Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
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AUSSTELLUNGEN
der aus diefen gepeinigten Händen und bluten-
den Füßen Spricht, ift mit [o vornehmer Zurück-
haltung und folcher Kunft der Darftellung ge-
geben, das man gewiß nicht von einer Über-
trumpfung Grünewaldfcher Dramatik oder gar
von einer Vergröberung reden kann. Und jene
akademifch zart befaiteten Seelen, die mit dem
Plockhorftfchen Chriftusideal im Herzen, en t Jemens-
voll vor diefer „fezeffioniftifchen Roheit“ zurück-
weichen, dürften gut tun, [ich einmal mit dem
Ifenheimer Altar abzugeben: aber der fteht
natürlich als altes Kunftwerk der Vorficht hal-
ber nicht mehr unter der Kritik, fonft würde
Grünewald wohl a u ch fchlecht wegkommen.
— Ganz merkwürdig, ganz perfönlich ift der
Paulus. Da fteht vor einer Wand, die aus
leicht buntgeränderten Fliefen zammengefeßt
fcheint, ein magerer, fchwarzbärtiger Asket,
mit ftarren, fanatifchen Augen und halbge-
öffnetem Munde. Er trägt einen blauen Kittel,
ein blankes Schwert liegt in feinem Arm und
fein Finger weift auf das geöffnete heilige
Buch in feiner Hand, aber aus feinem Blick
fpricht mehr der wilde Sinn des Derwifdis,
der lieber mit dem Schwert als mit dem Wort
die Welt zu feinem Glauben zwingen will.
Gegen diefe Geftalt wirkt der Matthäus zur
Rechten mild und verföhnend. Ein fchöner,
langbärtiger Mann in tiefdunklem Gewand,
deffen Hand (eine herrliche Hand!) fchreibend auf
dem Papier liegt, das feinen Schoß bedeckt,
wendet leicht den Blick nach oben zu dem Engels-
jüngling, der in mattviolettem Kleid nnd bunten
Flügeln zu ihm getreten ift und emporweift zur
Ewigkeit. Diefe Seite gibt nicht den gleichen,
ftarken Eindruck, der vom Crucifixus oder gar
von dem Paulus ausgeht, der Matthäus ift für
die Kraftnatur eines Corinth ein wenig zu
„fchön“, eine Spur zu fehr nach dem Modell
geraten und fo kehrt das Auge immer wieder
zu der linken Hälfte zurück. Gewiß mag man
an dem Triptychon diefes oder jenes auszufe^en
haben: alles in allem wird man aber fein Urteil
auf den zweifellos überzeugenden, tiefgehenden
Gefamteindruck aufbauen müffen und wird feft-
ftellen, daß außer Uhde, der gelegentlich einmal
mit feinen religiöfen Kompofitionen innere Saiten
anzufchlagen weiß, kein anderer moderner Künft-
ler in diefer wenig auf das religiöfe Bild ein-
gekeilten Zeit, fo ftark, fachlich und rein zu
wirken verbanden hat. Dies Bild ift in mehr
wie einer Beziehung bemerkenswert, es läßt von
Corinth als dem Maler des modernen Kirchen-
bildes noch viel erwarten. Der Stadt Tapiau
aber, der gewiß von mancher Seite der neue
Befiß verkümmert worden ift, wollen wir an
diefer Stelle Glück wünfchen! J. Sievers.
BRUSSEL Hier find zurzeit im CERCLE
ARTISTIQUE an 200 Bilder und 80 Skizzen
fowie eine Anzahl Aquarelle und Studien der
vor zwei Jahren verftorbenen Malerin Hen-
riette Ronner ausgeftellt, die zu den beften
Vertreterinnen ihres Faches zählte. Diefer Nach-
laß wird am 8.-9. März im Haag verfteigert,
und man darf wohl darauf gefaßt fein, daß die
Preife der zum Teil einzigartigen Qualität der
Sachen angemeffen fein werden.
BUDAPEST Es gab unter den neueften
Ausheilungen der kleineren Kunftvereine und
Salons zwei, die größere Aufmerkfamkeit ver-
dienten. Die eine, im Kunftfalon „Könyves
Kaiman“, enthielt eine Anzahl kunftgewerblicher
Entwürfe, Teppiche, keramifcher Arbeiten und
Gemälde von Arthur Lakatos, einem jungen
in Kaffa wohnhaften Künftler, der feit einigen
Jahren hauptfächlich auf dem Gebiete der ange-
wandten Kunft tätig ift. Wir können nicht be-
haupten, daß dort auch feine Stärke liegt.
