Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0668
DOI Heft:
16. Heft
DOI Artikel:Neuwerwerbungen des Kunstgewerbemuseums der Stadt Köln
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NEUERWERBUNGEN DES KUNSTGEWERBE-MUSEUMS DER STÄDT KÖLN
die Figur im Rahmen der Kölner Schule keinen
Raum hat. Durch die eigenartige Verarbeitung
der Elemente fremder Kunftzufammenhänge, vor
allem durch fränkifche Einflüße der unteren
Maingegend, erhält diefe Madonna für die
mittelrheinifche Plaftik der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts entwicklungsgefchichtliche Be-
deutung. Leider ift die Figur, die lange im
Freien geftanden haben muß, an der Vorderfeite
zum Teil verwittert und in Ton ergänzt.
Die Figur der Barbara vom Ende des 15. Jahr-
hunderts gehört entweder dem Mittelrhein an
oder der niederrheinifchen Plaftik, mit der fie
fich in einer gewiffen Herbheit der Linien-
führung, fowie in der ftärkeren Betonung des
Organismus des Körpers (zumal in den oberen
Partien) berührt. Allein der reiche, ein wenig
willkürliche Faltenwurf des Mantels, der in
der Kompofition auf die Mitwirkung des Kör-
pers verzichtet, hebt fich von der Emmericher
oder Kalkarer Gruppe fo fehr ab, daß auch
diefe Figur dem Mittelrhein zuzufchreiben ift.
Dafür fpricht ihr Fundort. Sie ftammt aus dem
Dorfe am Fuße der Burg Rheineck, angeblich
aus der jetzt reftaurierten Kapelle der Burg.
Von den übrigen plaftifchen Arbeiten fei eine
Treppenftütje aus der Gegend von Tournai, bez.
1556 erwähnt. Die gut durchgebildete Geftalt
mit dem Doppelantlitz (fugend und Alter), der
Weltkugel mit Kinderkopf, fowie einem Toten-
fchädel in den Händen weift auf die Vergäng-
lichkeit, auf die Abkehr von der Welt (Tecum
habita) (Abb. 4).
Das bedeutendfte Stück der Neuerwerbungen
ift ein Wirkteppich vom Niederrhein mit der
Darftellung dreier Heiliger. In der ornamentalen
Behandlung der Bordüre, die an den Schmalfeiten
Vafen mit Blumenund breitlappigem Blattwerk, an
der unteren Seite Rollwerk in Blattverfchlingung
zeigt, vor allemaber in der Art, wie die Figuren
vor dem Hintergründe ftehen, macht fich eine
nahe ftiliftifche Verwandtfchaft mit den Teppichen
der Viktorkirche in Xanten geltend. Wenn
auch die Xantener Teppiche, zumal die fechs
über dem Chorgeftühl aus dem Jahre 1520 in
dem ins Großzügige ftilifierten Pflanzenwerk
des Grundes, noch völlig den Flächencharakter
betonen,1 fo findet fich der Nachklang diefes Stils,
trotz der landfchaftlichen Weite der beiden Seiten-
felder, in diefer fpäteren Zeit, der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, fo unverhohlen ausgeprägt,
daß die Zugehörigkeit zu diefer niederrheinifchen
Gruppe nicht zu bezweifeln ift. Das gleiche
monumentale Gefühl lebt hier wie dort in den
großen, wenig bewegten Geftalten, die unter
Säulenarkaden ftehen. Die Unterfchriften find
in Beziehung zu dem Charakter der Heiligen
gefeßt. Sie lauten in bezug auf Hubertus „Con-
versatio iusti philosophia“, auf Georg „Tendit
in ardua virtus“ und auf Laurentius „Versa et
manduca“. Die letztere ift der Antiphon zum
Magnificat in der zweiten Vefper des Offiziums
des Heiligen entnommen.2 Sie bedeutet: „Versa,
wende den Braten um (damit er genießbar
werde), manduca, und iß davon, denn von dem
Kirchengute, nach dem du lüjtern bift, bekommft
du doch nichts, dies haben die Hände der Ar-
men in des Himmels Schatzkammer geborgen.“2
Der Ergänzung der heimifchen Volkskunft und
Bauernkeramik dienen mehrere große Tonfchiif-
feln aus Frechen und aus der Gegend von Hüls
bei Krefeld mit ftilifierten Blütenftauden bzw.
mit plaftifch aufgelegten Figuren. Außerdem
konnte eine Gruppe von Kölner Steingutarbeiten
aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts zufam-
mengeftellt werden, Krüge und Teller mit durch-
brochenem Rande mit Darftellungen von Heili-
gen. Die Fabrikation währte bis 1816. Der
eingepreßte Rundftempel trägt die Bezeichnung
„Porcellan Fab. von Eng. Cremer u. Sohn in
Cöln a. R.“ G. E. L.
