Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0545
DOI Heft:
13. Heft
DOI Artikel:Rundschau - Sammlungen
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0545
SAMMLUNGEN
Zeichnungen von Rowlandfon und Ämiet be-
reichert. W. F. St.
MOSKAU Der [tädtifchen Tretiakow-Galerie
find neuerdings von der Großfürftin Elifabeth
(geb. Prinzeffin von Heffen-Darmftadt) eine An-
zahl von Gemälden als Gefchenk überwiefen
worden, worunter fich, neben einigen ruffifchen
Bildern, ein Bismarckporträt von Lenbach und
zwei Porträte von F. A. Kaulbach befinden.
Letztere [teilen die Großfürftin felbft und ihre
Schwefter, die regierende Kaiferin Alexandra
von Rußland, in jugendlichem Alter dar. P. E.
MÜNCHEN Wie fchon kurz gemeldet wurde,
ift im Spanierfaal der ALTEN PINAKOTHEK
eine Auswahl aus den Schäden der Sammlung
Nemes-Budapeft für ein halbes Jahr zur Auf-
hellung gelangt. Zu diefem Zweck wurde der
Saal, den, wie wir hören, fpäter die franzöfifchen
Bilder der Pinakothek fchmücken füllen, völlig
neu hergerichtet. Durch den breiten, weißlich-
gelben Satinfries, der oben mit einem ftarken
Karnies als unterem Abfchluß den Saal umzieht,
wurde die für moderne Begriffe allzu große
Höhe des Raumes auf das glücklichste reduziert;
von der blaugrauen Befpannung der Wände
heben fich die fo verfchieden gearteten Bilder
der Sammlung, die Grecos, Goyas, Tintoret-
tos fowohl, wie die Holländer und modernen
Franzofen höchft wirkungsvoll ab. Zum erften-
mal find hier in einer großen Galerie ältere und
moderne Gemälde miteinander vereinigt zur
Aufftellung gelangt. Das „Wagnis“ ift über-
rafchend gut gelungen. Da es fich aber bei den
alten wie bei den neueren Gemälden durchgängig
um Werke erften Ranges handelt, ift allerdings
der Grund des Erfolges nicht fchwer zu erraten.
Mit den acht Grecos der Sammlung Nemes
hat Herr von Tfchudi noch zwei weitere ver-
einigt: das „Espolio“ der Pinakothek und ein
hochbedeutfames Gemälde aus der Spätzeit des
Künftlers, den „Laokoon“, der von einem un-
genannten Kunftfreund Herrn von Tfchudi für
die nächften Jahre leihweife zur Verfügung ge-
ftellt wurde. Es wäre fehr zu begrüßen, wenn
diefes eigenartige Werk dauernd der Pinakothek
erhalten bliebe.
Was den Leiter der Bayerifchen Staatsgalerien
zur Aufhellung der Sammlung Nemes in der
Alten Pinakothek bewogen hat, feßt er in dem
Vorwort zu dem „Katalog der Sammlung Nemes“
auseinander, der foeben in proviforifcher Aus-
gabe erfchienen ift. (Der große Katalog der
Sammlung wird Reproduktionen aller ausgehell-
ten Gemälde in Lichtdrucken enthalten.) Bei
der Sammlung Nemes reizte Tfchudi zunächft
die „reiche Qualität der Gemälde“, dann ihr
Charakter als einer „programmatifchen Samm-
lung, oder richtiger der Sammlung eines Freundes
des Impreffionismus, eines, der den Impreffionis-
mus nicht als Programm, fondern als Erlebnis
an fich erfahren hat“. Schließlich glaubte Tfchudi
hoffen zu dürfen, „daß durch die Bekanntfchaft
mit einer fo vorbildlich wirkenden Sammlernatur
auch der Münchener Sammlertätigkeit
neue und fruchtbringende Anregungen zugeführt
werden möchten“. Wir wünfchen nun, daß diefe
Hoffnung fich in recht reichem Maße erfüllen möge.
