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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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9. Heft
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Steinmann, Ernst: Römische Ausstellungen, [1]: Arte Retrospettiva im Castel St. Angelo
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0370

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RÖMISCHE AUSSTELLUNGEN

I. ÄRTE RETROSPETTIVÄ litt CÄSTEL ST. ÄNGELO

Mit 2 Abbildungen Von ERNST STEINMANN

Ein Sciroccofturm braufte um die Engelsburg. Tief hing zerriffenes Gewölk vom
bleiernen Himmel herab. Gewaltige Staubwolken jagten fich durch die Straßen
und über die Plätje und breiteten durchfichtige graue Schleier über die Dächer und
Kuppeln der Stadt und über die träge dahinftrömenden trüben Waffermaffen des hoch-
gefchwollenen Tiber. Durch die offene Loggia Pauls III. jagten fich kichernd und
ftöhnend die entfeffelten Windgeifter. Sie fanden ihren Weg über die Gänge und
Treppen in die ftillen Höfe Alexanders VII. und Julius II., ja, ihre übermütigen
Stimmen drangen fogar bis in die hohen Prunkgemächer des Appartamento Papale.

Nach einem Wirrwarr ohnegleichen endlich Ruhe! Se. Heiligkeit hatte unerwartet
einen Befuch in der Engelsburg angefagt — vielleicht auf Tage, vielleicht auf Wochen
und Monate — niemand wußte es zu fagen. Und diefe Kunde hatte wie ein Bliß
das fchlummernde Leben in der Feftung erweckt. Der Kaftellan hatte fogar feine
Soldaten aufbieten müffen, um fertig zu werden. Um den Rundbau der Feftung war
in größter Eile ein Garten gefchaffen worden, und der Frühling war gerade rechtzeitig
eingetroffen, überall die Blätter und Blüten herauszulocken. In wenigen Tagen waren
die Gänge, Treppen und Höfe des Feftungslabyrinthes gefäubert worden. Man hatte
Möbel, Teppiche und Prunkgeräte gefandt, und all die Pracht war in den Gemächern
des Pontifex und feines zahlreichen Gefolges je nach Würden und Verdienft mit
fchneller Hand .verteilt worden. Selbft Apotheke und Barbierladen hatten völlig neu
hergerichtet werden müffen, von den Küchen, den Vorratsräumen, den Gefindezimmern
nicht zu reden.

Endlich, endlich war die Arbeit vollbracht, und lächelnd fchritt der Gouverneur
neben dem Maggiordomo Sr. Heiligkeit einher, der eben erfchienen war, noch einen
leßten mufternden Blick in die Gemächer zu werfen, die für den Papft beftimmt waren.
Der wortkarge Prälat liebte es zu fchweigen, wenn er loben mußte, und fo fchwieg
er. Im Schlafgemach Sr. Heiligkeit aber konnte er einen Ausruf der Bewunderung
nicht unterdrücken, als er auf goldener Truhe eine Verkündigung des Fra Filippo Lippi
in prächtigem Goldrahmen prangen fah und rechts und links die beiden Rundbilder des
Fra Bartolomeo und des Pinturicchio erblickte. Aber er bezwang fich fchnell, indem
er erklärte, man habe vergeffen auf das Betpult Sr. Heiligkeit das miniaturengefchmückte
Brevier zu legen, das die Päpfte nur im Caftel St. Angelo zu benutzen pflegten. Dann
läutete er die Glocke mit der köftlichen Zifelierarbeit, um ihren Klang zu prüfen, und
befahl in dem hohen bronzenen Räuchergefäß die duftenden Kräuter anzuzünden.
Langfam, mit fcharfem Blick bald die große Anbetung Peruginos, bald Verrocchios
Madonnenrelief, bald einen der köftlichen Gobelins mufternd, fchritt er weiter durch
die glänzende Flucht der Gemächer, und nachdem er im großen Papftfaal noch einmal
Halt gemacht hatte vor einigen farbigen Zeichnungen des Giulio Romano nahm er durch
die Loggia Julius II. den Weg, den er gekommen, in den Vatikan zurück.

„Nichts, wirklich gar nichts, hat der Reverendifßimo diesmal zu tadeln gefunden,“
fagte der Gouverneur fchmunzelnd zu feinem Adjutanten. „Übrigens wird Se. Heilig-
keit fofort erfcheinen, wenn fich der Sturm gelegt hat.“ —

Solche Stimmungen und Vifionen drängen fich heute dem Befucher der Engelsburg
auf mit einer faft überwältigenden Fülle und Gewalt. Und daß fie es tun, daß der
Bann der Vergangenheit uns fo völlig gefangen nimmt, daß man meint, das Papfttum

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