1 Lüthgen, Ein Wirkteppich des Meifters J. M. Chriftl.
Kunft, 1910, S. 233.
2 Jahresberidit a. a. O. S. 31.
627
die Figur im Rahmen der Kölner Schule keinen
Raum hat. Durch die eigenartige Verarbeitung
der Elemente fremder Kunftzufammenhänge, vor
allem durch fränkifche Einflüße der unteren
Maingegend, erhält diefe Madonna für die
mittelrheinifche Plaftik der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts entwicklungsgefchichtliche Be-
deutung. Leider ift die Figur, die lange im
Freien geftanden haben muß, an der Vorderfeite
zum Teil verwittert und in Ton ergänzt.
Die Figur der Barbara vom Ende des 15. Jahr-
hunderts gehört entweder dem Mittelrhein an
oder der niederrheinifchen Plaftik, mit der fie
fich in einer gewiffen Herbheit der Linien-
führung, fowie in der ftärkeren Betonung des
Organismus des Körpers (zumal in den oberen
Partien) berührt. Allein der reiche, ein wenig
willkürliche Faltenwurf des Mantels, der in
der Kompofition auf die Mitwirkung des Kör-
pers verzichtet, hebt fich von der Emmericher
oder Kalkarer Gruppe fo fehr ab, daß auch
diefe Figur dem Mittelrhein zuzufchreiben ift.
Dafür fpricht ihr Fundort. Sie ftammt aus dem
Dorfe am Fuße der Burg Rheineck, angeblich
aus der jetzt reftaurierten Kapelle der Burg.
Von den übrigen plaftifchen Arbeiten fei eine
Treppenftütje aus der Gegend von Tournai, bez.
1556 erwähnt. Die gut durchgebildete Geftalt
mit dem Doppelantlitz (fugend und Alter), der
Weltkugel mit Kinderkopf, fowie einem Toten-
fchädel in den Händen weift auf die Vergäng-
lichkeit, auf die Abkehr von der Welt (Tecum
habita) (Abb. 4).
Das bedeutendfte Stück der Neuerwerbungen
ift ein Wirkteppich vom Niederrhein mit der
Darftellung dreier Heiliger. In der ornamentalen
Behandlung der Bordüre, die an den Schmalfeiten
Vafen mit Blumenund breitlappigem Blattwerk, an
der unteren Seite Rollwerk in Blattverfchlingung
zeigt, vor allemaber in der Art, wie die Figuren
vor dem Hintergründe ftehen, macht fich eine
nahe ftiliftifche Verwandtfchaft mit den Teppichen
der Viktorkirche in Xanten geltend. Wenn
auch die Xantener Teppiche, zumal die fechs
über dem Chorgeftühl aus dem Jahre 1520 in
dem ins Großzügige ftilifierten Pflanzenwerk
des Grundes, noch völlig den Flächencharakter
betonen,1 fo findet fich der Nachklang diefes Stils,
trotz der landfchaftlichen Weite der beiden Seiten-
felder, in diefer fpäteren Zeit, der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, fo unverhohlen ausgeprägt,
daß die Zugehörigkeit zu diefer niederrheinifchen
Gruppe nicht zu bezweifeln ift. Das gleiche
monumentale Gefühl lebt hier wie dort in den
großen, wenig bewegten Geftalten, die unter
Säulenarkaden ftehen. Die Unterfchriften find
in Beziehung zu dem Charakter der Heiligen
gefeßt. Sie lauten in bezug auf Hubertus „Con-
versatio iusti philosophia“, auf Georg „Tendit
in ardua virtus“ und auf Laurentius „Versa et
manduca“. Die letztere ift der Antiphon zum
Magnificat in der zweiten Vefper des Offiziums
des Heiligen entnommen.2 Sie bedeutet: „Versa,
wende den Braten um (damit er genießbar
werde), manduca, und iß davon, denn von dem
Kirchengute, nach dem du lüjtern bift, bekommft
du doch nichts, dies haben die Hände der Ar-
men in des Himmels Schatzkammer geborgen.“2
Der Ergänzung der heimifchen Volkskunft und
Bauernkeramik dienen mehrere große Tonfchiif-
feln aus Frechen und aus der Gegend von Hüls
bei Krefeld mit ftilifierten Blütenftauden bzw.
mit plaftifch aufgelegten Figuren. Außerdem
konnte eine Gruppe von Kölner Steingutarbeiten
aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts zufam-
mengeftellt werden, Krüge und Teller mit durch-
brochenem Rande mit Darftellungen von Heili-
gen. Die Fabrikation währte bis 1816. Der
eingepreßte Rundftempel trägt die Bezeichnung
„Porcellan Fab. von Eng. Cremer u. Sohn in
Cöln a. R.“ G. E. L.
1 Lüthgen, Ein Wirkteppich des Meifters J. M. Chriftl.
Kunft, 1910, S. 233.
2 Jahresberidit a. a. O. S. 31.
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