Das Vorwort Tfchudis ift aber vor allem
von größtem Intereffe, weil hier die Aufgaben
des modernen Galerieleiters wie des modernen
Sammlers in klaffifcher Weife erörtert, klarge-
legt werden. Wir greifen hier folgende Säße
heraus:
„Wenn nicht alles täufcht, kommt unter den
veränderten Einßüffen ein neuer Typ des Ga-
leriedirektors herauf. Ein Typ, der fich von
der mehr kunfthiftorifchen Spielart des 19. Jahr-
hunderts dadurch unterfcheidet, daß ihn das
Sammlungsmaterial vor allem da intereffiert, wo
es durch lebendige Fäden mit der Gegenwart
verknüpft ift. Weniger als der ftille Hüter einer
abgefchloffenen Sammlung kunft- und kultur-
hiftorifcher Dokumente, fühlt er fich als der Ver-
mittler äfthetifcher Werte, für die unfere Zeit
empfänglich geworden. Nicht ifolieren will er,
fondern verbinden. Galerien von älteftem Adel
können unter feiner Hand eine aufregende Ak-
tualität gewinnen. Durch die Gruppierung der
Meifter, den Rhythmus der Aufhängung mögen
die lebendigften Kräfte zur Geltung gebracht
werden. Die Neuerwerbungen werden nicht in
einer mechanifchen Ausfüllung vorhandener
Lücken, fondern in der organifchen Entwicklung
nach der Richtung moderner Tendenzen beftehen.
Im Vorteil werden diejenigen Galerien fein, bei
denen nicht mit 1800 der dicke Strich gezogen
wurde, fondern die wenigftens noch die Kunft
des 19. Jahrhunderts mit umfaßen.
Diefem Galeriedirektor des 20. Jahrhunderts
tritt nun auch ein neuer Sammlertyp an die
Seite. Wie jener verwaltet und ergänzt, fo
baut diefer auf. Nicht nach kunfthiftorifchen
Gefichtspunkten, auch nicht mit jener spezißfchen
Sammlerleidenfchaft, der es um Vollftändigkeit
zu tun ift, fondern mit der erregten Hingabe
des temperamentvollen Kunftfreundes, der nur
da, aber da rafch zugreift, wo fein künftlerifches
Empfinden inftarkeSchwingungen verfeßt wurde.“
Den eigentlichen Katalog der Sammlung hat
Dr. A. L. Mayer verfaßt. Neben der Provenienz
ift ftets die betreffende Literatur forgfam ver-
zeichnet. Von Einzelheiten fei hier bemerkt,
508
Zeichnungen von Rowlandfon und Ämiet be-
reichert. W. F. St.
MOSKAU Der [tädtifchen Tretiakow-Galerie
find neuerdings von der Großfürftin Elifabeth
(geb. Prinzeffin von Heffen-Darmftadt) eine An-
zahl von Gemälden als Gefchenk überwiefen
worden, worunter fich, neben einigen ruffifchen
Bildern, ein Bismarckporträt von Lenbach und
zwei Porträte von F. A. Kaulbach befinden.
Letztere [teilen die Großfürftin felbft und ihre
Schwefter, die regierende Kaiferin Alexandra
von Rußland, in jugendlichem Alter dar. P. E.
MÜNCHEN Wie fchon kurz gemeldet wurde,
ift im Spanierfaal der ALTEN PINAKOTHEK
eine Auswahl aus den Schäden der Sammlung
Nemes-Budapeft für ein halbes Jahr zur Auf-
hellung gelangt. Zu diefem Zweck wurde der
Saal, den, wie wir hören, fpäter die franzöfifchen
Bilder der Pinakothek fchmücken füllen, völlig
neu hergerichtet. Durch den breiten, weißlich-
gelben Satinfries, der oben mit einem ftarken
Karnies als unterem Abfchluß den Saal umzieht,
wurde die für moderne Begriffe allzu große
Höhe des Raumes auf das glücklichste reduziert;
von der blaugrauen Befpannung der Wände
heben fich die fo verfchieden gearteten Bilder
der Sammlung, die Grecos, Goyas, Tintoret-
tos fowohl, wie die Holländer und modernen
Franzofen höchft wirkungsvoll ab. Zum erften-
mal find hier in einer großen Galerie ältere und
moderne Gemälde miteinander vereinigt zur
Aufftellung gelangt. Das „Wagnis“ ift über-
rafchend gut gelungen. Da es fich aber bei den
alten wie bei den neueren Gemälden durchgängig
um Werke erften Ranges handelt, ift allerdings
der Grund des Erfolges nicht fchwer zu erraten.
