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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0525

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Erscheint Montags ausge-
nommen täglich. In Heidel-
berg vierteljährig 45 kr.
Durch die Post bezogen im
ganzen Grvßh. Baden l fl.
IO kr. Bei Inseraten kostet
die drcispalt. Petitzcile Ar.

H- 12S.


Bestellung wird gemacht in
Heidelberg in der Buch-
druckerei von Renner u.
Wolff und bei Kaufmann
Berner; auswärts bei
allen Postämtern. Briefe
werden frankirt erbeten.

Dienstag, 3. September.

1848.

Das Seitenstück zum 23. August 1848 in Wie».
Die Vorgänge in Wien während des 23. August haben
jedes für Freiheit und Menschlichkeit schlagende Herz mit Ent-
setzen erfüllen müssen. Der reine erhabene Charakter, den die
Wiener Revolution in ihren drei Durchgangspunktcn der März-
und Maitage behauptet hatte, ist durch die Dlutthat eines
Theils der Nationalgarte befleckt worden, die wissentlich oder
nicht unter den Eingebungen und geheimen Anstößen der Ne»
action gehandelt, welche frech auch an ter Donau wieder ihr
Haupt erhebt. Schon läßt sich ahnen, daß früher oder später
aus dem so vergossenen Blute der Same der Rache und neuen
Blutvergießens in üppiger Fülle hcrvorschießen werde, damit
die furchtbaren Geschicke sich erfüllen, die stets von ter allwal-
tendcn Nemesis denen beschicken werten, welche in unheilvoller
Verblendung die Bahn solch blutiger Gewaltthat betreten. Die
Geschichte wiederholt sich in ihren Offenbarungen zwar kaum
bis zu völliger Gleichheit zweier durch Zeit und Ort getrenn-
ter Ereignisse; aber sie gibt häufig bei der fortschreitenden
Entwickelung ihres Geistes in großen, schlagenden Zügen ganze
Acte längst ausgespielter Schicksalstragödien mit so übereinstim-
mender Anlage, Knotenschürzung und Diction des alten Dra-
mas wieder, daß man sich versucht fühlt, die Lösung des
neuen Trauerspiels auch nach dem Ausgang des früheren vor-
auszusctzen. Wer ist nun in dieser Hinsicht bei der Nachricht
über die letzten Vorgänge in Wien nicht lebhaft an die Nie-
dermetzlung auf dem Marsfelde in Paris am k7. Juli 1791
erinnert worden. S«e fand auch kurz nach der Zurückführung
des Königs von seiner Flucht nach Varounes statt. Die Ar-
beiterbewegungen begannen damals auch unter dem Geschrei
nach Brod und bessern Lohn; au dem gedachten Tage hatte
sich das Volk in Ungeheuern Massen auf dem Marefelde ein-
gefunden, um eine Petition an die Nationalversammlung zu
unterschreiben, worin in den energischsten Worten sein Begeh-
ren auegedrückt war. Eine Abtheilung Nationalgarde unter
Lafayettes eigener Anführung, welche die Menge auseinander-
treiben wollte, war mit Sieinwürfen zurückgetrieben worden.
Bailly, Maire von Paris, ließ hierauf das Martialgesetz ver-
künden und die rothe Fahne, das Symbol desselben entfalten.
Lamartine in seinem Meisterweck „der Geschichte der Girondi-
sten" schildert den Verlaus dieses grauenvollen Ereignisses fol-
gender Maßen: „Die Ausrührer ihrerseits, beunruhigt durch
den Anblick der rothen Fahne, welche von den Fenstern des
Stadthauses wehte, hatten zwölf aus ihrer Mitte als Abge-
ordnete an die Munizipalität gesandt. Diese Commissäre ge-
langen durch einen Wald von Bajonetten hindurch in den
Audicnzsaal. Sie vci langen, daß man drei verhaftete Bürger
freilasse und ihnen zurückgebe. Man hört nicht auf sie. Der
Beschluß zu kämpfen war gefaßt. Der Maire und die Mu-
nizipalkörperschaft steigen, drohende Worte ausstoßcnd, die
Stufen des Stadthauses hinab. Der Platz vor demselben war
mit Nationalgardisten und Bourgeoisie bedeckt. Bei Erschei-
nung Daillys, dem die rothe Fahne vorangetragen wird, bricht
ein Geschrei des Enthusiasmus aus allen Gliedern los. Die

