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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0513

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berg vierteljährig 45 kr.
Durch die Post bezogen im
ganzen Großh. Baden l fl.
IN kr. Bei Inseraten kostet
die dreispalt. Pctitzcile Lkr.

Hi" 1.2«.



Bestellung wird gemacht in
Heidelberg in der Buch-
druckerei von Renner u.
Wolff und bei Kaufmann
Berner; auswärts bei
allen Postämtern. Briefe
werden frankirt erbeten.

Freitag, 1. September.

1848

Das Proletariat.
Von E. B.
Die Freiheit, die jeder Mensch anzusprechen hat, besteht
nicht in dem Rechte, sondern in der dem Menschen bewilligten
Macht, unter der Herrschaft der Gerechtigkeit und unter dem
Schutze des Gesetzes seine Fähigkeiten auszuüben. Das Recht
zur Arbeit hat allerdings Jedermann; aber es handelt sich um
das Recht auf die Arbeit. Man speist den Armen mit den
Worten ab: „Arbeite! du hast ja das Recht, zu arbeiten!"
Wozu kann ihm aber das Recht nützen, das nicht viel besser
als keines ist? Er darf nicht jagen, nicht fischen, nicht
Früchte pflücken, die Gottes Güte ihm am Wege reifen läßt.
Er ist zu arm, um die Erve für seine Rechnung besäen zu
können; er könnte nicht einmal arbeiten, wenn er sich nicht
den Bedingungen unterwerfen wollte, welche die ihm Arbeit
Gcwährcnven stellen. Nichts schützt ihn gegen das Unglück
seiner Stellung und vergebens quält er sich gegen die Tyran-
nei der Verhältnisse ab. Wer die Hindernisse kennt, die der
Arme überwinden muß, um dahin zu gelangen, daß er von
seiner Arbeit leben kann, der sieht cs schmerzlich ein, daß aller
Wohlthätigkeitsstnn nimmer ausrcicht, die täglich wachsende
Noth des Volkes zu lindern, und daß die Stunde jeden Au-
genblick schlagen könnte, wo man das Brod für den Tag
stehlen oder erkämpfen wird. Dieses stehende Heer des Kum-
mers und Elends wächst mit jedem Tag; es bildet die furcht-
bare vierte Klasse im gesellschaftlichen Verbände, die jedes Zei-
chen der Zeit, bas irgend eine Umgestaltung ihrer Verhältnisse
in Aussicht stellt, jubelnd begrüßt, und die sich in den Staa-
ten durch die langen Friedensjahre zu einer socialen Macht
ausgebildet hat, gegen welche alle Klugheit und Bureaukratie,
die sich ja doch als die echte Repräsentation aller Macht im
Staate, als die einzige Quelle aller Volksbeglückung, ja als
den eigentlichen Staat ansicht, rathlos sein dürfte. Man lasse
nur die Finanzthcoretikcr, wie Bensen sagt *), mit ihrem Na-
tionalreichthum um jeden Preis, mit ihrer gemeinschädlichen
Industrie, mit ihrer unbedingten Nachäfferei Englands fort-
u irtschaften, man fördere das Werk der Bureaukratie mit ih-
rem Hochmuth, mit ihrer Geheimnißkrämerei, mit der Zerstö-
rung der nationalen Organe und jedes Bolkswillens, und die
Proletarier werden rasch aufwachsen, wie die Pilze nach einer
warmen Negennacht. Man darf nicht darauf rechne», daß
diese Proletarier immer sehr zahm bleiben werden, denn das
Elend treibt sie vorwärts, so daß es wohl bis zu nervösfie-
berhaften Erscheinungen kommen dürfte, gegen die auch der
beste Wille der Regierenden ohnmächtig bliebe. In solchen
Zeiten die Rechte der Staatsbürger mit Martialgesetzen be-
schränken zu wollen, heißt die öffentlichen Gewalten nur zur
Erdrückung des Volkes benützen, den Gegendruck Hervorrufen
und jede Versöhnung der Parteien unmöglich machen. Die
unbequeme Lage der meisten Regierungen ist nur eine Folge
her durch vieljährige systematische Unterdrückung gehemmten
— *) „Die Proletarier," eine historische Denkschrift von Dr. H.
W. Bensen (Stuttgart 1847g p. 492 f.