Seine Ornamentik entbehrt nicht der Originalität
und logifchen Ausbildung der aus der Natur ge-
nommenen Grundmotive. Der Gefchmack kann
ihm auch nicht abgefprochen werden. Eine
wahrhaft fchöpferifche Kraft bricht jedoch in den
bisher produzierten Werken nicht durch.
Der Künftler zeigt fich in feinen Ölgemälden,
Paftellen und Aquarellen von verfchiedenen
-Seiten her beeinflußt (wir werden zumeift an
den ungarifchen Maler Jofef Rippl-Rönai erin-
innert), bietet uns aber auch folche Stücke, die
aus dem Eigenen heraus gefchaffen worden
find. Er befolgt eine fynthetifche Richtung und
kommt dabei hauptfächlich als Kolorift in Be-
tracht. Seine Palette liefert noch gewöhnlich
nicht ganz reife Farben; es gelingt ihm jedoch
manchmal, den Grundton eines Naturausfchnittes
richtig zu erfaffen und dadurch Stimmungsvolles
hervorzubringen. Er löft feine Aufgaben mit
Glück, wenn das Farbenthema nicht fehr reich
ift, oder umgekehrt, die Wirkung des Bildes
nicht von einigen zu feinen Tondifferenzen ab-
hängt. Lakatos arbeitet am erfolgreichsten dann,
wenn er das Suggerieren mit wenigen gebro-
chenen Farben anftrebt. Die Motive, die er
dazu aus dem Hernädtale wählt, eignen fich
vorzüglich zu diefem Zwecke.
Die andere Kollektion, die im ueuerdings ge-
gründeten Kunftverein „Künftlerheim“ („Müvesz-
othon“) ausgeftellt wurde, legte von einer un-
gemein tragifch geendeten Künftlerlaufbahn
Rechenfchaft ab. Man fah darin die vielver-
heißenden Arbeiten des jungen Julius Ändorkö,
die aber infolge des Selbftmordes des sehr ta-
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der aus diefen gepeinigten Händen und bluten-
den Füßen Spricht, ift mit [o vornehmer Zurück-
haltung und folcher Kunft der Darftellung ge-
geben, das man gewiß nicht von einer Über-
trumpfung Grünewaldfcher Dramatik oder gar
von einer Vergröberung reden kann. Und jene
akademifch zart befaiteten Seelen, die mit dem
Plockhorftfchen Chriftusideal im Herzen, en t Jemens-
voll vor diefer „fezeffioniftifchen Roheit“ zurück-
weichen, dürften gut tun, [ich einmal mit dem
Ifenheimer Altar abzugeben: aber der fteht
natürlich als altes Kunftwerk der Vorficht hal-
ber nicht mehr unter der Kritik, fonft würde
Grünewald wohl a u ch fchlecht wegkommen.
— Ganz merkwürdig, ganz perfönlich ift der
Paulus. Da fteht vor einer Wand, die aus
leicht buntgeränderten Fliefen zammengefeßt
fcheint, ein magerer, fchwarzbärtiger Asket,
mit ftarren, fanatifchen Augen und halbge-
öffnetem Munde. Er trägt einen blauen Kittel,
ein blankes Schwert liegt in feinem Arm und
fein Finger weift auf das geöffnete heilige
Buch in feiner Hand, aber aus feinem Blick
fpricht mehr der wilde Sinn des Derwifdis,
der lieber mit dem Schwert als mit dem Wort
die Welt zu feinem Glauben zwingen will.