Nationalgardisten heben instinktmäßig ihre Gewehre und lassen
die Kolben tönend auf das Pflaster fallen. Die bewaffnete
Macht von Paris, electrisirt durch die Entrüstung gegen die
Clubbs hatte einen Anfall von jenen Nervenerschütterungen,
welche sich der Corporationcn, wie der Individuen bemächtigen,
können. Der öffentliche Geist war in Spannung. Der Schlag
konnte von ihm selbst ausgehen.
Lafapette, Bailly, die Munizipalkörperschaft setzten sich in
Bewegung, vor ihnen her ging die rothe Fahne, hinter ihnen
kamen 10,000 Mann Nationalgarden, die besoldeten Grena-
dierbataillone dieses Dürgcrheeres bildeten die Vorhut. Eine
zahllose Volksmenge folgte, von einem inneren Zug fortgetrie-
dcn, diesem Strom von Bajonetten, der sich langsam über die
Quais und die Straßen von Gros-Caillou gegen das Mars-
feld ergoß. Während dieses Marsches fuhr die andere Volks-
schaar, die seit dem Morgen um den Altar des Vaterlandes
versammelt war, in der friedlichen Unterzeichnung der Petition
fort. Sie glaubte wohl an eine Entfaltung von Streitkräften,
nicht aber an Gewaltthat. Ihre ruhige und gesetzliche Hal-
tung und die nunmehr zwei Jahre andauernde Straflosigkeit
der Empörungen ließ sie an eine ewige Straflosigkeit glauben.
Sie sah die rothe Fahne nur als ein weiteres Gesetz an, dem
man seine Verachtung bezeugen könne.
Am äußern Glacis des Marsfcld angelangt, theilte La-
fayette sein Heer in drei Coloiinen: die erste dieser Colonnen
rückte durch die Allee der Kriegsschule vorwärts; die zweite
und dritte Colonne durch die zwei Ocffnungen, welche in einer
gewissen Entfernung von einander das Glacis durchschnciden
auf dem Wege von der Kriegsschule nach der Seine. Bailly,
Lafayctte, die Munizipalkörperschaft, die rothe Fahne standen
an der Spitze der mittleren Colonne. Der von 400 Trom-
meln geschlagene Angriffsmarsch und das Rollen der Kanonen
aus dem Pflaster kündigte schon von ferne das Nationalheer
an. Dieser Lärm übertönte einen Augenblick das dumpfe Mur-
ren und die zerstreuten Rufe der fünfzigtausend Männer, Wei-
ber und Kinder, welche die Mitte des Marsfeldes einnahmen
oder auf den Glacis sich drängte». In dein Augenblicke, als
Bailly zwischen dem Glacis hindurchrückte, brachen die Männer
des Volkes, welche sie bedeckten und von hier aus das Ge-
folge des Maire, die Bajonette und die Kanonen überschauten,
in rasendes Geschrei und drohende Geberden gegen die Natio-
nalgarde aus: „Nieder mit der rothen Fahne! Schande
Bailly! Tod Lafayctte! Das Volk auf dem Marsfelde ant-
wortete diesem Geschrei mit einmüthigen Flüchen. Erdschollen,
die der Regen dieses Tages gelockert hatte, die einzige Waffe
dieser Menge, flogen gegen die Nationalgarde und trafen das
Pferd des Herrn von Lafayctte, die rothe Fahne und Bailly
selbst. Einige Pistolenschüsse wurden, sagt man, aus der Ferne
auf sie abgcfeuert. Nichts ist weniger erwiesen. Dieses Volk
dachte nicht ans Kämpfen, cs wollte nur cinschüchtern. Bailly
ließ die gesetzlichen Aufforderungen ergehen. Man beantwortete
sie mit Hohngeschrei. Mit der ruhigen Würde seines Amtes
und dem schwermüthigen Ernst seines Charakters gab Bailly
 
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