Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0621
DOI issue:
15. Heft
DOI article:Haberfeld, Hugo: Die französischen Bilder der Sammlung Kohner
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DIE FRANZÖSISCHEN BILDER DER SAMMLUNG KÜHNER
Äbb. 2. DÄUMIER, Singendes Paar
Tatfache, daß ihre Entwicklung diefe fchöne Gefefsmäßigkeit zeigt. Was die Italiener
in der Renaiffance, Rubens und die Holländer im XVII. Jahrhundert gefchaffen, das
geht als Anfchauung im achtzehnten an die Franzofen über, wo es fich im XIX. Jahr-
hundert zu Gipfeln moderner Malkunft erhebt. Diefer organifche Verlauf hat aber
durchaus nicht die fchnurgerade, mefferfcharfe Exaktheit eines Rechenexempels, fondern
zeigt das häufige fpielerifche Abbiegen, die fcheinbar unbegrenzte Möglichkeitenfülle
des evolutioniftifchen Gefchehens in der Natur, wo unter dem bunt fchillernden Reich-
tum der launifch bewegten Oberfläche fich unabläffig Glied an Glied reiht zur reftlofen
Verwirklichung des großen Zwecks. So reicht denn auch in Frankreich nicht ein Mei-
fter dem andern die Fackel durch das XIX. Jahrhundert, gibt nicht ein jeder das vom
Vorgänger übernommene, um die eigene Leiftung vermehrte Erbe an den Nachfolger
mit Bewußtfein weiter. Vielmehr wirken die Künftler unbekümmert um einander, häufig
gegeneinander, jeder nur beforgt, das Schaufpiel des eigenen künftlerifchen Lebens zu
vollenden und gegen den Nächften abzugrenzen. Was ihnen als Glück oder Schmerz
ihrer Sendung erfcheint, deckt fich nur feiten damit, was fie für die Entwicklung be-
deuten: die fich als Revolutionäre fühlen, bringen oft das wirklich Neue garnicht in
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Äbb. 2. DÄUMIER, Singendes Paar
Tatfache, daß ihre Entwicklung diefe fchöne Gefefsmäßigkeit zeigt. Was die Italiener
in der Renaiffance, Rubens und die Holländer im XVII. Jahrhundert gefchaffen, das
geht als Anfchauung im achtzehnten an die Franzofen über, wo es fich im XIX. Jahr-
hundert zu Gipfeln moderner Malkunft erhebt. Diefer organifche Verlauf hat aber
durchaus nicht die fchnurgerade, mefferfcharfe Exaktheit eines Rechenexempels, fondern
zeigt das häufige fpielerifche Abbiegen, die fcheinbar unbegrenzte Möglichkeitenfülle
des evolutioniftifchen Gefchehens in der Natur, wo unter dem bunt fchillernden Reich-
tum der launifch bewegten Oberfläche fich unabläffig Glied an Glied reiht zur reftlofen
Verwirklichung des großen Zwecks. So reicht denn auch in Frankreich nicht ein Mei-
fter dem andern die Fackel durch das XIX. Jahrhundert, gibt nicht ein jeder das vom
Vorgänger übernommene, um die eigene Leiftung vermehrte Erbe an den Nachfolger
mit Bewußtfein weiter. Vielmehr wirken die Künftler unbekümmert um einander, häufig
gegeneinander, jeder nur beforgt, das Schaufpiel des eigenen künftlerifchen Lebens zu
vollenden und gegen den Nächften abzugrenzen. Was ihnen als Glück oder Schmerz
ihrer Sendung erfcheint, deckt fich nur feiten damit, was fie für die Entwicklung be-
deuten: die fich als Revolutionäre fühlen, bringen oft das wirklich Neue garnicht in
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