage.

Das Ministerium Gagern.
U* Das Unvermeidliche ist eingetreten: Ritter von Schmer-
ling hat sein Portefeuille in die Hände des Rcichsvcrwcsers
zurückgegeben, um einem Manne Platz zu machen, welcher von
sich rühmen darf, daß er an der Herbeiführung unserer gegen-
wärtigen Zustände den wesentlichsten Antheil hat. Oder wer
anders repräsentirte so sehr den Gang unserer Revolution mit
all ihrer Einbeitsbegeisterung, ihrem Fanatismus für privile-
girte Freiheit, ihrem kräftigen Schutz derselben nach »unten
und oben," ihrem unvertilgbaren Zorne über die Anarchie
und ihrer schmeichlerischen Nachgiebigkeit gegen »allerhöchste
Wünsche" — als gerade Gagern? Schon zur Zeit des
Vorparlaments war er ein willkommener Rettungsanker für
alle die, welche überzeugt waren, daß die Freiheit, wie eine
starke Arznei, nur in kleinen Dosen verabreicht werden dürfe:
wie um den Weisel der Bienen so schaarken sich alle Halben
und die, welche sich scheuten, offen sich als reactionär zu be-
kennen um ihn. Allmählich lehrte man das gläubige Volk,
in dem »Edeln," dem „Deutschen," dem „Hochherzigen,»
eine Autorität zu erblicken, untrüglicher noch, als die des
Pabstes. Bei allen Stürmen, in die das Schiff St. Pauli
gerieth, in all jenen Augenblicken, wo die Wogen des maje-
stätischen Volksoceans das Verdeck des Schiffes zu überflügeln
drohten, griffen die geängsteten Schiffleule nach dem sich ihnen
darbietenden Strohhalm, und der Strohhalm — stark genug,
die Mücken zu ertragen, — brachte sie glücklich über die To-
desgefahr hinweg. Schien aber das Vertrauen des Volkes in
die hohe Reichsversammlung zu schwanken — gleich rief der
ganze Schwarm: „Er ist mit uns! Gelobt sei Gott und Ma-
homed sein Prophet!» und die gläubige Menge siel in tiefer
Anbetung vor dem Götzen nieder! Das gutmüthige Volk
schlug, wenn es die unerforschlichen Nathschläge des „Edeln"
nicht begreifen konnte, seinen schwachen Geist in Bande: „In
Frankfurt allein ist der Born des Lebens» sagten die Gutge-
sinnten, „Gagern hat es gesagt und die Freiheit noch mehr
zu lieben, als dieser „Ritter ohne Furcht und Tadel," das
wäre Uebermuth!" Als in dem denkwürdigen, durch Kano-
nendonner und Glockengeläute verherrlichten Momente der
„große" Gagern den bekannten kühnen Griff that, als er
mit seiner sonoren Baßstimme den Erzherzog Johann als Reichs-
verweser proklamiere, nicht weil, sondern obgleich er ein
Fürst war, da kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr:
Welch ein Mensch! sagten die Einen; Heil uns, die wir
mit ihm geboren sind! riefen die Andern und der Jubel nahm
kein Ende. Inzwischen gestalteten sich die Dinge aber allmäh-
lich so, daß es dem deutschen Philister doch etwas unheimlich
zu Muthe ward. Das viele Blut, welches im Interesse der
deutschen Einheit von Reichswegcn vergossen worden ist, der

allgemeine Belagerungszustand mit seinen verschiedenen Unan-
nehmlichkeiten behagte ihnen nicht lange und sie wünschten auf-
richtig eine Veränderung. Der Ritter von Schnerllng, wel-
cher das Herz selbst der Philister nie zu gewinnen wußte, war
dann natürlich an Allem Schuld, und da man ja immer noch
seinen Gagern in potto hatte, so hatte man auch noch kaum
U> fache, schon zu verzweifeln. — Wie wir aus öffentlichen
Blättern ersehen, hat nun endlich der große Redner und
Staatsmann, gegen Len Demosthenes, Washington und Pitt
Stümper sind, der Stimme seines Vaterlandes Folge geleistet
— er hat die Ministerstclle angenommen!
So sehr nun auch der Präsident Gagern uns mit Be-
wunderung erfüllt hat, (einige kleine Versehen abgerechnet,
welche in parteiischen Augen leicht als Ungerechtigkeiten erschei-
nen,) so müssen wir doch offen bekennen, daß wir in seine
Ministerfähigkeit einige kleine Zweifel zu setzen wagen. Wir
wissen es, daß eine stattliche Figur, eine gute Stimme und
einige hohlen Phrasen vollkommen genügen, um eine deutsche
Nationalversammlung, wie diese da, als Präsident zufrieden
zu stellen. Von einem Minister dagegen verlangt man andere
Dinge, Dieser muß vor Allem tüchtige Kenntnisse, einen prak-
tischen Verstand und gewandte Thatkraft besitzen. Ob Gagern
diese Eigenschaften Hal? er hat — bis jetzt noch nicht erprobt;
eine allzugroße Wahrscheinlichkeit streitet jedenfalls nicht dafür.
Fehlen ihm diese Eigenschaften, wie nun? Ja freilich, das
wäre ein bedeutendes Misere für di: ganze zahlreiche Partei,
die auf Gagern ihre letzte Hoffnung gebaut bat. Wir aber
haben große Hoffnung, baß Gagern nicht reuiffiren wird. Die
„Kühnheit," mit welcher er bei seinem Amtsantritt in die
früheren Beschlüsse der Versammlung „eingriff," die un-
vergleichliche Taschenkünstlcrgewandtheit, mit der er durch sein
allmächtiges Wort si Millionen Brüder in Oesterreich von
Deutschland wegzueecamotiren suchte, sein ausgesprochener Plan,
durch Festsetzung eines Wahlcensus sich das Negieren zu er-
leichtern und noch so manches Andere bestärken unsere Hoff-
nung. Mit Gagern aber stürzt das ganze Gebäude Derer
zusammen, welche geglaubt haben, ein nach Freiheit hungern-
des Volk mit Phrasen füttern zu können. Darum, mein Volk,
merk auf! Wir werden nicht unterlassen, jeden Tritt dieses
Mannes, dem wir die traurige Entwickelung unserer ganzen
Revolution zu danken haben, genau zu beobachten, lind wenn
dann, das, war wir fürchten und hoffen eiutrcten sollte, wenn
dieser Mann wirklich einer diplomatischen Jnirigue seinen Na-
men und Charakter zum Opfer bringen würde - so werben
wir das Sacrelegium nicht scheuen, das an heiligen Personen
haftet, und ohne Furcht dem heiligen Manne die Larve weg-
reißen !
 
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