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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0373

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Erscheint Montags ausge-
nommen täglich. In Heidel-
berg vierteljährig 45 kr.
Durch die Post bezogen im.
ganzen Großh. Baden I st.
>t) kr. Bei Inseraten kostet
die dreispalt. PctitzeileAr.


Bestellung wird gemacht in'
Heidelberg in der Buch-
druckerei von Renner u.
Wolff und bei Kaufmann
Berner; auswärts bei
allen Postämtern. Briefe
werden frankirt erbeten.

Zi" 81. Freitag, 7. Juli. 1848.

Entwickelungs-Geschichte der deutschen Revo-
lution.
(Fortsetzung.)
Es liegt im Naturgesetz, daß die Nächte abgelöst werden
vom Morgen; die ausgleichende Geschichte begrenzt die Gip-
felpunkte der Reaktion durch die Reform. Zuerst erschien ein
schmaler Lichtstrcif an Deutschlands politischem Himmel — die
badische Deputirtenkammer. Hervorgegangen aus einem ziem-
lich freisinnigen Wahlgesetz, aus einem Bolke, welches zu den
gebildetsten in Europa zählt, in einem Lande, welches Frank-
reich zum Nachbar hat, gegenüber einem Großherzog, welcher
seine illegitime Abkunft anfänglich durch populäre Maßregeln
zu decken suchte, zufällig ein Sammelort mehrerer guter Red-
ner und administrativer Talente — war diese Kammer be-
stimmt, in den Tagen der Gewaltherrschaft die bescheidene
Flamme der Vvlkshoffnung zu unterhalten. Die Kleinheit des
Staates und der in seinen meisten Bezirken vorherrschende
kameradschaftliche Ton brachte nicht nur die Mitglieder der
Kammer umer sich, sondern auch mit manchem Oberbcamten
in freundliche Beziehungen; im Interesse der Regierung selber
lag es, die von Frankfurt, Wien und Berlin diktirten Befehle
nicht im ganzen Umfang auszuführen. Daher denn auch eine
nur halbe Kraft und unsichere Hand, wo man jene Befehle
nicht länger hinansschieben durfte Die parlamentarischen Er-
folge der Regierung bei Zurücknahme des Preßgesetzes und
Wiedereinführung der Censur, bei Verfügung des Kammerein-
tritts für mißliebige Staatsdiener glichen mehr "Niederlagen,
als Siegen; das lange ängstlich gemiedene, endlich aber doch
ergriffene Mittel einer Kammcrauflösung verstärkte die Oppo-
sition Physisch und moralisch, regte allerorts die Bürger auf,
änderte daö Ministerium und machte sozusagen ganz Baden
liberal. Dabin kehrten sich nun die Blicke des übrigen Deutsch-
lands. Man betrachtete die dortige Deputirtenkammer, weil
sie öfters über die besonderen Angelegenheiten des Großherzog-
thums hinausging und Tagesfragen des größern Vaterlandes
behandelte, als das Organ einer deutschen Nation; man be-
zeichnete die hervorragendsten Männer derselben als Volks-
häupter in Leid und Freud, während des faulen Friedens wie
für den Fall eines rächenden Kriegs. Dorthin flössen nun
aus allen Gegenden Deutschlands die Nntcrstützungsgelder für
die verfolgten Patrioten zur weiteren Verwenrung, dortige
Oppositionsblätter, die mit nicht sinkendem Muth gegen die
maßlose Willkühr der Censur kämpften, dienten, so weit cs
möglich, den Wünschen und Interessen der deutschen Fortschritts-
Partei; dort bei Mannern holte man Rath und bei Festmah-
len und andern volkethümlichen Versammlungen Trost und Zu-
versicht, wenn es einem in der Heimath zu enge ward. Die
vom Preußenkönig in der Tr..kenheit verfügte, polizeiliche
Ausweisung der badischen Deputaten Jtzstem und Hecker er-
regte einen Sturm der Presse durch ganz Deutschland und
ätzte so recht die Namen der beiden Ausgewiesenen dem Ge-

