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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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9. Heft
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Steinmann, Ernst: Römische Ausstellungen, [1]: Arte Retrospettiva im Castel St. Angelo
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0372

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RÖMISCHE AUSSTELLUNGEN

darf fogar annehmen, daß eine Zeichnung des Meifters — eine feiner zahllofen Studien
für die Pieta — diefer grandiofen Kompofition zugrunde liegt. Aber wer wirklich in
diefer doch fehr groben, von keinem Hauch feines Geiftes berührten Arbeit die Hand
Michelangelos zu erkennen vermag, dem hat fich die Pfyche feiner Kunft noch nicht
geoffenbart. Man braucht fich nur umzuwenden und gegenüber den verhauenen
Marmor des Palazzo Rondanini zu betrachten. Dort lieft man noch in halberlofchenen
Zügen die Flammenfchrift des Genius.

Auf einem Tifch in der Mitte des Saales find — leider viel zu niedrig — einige bis
heute großenteils faft völlig unbekannt gebliebene Werke der Plaftik aufgeftellt: drei
Porträtköpfe Michelangelos und ein großer Flußgott in Terrakotta. Die Gipsbüfte
Michelangelos aus der Accademia di San Luca wurde vor kurzem von Sartorio in dem
neuen Katalog der Sammlung publiziert. Diefe fchwächliche Arbeit wurde der Akademie
vor mehr als hundert Jahren von Bartolomeo Cavaceppi als das einzige Porträt Buo-
narrotis gefchenkt, das direkt nach feiner Totenmaske ausgeführt fein foll. Die Marmor-
büfte aus Privatbefiß ift ein Abozzo und zwar wahrfcheinlich ein Entwurf für die Grab-
ftätte Michelangelos in Florenz. Der Ausdruck des Schmerzes ift hier im Marmor er-
greifend zum Ausdruck gebracht. Noch bedeutender wirkt der Bronzekopf des Meifters
aus dem Caftello Sforzesco in Mailand. Der Flußgott ift eine größere Wiederholung
der bekannten Flußgötter im Bargello und, wie es fcheint, eine Studie für die fchöne
Bronze im Palazzo Stroganoff in Rom. Die Frage nach den Flußgöttern Michel-
angelos für die Medicikapelle ift nur vorläufig zum Abfchluß gelangt. Wer einmal
dies Problem wieder aufnehmen will, wird fich vor allem mit dem Flußgott Stroganoff
und diefem merkwürdigen Gebilde in Caftel St. Angelo abzufinden haben, das gleich-
falls aus der Accademia di San Luca hierher gelangt ift.

Von ausgeftellten Originalgemälden find befonders zu nennen: aus der Privat-
fammlung Doria das Porträt des Andrea Doria von Sebaftiano del Piombo, eine ftark
von Michelangelo beeinßußte heilige Familie in Privatbefifcj, und Bacchiaccas bekanntes
Bild aus dem Palazzo Giovannelli: Mofes Waffer aus dem Felfen fchlagend. Wie merk-
würdig ift es, in diefem für Bacchiacca höchft charakteriftifchen Bild mit den kühlen,
bläulichen Tönen alle Frauen mit dem feltfamen Haarputj Michelangelos gefchmückt zu
fehen, der ja auch einmal diefen Stoff in einer Skizze für Julius III. behandelt hat.
(Vafari VII, 58.) Befonderes Intereffe beanfprucht außerdem ein Prophet in der Wüfte
des Daniello da Volterra, der aus Volterra gefandt wurde. Man fieht hier nicht
ohne Erftaunen, was Daniello auch als Maler zu leiften vermochte, ehe er fein Talent
dem Genius Michelangelos preisgab.

Äußerft zahlreich find die ausgeftellten Kopien nach Kompofitionen Buonarrotis.
Wir fehen die Geißelung Chrifti, die Verkündigung, Chriftus in Gethfemane, die
Madonna mit Jofeph und dem fchlafenden Kinde, das jüngfte Gericht, ja auch die
Pieta von St. Peter in einer oder mehr Wiederholungen. Befonders ift eine Wieder-
holung jener bekannten Pieta zu nennen, die Michelangelo für Vittoria Colonna
ausgeführt hat. Das Gemälde ftammt aus Florentiner Privatbefiß. Man muß es
mit der Marmorreplik daneben oder mit Venuftis fchwächlicher Kopie der Villa Borghefe
vergleichen, die gegenüber hängt, um zu realifieren, wie hoch diefe Replik fchon
durch ihre tiefe, fatte Farbengebung alle fonft bekannten überragt.1

1 Der Eigentümer diefes Gemäldes, Conte R. P. Gattefchi, hat foeben eine kleine Gelegenheits-
fchrift publiziert, die das Entftehungsdatum diefer Pieta durch eine Infchrift auf der Rückfeite mit
Sicherheit auf das Jahr 1540 feftzufeljen fcheint.

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