Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

DOI Heft:
5. Heft
DOI Artikel:
Korb, Paul: Corot, Delacroix und Courbet: Zur Ausstellung in der Galerie Miethke in Wien
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0187

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
COROT, DELACROIX UND COURBET IN DER AUSSTELLUNG DER GALERIE MIETHKE

macht durch erhöhte Schälung wieder gut, was die unmittelbar folgende durch ihre
natürliche, vom Selbrterhaltungstrieb diktierte Ungerechtigkeit verfchuldet hat.

So hat Corot z. B. [einen Weltruhm als der Poet unter den Meiftern von Barbizon
errungen, deffen Name nur genannt zu werden braucht, damit aus fließenden Silber-
fchleiern traumfchöne Landfchaften erftehen, in denen an ruhigen Weihern, zwifchen
fchlanken Birken, unter flimmernden Espen, mythologifche Menfchen ihr feliges Dafein
führen. Auch wir find nicht unempfindlich geworden für die füße Flötenmelodie diefer
Bilder. In demfelben Maße aber, in dem wir von diefen einzigen Vifionen ihre in
läffiger Laune aus dem Handgelenk gemalten Abdrücke unterfcheiden lernten, ift unfere
Bewunderung für den Figurenmaler Corot gewachfen, den feine Zeit nicht verftand.
Ich meine jene unvergeßlichen Bilder, die Frauen in einfachen Stellungen und Ver-
richtungen darftellen, wie fie mit einer Laute in der Hand oder vor einer Staffelei
fitzen, wie fie träumerifch daftehen oder edel fchreiten, in die fein abgeftimmte Tracht
der Bretoninnen oder in ein exotifches Märchengewand gekleidet, manchmal, als
griechifche Göttinnen, nur in kriftallklarem Mantel ihrer unberührten Nacktheit. Es
fpricht fich in diefen Geftalten ein unnennbar zartes Verftändnis für den Rhythmus
und die Gliederung des Frauenkörpers und für feine Gebärdenfprache aus, ein fo
inniges Empfinden für das heimlichfte Weben der Frauenfeele, daß Corot zu den
größten Frauendarftellern zu zählen ift, deffen Typen bei aller Zeitlofigkeit ihres Adels
für ihre Tage dennoch fo charakteriftifch find, wie etwa die Frauen des Meifters der
weiblichen Halbfiguren für die erfte Hälfte des 16. Jahrhunderts. Von der malerifchen
Haltung diefer Schöpfungen aber ift zu fagen, daß fie in dem Beftreben, mit der mög-
lichften Aufhellung der Bildfläche die höchftgefteigerte koloriftifche Wirkung zu ver-
einen, auf dem Wege über Chardin zum Delfter Vermeer zurückführen. Diefen
großen Vorgängern gleich weiß Corot die reinften Farben im ftrahlenden Licht zum
unbegreiflich feinen Ornament zu binden.

Auch das Werk Delacroix’ erfuhr manche Umwertung. Bei Lebzeiten hatte der
Meifter unter einer doppelten Verkennung zu leiden. Die ihn bewunderten, be-
wunderten die romantifche Gefte, das literarifch intereffante Sujet der Bilder, fozufagen
jene Schwächen, durch welche auch diefer Große mit feiner Zeit zufammenhing. Die
Menge aber in und außerhalb Frankreichs kannte ihn nicht oder f diätste ihn nicht und
lief den Delaroche, Cogniet, Vernet ufw. nach. Wo find heute jene Tagesgrößen,
deren Bilder damals im Triumph durch Europa zogen, in deren Ateliers Maler aus
aller Welt wie in einem Heiligtum zufammenftrömten, in dem man der tiefften Lehren
teilhaftig werden könne! Ihre Lämpchen find erlofchen, während die Sonne Dela-
croix’ immer fiegreicher leuchtet. Eugene Delacroix ift nicht nur ein genialer Re-
präfentant franzöfifcher Kunft, er ift auch der vollendetfte Typus des künftlerifchen
Franzofen. Er befaß jene Leidenfchaft des Herzens und Klarheit des Kopfes, die feit
jeher die Beften feines Volkes auszeichneten. Mit den hiftorifchen und literarifchen
Ideen gab ihm feine Zeit und Umgebung gleidifam nur die gefchloffenen Formen
für die Unbegrenztheit feiner Einfälle. Seit Rembrandt hat kein Maler das weit-
gefpannte Reich des Menfchlichen fo unumfchränkt beherrfcht wie Delacroix, unter
deffen Pinfel das Grauen und die Anmut, Wut der Beftien und heilandhaftes Dulden
gleich mächtig aufblühten. Seine Kunft kam wie aus glühenden Quellen urmenfch-
lichen Fühlens, mußte jedoch, ehe fie in Erfcheinung trat, über die Eisfelder feines
fcharfen Geiftes. Wollte jemand den Beweis erbringen, daß höchfte Kunft immer
apollinifch fei, der Held und Führer des franzöfifchen Romantizismus, der kühl

162
 
Annotationen