dächtnisse des Volkes ein; man wählte sie bei der Taufe von
Seeschiffen zu Gcvatterleuten u. s. w. Bald hielt sich die
zur ausgeprägten Kammermajorität gewordene Opposition für-
stark genug, unbeschadet der gemeinsamen Sache sich in eine
liberale und eine radikale Fraktion scheiden zu können. Bei
den Radikalen, welche das revolutionäre Mittel der Steuer-
verweigerung anwendcn wollten, stand schon damals die Idee
der Republik, wenigstens der reinen Demokratie im Hinter-
grund. So lange die Beschäftigung mit dieser Staatsform
nur Worte und nicht Thaten, nur leidlich Geld und nicht
Blut erforderte: so lange bekannten sich auch Professoren und
Bourgeois im Freudentaumel festlicher Gelegenheiten als -
gute Republikaner.
Ein deutscher Schriftsteller sagt: „Es gibt nur eine Frei-
heit, in wie viel Gestalten sie sich auch zeigen mag, ob sie
als Silberschwan aus dem Scheiterhaufen der Hussen steigt,
ob sie leicht gcschildet wie ein Hirtensohn die feindlichen Lan-
zenspitzen sich ins Herz senkt, ob sie eine Römerin, hinabwan-
delt in die Nauchhöhle des Proletariats und den zerlumpten,
hungernden Mitbruder an ihren schwesterlichen Busen drückt,
es ist immer dieselbe Freiheit!" In der That gleicht der re-
ligiöse, politische und soziale Fortschritt einem Prisma, von
welchem jede Einzclseite die beiden andern durchblicken läßt.
Achnliche Gedanken beseelten Diejenigen, welche vor etlichen
Jahren Deutschlands religiöse Bewegung hervorriefen und lei-
teten. Damals drohte Zuchthausstrafe, wenn man als Mit-
glied einer politischen oder sozialistischen Verbindung erfunden
ward. Religionsgcsellschaften konnten Polizei und Justiz we-
niger anhaben, einmal, weil die Regierungen bei den privi-
legirten Confessionen sogar geheime Brüderschaften duldeten
und selbst unterstützten; sodann weil in Deutschland, dem Lande
deS Philosophirens, theosophische Spekulationen ein gewisses
Anrecht besitzen; endlich weil manche Negierung, die sich eben
der Hoheitsrechte wegen im Streit mit der römischen Curie
befand, eine kleine Diversion von unten herauf nicht ungern
sah, und im Drang der Leidenschaften deren tiefere Bedeutung
nicht durchschaute. Auf dem religiösen Boden zeigt sich der
phlegmatische Deutsche empfindlicher und muthiger, als anderö-
nw; das macht, darin besitzt er eine Geschichte, eine achtbare
Geschichte; hier hat er während der blutigen Religionskriege
des sechszehnten und siebenzehntcn Jahrhunderts manchen
Strauß zu Gunsten deS Fortschritts durchgefochtcn. So ent-
stand nun der Deutschkatholiziemus, oder vielmehr so bildete
er sich aus. Kaum hatte der sonst unbekannte Priester Nonge
gegen das mit der Fürstenherrschaft verbundene Rom den Schild
erhoben, als sich sogleich viele Fürstcnfeinde um ihn sammel-
ten. Es war eben ein Feld mehr, auf dem man der unge-
rechten politischen Gewalt opponier» konnte. Daran reihte sich
aber auch eine ziemlich erfolgreiche sozialistische Wirksamkeit.
Verfolgt von der Hierarchie, verdächtig bei der Aristokratie,
verachtet und gemieden von den Geldmenschen, wurde der
Deutschkatholizismus die Religion der Armen, des vierten
Standes, des Proletariats, welcher Volksklasse man bekannt-
 
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