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Die Republik — 1848

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https://doi.org/10.11588/diglit.44147#0359

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müßte, daß er in öffentlicher Sitzung von seinen Collegen ver-
lassen säße, welche eine solche Solidarität nicht würden über-
nehmen können!
Prag, 24 Juni. Die Kleinscite mit dem Hradschin
bietet das bewegte Bild eines militärischen Lagers. Das auf
doppelten Sold gesetzte Militär campirt im Freien, auf
den Höhen des Volkogartens sind Militärbacköfen errichtet,
und fast möchte man daraus schließen, daß sich der unbehag-
liche Belagerungszustand noch lange hinziehen solle. Man
spricht zugleich von einer gänzlichen Uebersiedclung aller Mi-
litär- und Zivilkanzleien und Kaffen von der Altstadt auf die
Kleinseite. Mittlerweile wird der Vcrschwörungsprozeß mit
unablässiger Tbärigkoit fortgesetzt. Zwei AppellationS- und 3
Kriminalräthe sind beigczvgen.
Ausländische Nachrichten.
Aarau, 28. Juni. Am 27. Juni starb in Aarau in
hohem Alter Herr Heinrich Zschokke, als Schriftsteller be
sonders durch seine Stunden der Andacht berühmt, einflußreich
auf die Entwicklung des schweizerischen Volkslebens durch den
von ihm gegründeten Schweizerbotcn.
Straßburg, 29. Juni. Die Nationalversammlung
hat die Vollziehungsgewalt dem General Cavaignac übertra-
gen mit dem Titel eines Conscilpräsidenten. Derselbe hat
sich folgendes Ministerium gebildet: Auswärtiges: Julius
Bastide; Justiz: Bethmont; Inneres: Senard; Krieg: La-
moriciere; Seewesen: Le Blanc; Finanzen: Goudchaur;
Staatsbautcn: Necurt; Handel: Touret.
Paris. Am Sonntag Abend wurden 11 Frauen, die
auf dem Platze des Sta thauses an die dort stationinen Trup-
pen vergifteten Branntwein verkauften, auf der Stelle erschos-
sen. Einige Soldaten, die von diesem Branntwein getrunken,
sind den Wirkungen des Gifts erlegen.
XX. Paris, 27. Juni. Man ist der Jntrigue,
welche das blutige Drama zu leiten und auszubeuten
suchte, auf die Spur gekommen. Sie hatte ihren Sitz gleich-
zeitig in Petersburg, London und Paris. Die beiden erster»
Städte sandten das Geld und den guten Nath; Paris sollte
die Akteurs liefern. Man wußte, daß die Arbeiter über die
Haltung der Nationalverfammlung, über das geflissentliche Hin-
ausschiebcn der sozialen Fragen ungehalten und erboßt waren;
man wußte, daß diese Leute ebensoviel Leichtgläubigkeit als
Muth besitzen und in ihren vorgefaßten Meinungen, in ihrem
Haffe gegen das Bestehende blindlings vorangehen Die rus-
sische Politik sucht den Sturz der französsischcn Republik des
Prinzips, der republikanischen Propaganda wegen; England
wünscht diesen Sturz als nebcnbuhlenscher Nachbar und als
großer Handelsspekulant, der sich viele Geschäfte beschieden
weiß, wenn das innerlich zerrüttete Frankreich an seine Ma-
rine nicht denken kann. Also reichten sich die sonstigen Feinde
John Bull und Czaar die Bruderhand. Die Maschine für
den gemeinsamen Plan war leicht gefunden; man kannte den
allezeit fertigen Kronprätendenten Louis Napoleon, welcher,
weil er ein natürlicher Sohn seines Oheims, des Kaisers zu
sein glaubt und vielleicht auch ist, mit väterlichem Appetit die
Hand nach feder Krone streckt, ohne dabei des verstorbenen
Usurpators Kopf und Muth zu besitzen. Der Held von Bou-
logne und Straßburg wurde also hervorgcsucht. Den Zwi-
schenhändler machte der Eidam des Ezaars, der Napolconide
Lcuchtcnbcrg, dessen Vater ein Bpuhcp der Mutter des fangen

