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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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14. Heft
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Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0601

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DENKMALPFLEGE

Sißungen des Senats hat der Senator Profeffor
Barzellotti den Unterrichtsminifter Credaro dies-
bezüglich interpelliert. Diefer gab aber keine
klare präzife Antwort und es fcheint, als ob
die hohe Politik und nicht Rechtsfragen den
Äusfchlag geben werden. L. P.

VENEDIG Schritte gegen die zuneh-
menden Zerftörungen klaffifcher Bau-
werke in Venedig. Nach dem ungeahnten
Einfturze des San Marco-Campaniles gingen die
Anfichten der Technikerwelt über feine Urfachen
weit auseinander.

Die Studien, welche in verfchiedenen Vorträgen
in den Architekten- und Ingenieurvereinen zu
Frankfurt a. M. und Hamburg, wo Deutfchlands
erfahrenfte Wafferbautechniker ihren Sit} haben,
fowie in Auffäßen erfter deutfcher Fachblätter
zum Ausdruck gekommen find, haben indeffen
die Anfchauung befeftigt, daß den fortgefeßten
Baggerungen im San Marcokanal, welche
zur Gewinnung der nötigen Mehrtiefe von 8 m
für die modernen Fahrzeuge der Kriegs- und
Handelsmarine vorgenommen worden find, dem
Pfahlrofte Venedigs den feine Zwifchenräume
ausfüllenden Schlick und damit feine Tragfähig-
keit geraubt haben.

Es befeftigt [ich die Überzeugung, daß die
Wäffer des canale grande fich zwifchen deffen
fcharfer Biegung beim Rialto und der Mündung
des Seufzerbrücken-Kanälchens den unterirdi-
fchen nächften Weg fuchen, der unter dem
Markusplaße hindurch führt. So traten zuerft
Riffe auf an den beiden Widerlagern der großen
Rialtobrücke, fodann am nahen Palazzo Fondaco
deiTedeschi. In der Nähe mußte bald ein ftark
aus dem Lote gewichener weiterer Campanil ab-
getragen werden, die Pilfener Brauerei nächft
den alten Procuratien zeigte Riffe, die leßtern
felbft Verdrehungen ihrer Pfeiler, die fich am
ganzen Umfang des Markusplaßes wiederholen,
der Fußboden des S. Marcodomes weift ftarke
Einfenkung auf, feine Gewölbe Riffe, wie auch
die Hauptinnenwand des Dogenpalaftes und die
Widerlager des Ponte dei sospiri. Als nun
diefen betrübenden Anzeichen der Roftunter-
fpülung auch noch 1911 in der großen Kirche
San Giorgio maggiore am andern Ufer des
Marcokanals ein breiter Scheitelriß längs des
ganzen Mittelgewölbes folgte, da konnte kein
Zweifel mehr bleiben, daß die Unterlaffung
j eglicher Uf erbef eftigung bei und nach jenen
verhängnisvollen Ausbaggerungen Schuld fei an
der mächtig fortfehreitenden Zerftörung der be-
deutenden Bauwerke der Kunftgefchichte. In
Venedig fcheinen leider jene Veröffentlichungen

unbeachtet geblieben zu fein, obgleich von
deutfcher Seite nicht verfäumt wurde, auf fie
durch Zufendung an maßgebende Stellen auf-
merkfam zu machen.

Als daher Italien zur Feier des fünfzigjährigen
Beftehens feiner Einigung in Rom und Turin
großartige Welt-, Kunft- und Induftrieausftel-
lungen vorbereitete, und im Programm derfelben
ausdrücklich Kongreffe der Kunft und Technik
angekündigt wurden, auf welchen internationale
Beratungen hervorragender Fachmänner ihre
Aufmerkfamkeit in erfter Linie der Erhaltung
der hiftorifchen Bauwerke zuwenden follten, da
wurde beim Generalfekretariat in Rom und
gleichzeitig bei der maßgebenden Staatsftelle in
Mailand angeregt, auf dem congresso artistico
die deutfehen Stimmen zu hören, welche auf die
Unentbehrlichkeit der Uferbefeftigungen in Ve-
nedig im Intereffe von deffen Heimatfchuß mit
Begründung aufmerkfam machen. DerVerfaffer
diefer Zeilen verfäumte nicht, fich perfönlich an
diefe Adreffen zu wenden, er ift aber bedauer-
licherweife von keiner derfelben bis heute einer
Antwort gewürdigt worden und der congresso
verlief ohne eine Erörterung der Venediger
Uferbefeftigungsfrage, vermutlich, weil fich die
italienifchen Fachmänner die Freude an ihrem
Jubelfefte nicht gern durch Hinweife auf die
neben ihrer fonftigen Tüchtigkeit unleugbaren
Verfäumniffe trüben laffen wollten.

Noch läßt fich troßdem die Hoffnung aufrecht
erhalten, daß auf dem im Oktober 1911 ftatt-
findenden zweiten Kongreß in Rom, welcher eine
Fortfeßung bilden foll für den Zufammentritt
des „Comite international des architectes in Paris
1910“, das Verfäumte nachgeholt wird, denn
feine Beratungen folien ebenfalls vornehmlich
dem Schüße hiftorifcher Bauwerke gelten, zu
denen ohne Zweifel die Kunftbauten Venedigs
gehören, deren Erhaltung der ganzen zivilifierten
Welt am Herzen liegt. Die Ausführung jener
Uferbefeftigungen beanfprucht freilich Millionen,
welche vielleicht zurzeit zu befchaffen nicht leicht
ift. Troßdem vermögen wir mit unferm „videant
consules, ne quid detrimenti capeat ars!“ nicht zu-
rückzuhalten und wir möchten damit unfer künft-
lerifches Gewiffen entlaßen. Eine fchönere und
lohnendere Aufgabe könnten [ich die feftlichen
Veranftaltungen des jungen Königreichs, diefer
herrlichften Kunftheimat, nicht ftellen, als die
rechtzeitige Rettung des in fchwerer Schädigung
ftets fortfehreitenden Venedig, wahrlich eine
der höchften Ziele internationaler Kunftbeftre-
bungen! G.

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