Mit den acht Grecos der Sammlung Nemes
hat Herr von Tfchudi noch zwei weitere ver-
einigt: das „Espolio“ der Pinakothek und ein
hochbedeutfames Gemälde aus der Spätzeit des
Künftlers, den „Laokoon“, der von einem un-
genannten Kunftfreund Herrn von Tfchudi für
die nächften Jahre leihweife zur Verfügung ge-
ftellt wurde. Es wäre fehr zu begrüßen, wenn
diefes eigenartige Werk dauernd der Pinakothek
erhalten bliebe.
Was den Leiter der Bayerifchen Staatsgalerien
zur Aufhellung der Sammlung Nemes in der
Alten Pinakothek bewogen hat, feßt er in dem
Vorwort zu dem „Katalog der Sammlung Nemes“
auseinander, der foeben in proviforifcher Aus-
gabe erfchienen ift. (Der große Katalog der
Sammlung wird Reproduktionen aller ausgehell-
ten Gemälde in Lichtdrucken enthalten.) Bei
der Sammlung Nemes reizte Tfchudi zunächft
die „reiche Qualität der Gemälde“, dann ihr
Charakter als einer „programmatifchen Samm-
lung, oder richtiger der Sammlung eines Freundes
des Impreffionismus, eines, der den Impreffionis-
mus nicht als Programm, fondern als Erlebnis
an fich erfahren hat“. Schließlich glaubte Tfchudi
hoffen zu dürfen, „daß durch die Bekanntfchaft
mit einer fo vorbildlich wirkenden Sammlernatur
auch der Münchener Sammlertätigkeit
neue und fruchtbringende Anregungen zugeführt
werden möchten“. Wir wünfchen nun, daß diefe
Hoffnung fich in recht reichem Maße erfüllen möge.
Das Vorwort Tfchudis ift aber vor allem
von größtem Intereffe, weil hier die Aufgaben
des modernen Galerieleiters wie des modernen
Sammlers in klaffifcher Weife erörtert, klarge-
legt werden. Wir greifen hier folgende Säße
heraus:
„Wenn nicht alles täufcht, kommt unter den
veränderten Einßüffen ein neuer Typ des Ga-
leriedirektors herauf. Ein Typ, der fich von
der mehr kunfthiftorifchen Spielart des 19. Jahr-
hunderts dadurch unterfcheidet, daß ihn das
Sammlungsmaterial vor allem da intereffiert, wo
es durch lebendige Fäden mit der Gegenwart
verknüpft ift. Weniger als der ftille Hüter einer
abgefchloffenen Sammlung kunft- und kultur-
hiftorifcher Dokumente, fühlt er fich als der Ver-
mittler äfthetifcher Werte, für die unfere Zeit
empfänglich geworden. Nicht ifolieren will er,
fondern verbinden. Galerien von älteftem Adel
können unter feiner Hand eine aufregende Ak-
tualität gewinnen. Durch die Gruppierung der
Meifter, den Rhythmus der Aufhängung mögen
die lebendigften Kräfte zur Geltung gebracht
werden. Die Neuerwerbungen werden nicht in
einer mechanifchen Ausfüllung vorhandener
Lücken, fondern in der organifchen Entwicklung
nach der Richtung moderner Tendenzen beftehen.
Im Vorteil werden diejenigen Galerien fein, bei
denen nicht mit 1800 der dicke Strich gezogen
wurde, fondern die wenigftens noch die Kunft
des 19. Jahrhunderts mit umfaßen.
Diefem Galeriedirektor des 20. Jahrhunderts
tritt nun auch ein neuer Sammlertyp an die
Seite. Wie jener verwaltet und ergänzt, fo
baut diefer auf. Nicht nach kunfthiftorifchen
Gefichtspunkten, auch nicht mit jener spezißfchen
Sammlerleidenfchaft, der es um Vollftändigkeit
zu tun ift, fondern mit der erregten Hingabe
des temperamentvollen Kunftfreundes, der nur
da, aber da rafch zugreift, wo fein künftlerifches
Empfinden inftarkeSchwingungen verfeßt wurde.“
Den eigentlichen Katalog der Sammlung hat
Dr. A. L. Mayer verfaßt. Neben der Provenienz
ift ftets die betreffende Literatur forgfam ver-
zeichnet. Von Einzelheiten fei hier bemerkt,
508