Napoleon war. Auch dieser Herr Cousin- treibt fa das Prä-
tcndenicnhandwerk; er ist seit Längerem in spo der Großkaiser
des neuen Großslavenreichs. Wie schön, wenn die beiden
Vettern von Warschau und Paris aus den europäischen Con-
tinent regieren!
War fa schon einmal zwischen dem alten Napoleon und
dem russischen Alexander eine solche Verabredung getroffen
worden. Slaven und Gallier trennt dann die Elbe; die dum-
men Deutschen theilt man nach links und rechts. Schade um
den schönen Plan, daß die Republik Frankreich hinsichtlich der
Integrität Deutschlands eine andere Meinung hat, als die
französische Monarchie, und daß deshalb Rußland, zurückge-
wiesen von einer ehrenhaften Regierung, mit verachteten Prä-
tendenten negoziren muß. Weil man dem Telemach Napo-
leon ll. nicht ganz traute, wurde ihm ein Mentor in der
Person des Allerwelts-Emil von Girardin gesetzt. Ein besse-
rer Agent für politische Bordelle ist weit und breit nicht an-
zutrcffeu. Er verkauft Vater uud Mutter, Weib und Kind,
fa sich selber um's Geld. Für's Geld hat er sich seiner Zeit
mir dem Nepublikanerchef Carrcl geschossen, und dabei sein
Leben riskirt; für'S Geld hat er moralische und physische Ohr-
feigen hingenommen, und als der knauserige Louis Philipp
und der zähe Guizot den Geldbeutel zustrickten: ging der Ba-
stard-Chevalier zur Opposition über und verrieth den großen
Kaffadiebstahl deö Ministers Testa und Consorten. Er hat
den ersten Nagel an den Sarg Orleans geschlagen: warum
sollte er nicht auch zu einem Tovtengräber der Republik zu
gebrauchen sein!?
Der Czaar und die Engländer sind reiche Leute, und die
halben Goldadler sehen so schön und die ganzen noch schöner.
Der Redakteur der 40,000 Abonnenten zählenden Presse mag
ein artiges Sümmchen bekommen haben. Uebcrdem ist er mit
der Republik unzufrieden, weil sie Seinesgleichen deSavouirt,
und er es unter ihr, trotz aller Mühe, noch nicht zu einem
Deputirten der Nationalversammlung bringen konnte. Dieser
Mann sitzt fetzt in der Coneiergerie, der Knabe Telemach scheint
entflohen zu sein, wenn er nicht noch, wie seine frühere Col-
legin, die Madame Berrp-Dcuz in irgend einem Kamin auf-
gefunden wird. Schwieriger ist das Auffinden oder vielmehr
Habhaftwerden der eigentlichen Urheber des Attentats. Wir
hoffen jedoch zu Gott, daß die Zeit nicht gar ferne sei, wo
wir an zwe- eben so perfiden a!S schändlichen Negierungen
das Blut von 10,000 Franzosen rächen können. Unterdessen
mögen die Ueberlebenden des Proletariats, das sich mit einem
Muth geschlagen, der einer bessern Sache würdig war, die
alte Erfahrung oder Moral beherzigen, daß der Umgang mit
Schlechten in's Verderben führt, daß es eine Entehrung der
Freiheit ist, ihren Sieg mit monarchistischen Geldern erfechten
zu wollen. Tausende von Arbeitern wußten nichts um die
englisch-russischen Snbsidien und kämpften im guten Glauben
an eine gute Sache; allein der Mehrzahl und besonders den
Führern, mußte denn doch die Fülle fremder Münze ausge-
fallen sein, und diese trifft wie die Ausländer, und mehr noch
als diese, die Schuld des Bürgerkriegs.

Autoritäten.
Der Deutsche ist bisher an Gehorsam so sehr gewöhnt
tporden, daß er ihm zur zweiten Natur werden mußte Es
ist ihm anerzogen worden der Gehorsam gegen die Fürsten,
dann der Gehorsam gegen die Polizei, dann der Gehorsam
gegen die Vorschriften der Religion; dann wiederum Gehör-
 
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