Gegen diefe Geftalt wirkt der Matthäus zur
Rechten mild und verföhnend. Ein fchöner,
langbärtiger Mann in tiefdunklem Gewand,
deffen Hand (eine herrliche Hand!) fchreibend auf
dem Papier liegt, das feinen Schoß bedeckt,
wendet leicht den Blick nach oben zu dem Engels-
jüngling, der in mattviolettem Kleid nnd bunten
Flügeln zu ihm getreten ift und emporweift zur
Ewigkeit. Diefe Seite gibt nicht den gleichen,
ftarken Eindruck, der vom Crucifixus oder gar
von dem Paulus ausgeht, der Matthäus ift für
die Kraftnatur eines Corinth ein wenig zu
„fchön“, eine Spur zu fehr nach dem Modell
geraten und fo kehrt das Auge immer wieder
zu der linken Hälfte zurück. Gewiß mag man
an dem Triptychon diefes oder jenes auszufe^en
haben: alles in allem wird man aber fein Urteil
auf den zweifellos überzeugenden, tiefgehenden
Gefamteindruck aufbauen müffen und wird feft-
ftellen, daß außer Uhde, der gelegentlich einmal
mit feinen religiöfen Kompofitionen innere Saiten
anzufchlagen weiß, kein anderer moderner Künft-
ler in diefer wenig auf das religiöfe Bild ein-
gekeilten Zeit, fo ftark, fachlich und rein zu
wirken verbanden hat. Dies Bild ift in mehr
wie einer Beziehung bemerkenswert, es läßt von
Corinth als dem Maler des modernen Kirchen-
bildes noch viel erwarten. Der Stadt Tapiau
aber, der gewiß von mancher Seite der neue
Befiß verkümmert worden ift, wollen wir an
diefer Stelle Glück wünfchen! J. Sievers.
BRUSSEL Hier find zurzeit im CERCLE
ARTISTIQUE an 200 Bilder und 80 Skizzen
fowie eine Anzahl Aquarelle und Studien der
vor zwei Jahren verftorbenen Malerin Hen-
riette Ronner ausgeftellt, die zu den beften
Vertreterinnen ihres Faches zählte. Diefer Nach-
laß wird am 8.-9. März im Haag verfteigert,
und man darf wohl darauf gefaßt fein, daß die
Preife der zum Teil einzigartigen Qualität der
Sachen angemeffen fein werden.
BUDAPEST Es gab unter den neueften
Ausheilungen der kleineren Kunftvereine und
Salons zwei, die größere Aufmerkfamkeit ver-
dienten. Die eine, im Kunftfalon „Könyves
Kaiman“, enthielt eine Anzahl kunftgewerblicher
Entwürfe, Teppiche, keramifcher Arbeiten und
Gemälde von Arthur Lakatos, einem jungen
in Kaffa wohnhaften Künftler, der feit einigen
Jahren hauptfächlich auf dem Gebiete der ange-
wandten Kunft tätig ift. Wir können nicht be-
haupten, daß dort auch feine Stärke liegt.
Seine Ornamentik entbehrt nicht der Originalität
und logifchen Ausbildung der aus der Natur ge-
nommenen Grundmotive. Der Gefchmack kann
ihm auch nicht abgefprochen werden. Eine
wahrhaft fchöpferifche Kraft bricht jedoch in den
bisher produzierten Werken nicht durch.
Der Künftler zeigt fich in feinen Ölgemälden,
Paftellen und Aquarellen von verfchiedenen
-Seiten her beeinflußt (wir werden zumeift an
den ungarifchen Maler Jofef Rippl-Rönai erin-
innert), bietet uns aber auch folche Stücke, die
aus dem Eigenen heraus gefchaffen worden
find. Er befolgt eine fynthetifche Richtung und
kommt dabei hauptfächlich als Kolorift in Be-
tracht. Seine Palette liefert noch gewöhnlich
nicht ganz reife Farben; es gelingt ihm jedoch
manchmal, den Grundton eines Naturausfchnittes
richtig zu erfaffen und dadurch Stimmungsvolles
hervorzubringen. Er löft feine Aufgaben mit
Glück, wenn das Farbenthema nicht fehr reich
ift, oder umgekehrt, die Wirkung des Bildes
nicht von einigen zu feinen Tondifferenzen ab-
hängt. Lakatos arbeitet am erfolgreichsten dann,
wenn er das Suggerieren mit wenigen gebro-
chenen Farben anftrebt. Die Motive, die er
dazu aus dem Hernädtale wählt, eignen fich
vorzüglich zu diefem Zwecke.
Die andere Kollektion, die im ueuerdings ge-
gründeten Kunftverein „Künftlerheim“ („Müvesz-
othon“) ausgeftellt wurde, legte von einer un-
gemein tragifch geendeten Künftlerlaufbahn
Rechenfchaft ab. Man fah darin die vielver-
heißenden Arbeiten des jungen Julius Ändorkö,
die aber infolge des Selbftmordes des sehr ta-
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