politischen Evolution des Lebens und der hierdurch erzeugten
revolutionären Stimmung. Mag man auch noch so viel Ach-
tung haben vor der politischen Weisheit, welche die Angele-
genheiten der Welt zu ordnen glaubt, seit mehr als 30 Jah-
ren hat sie den Knoten, dcn sie lösen wollte, nur noch mehr
verwickelt. Wer möchte Angesichts des Resultats der bisheri-
gen Negierungskunst den Wunsch nach einer Umgestaltung der
Dinge ein Verbrechen nennen? Die Nothwendigkeit einer
Revolution ist hcrbeigeführt, wo man nicht zu rechter Zeit
durch Reformen bewerkstelligt, was ein unabweisbares Be-
dürfniß geworden ist. Das Spiel mit Conzessioncn, das ja
doch nur auf die Blindheit des Volkes gebaut ist, findet keinen
Glauben mehr. Läge der Sonnenaufgang in der Macht der
Cvncedirenden und nichts Haltenden, man müßte ihn tausend-
mal erbetteln und jedenfalls eine Kopfsteuer auf Licht und
Wärme zahlen. Und wenn nun in solchen Tagen die Hoff-
nungslosigkeit der provisorischen deutschen Zustände, ergriffen
von dem Jammer des Augenblickes da die Stunde gewarnt
hat, wo das Volk, wenn es nichts mehr zu essen hat, die
Neichen verspeisen wird; wenn cs — sage ich — Männer
(mögen sie nun Hecker oder Struve, X oder Z. heißen) wa-
gen, voranzuschreiten und kühn genug sind, dem von allen
Nacht- und Mondscheinsmenschen gefürchteten EmporflammcN
des Morgenrothes einer neuen Zeit ungeduldig entgegen zu
eilen, nicht achtend der Bajonette und des Hohns der Großen,
des Spottes der in sich selbst Verliebten, des Gebrülls der
bethörten Menge, — wenn sie in mutharmen Tagen Muth
genug besitzen, nur in sich selbst Hoffnung und Kraft schöpfend,
voll glühenden Eifers allen Hemmnissen entgegen zu stürzen:
verdienen sie darum Beschimpfung und Verachtung? Ihr, die
ihr euch nicht schämt, solche Verachtung auszusprechen, die ihr
euch in den Schatten der russischen Knute sehnet und eure ban-
kerott Phantasie mit dem Blute des Volkes vertraut macht:
wißt ihr wohl, was eurer wartet, wenn die Freiheit unter-
liegt? Man wird euch tausendmal mehr auferlegen, als nö-
thig wäre, die Freiheit zu retten und zu verewigens Nur
Hartes, Grausames und Ungeheures kann dcn Menschen zwin-
gen, im eigenen Heimathland zur Waffe zu greifen und Frank-
reich einen Blick der Hoffnung zuzuwerfen. Wenn einmal
Fürsten gegen ein unglückliches verrathenes Volk sich waffnen,
wenn die Lakaien der Bureaukratie in stumpfsinniger Servilität
mit dem Kosakenthum liebäugeln, und wenn dem verzweifeln-
den Volke, das in seinem Elend nach Hilfe um sich schaut,
Söldnerhorden, die es am eigenen Herzen gepflegt und groß
gezogen hat, ihre Gewehrkolben vor den Kopf schlagen, —
wenn endlich die öffentlichen Gewalten in ihrer Verblendung
sich zu nichts mehr, als zur Verewigung des menschlichen
Jammers benützen lassen, wer will dann noch einem Deut-
schen verwehren, wer will es ihm zur Sünde anrechnen,
wenn er hoffend einem großen Volke seine Leiden klagt, einem
Volke, das sich in den Julitagen 1830 und in den Februar-
tagen 1846 jedenfalls die Bewunderung der Mik- und Nach-
welt gesichert hat? Solche Fragen gehen die Negierungen
 
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