Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0696
DOI Heft:
17. Heft
DOI Artikel:Cohn, Willy: Landolin Ohmacht
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LANDOLIN OHMACHT
mütig zurückgeworfen und etwas zum Profil ge-
dreht, im Ausdruck des verfetteten Gefichtes ein
wenig Ironie und viel Genußfucht, erinnert diefer
Reichtum an Kontraften entfernt an ungefähr gleich-
zeitige Büften des großen Franzofen. Aber deren
zwingende Unmittelbarkeit, das überrafchend Geift-
reiche der Aktion klingt nur gefchwächt nach.
Und diefes Experiment, momentane Bewegungen
zum Träger der Charakteriftik zu machen, fcheint
Ohmacht felbft nicht weiter verfolgt zu haben.
Er war in den Bannkreis einer gegenfä^lich ge-
arteten Strömung geraten; mit feinem Einzug in
Rom, 1790, fetjt eine dritte Wandlung im Leben
des nun Dreißigjährigen ein. Nicht mehr das Per-
fönliche, fondern das Typifche, nicht mehr das
wechfelvolle Vielerlei des Augenblicks, fondern den
Gehalt an allgemein gültiger,, bleibender und ge-
[etjmäßiger Schönheit galt es, in jener Kunft zu
faffen. Aber trot} Canova und feiner gepriefenen
Antike ging der eigenwillige Schwabe nur zögernd
zu diefen neuen Idealen über. Es hat faft zwei
Jahrzehnte gedauert, bis Ohmacht zum überzeugten Klaffizisten wurde. Dennoch wird
mit dem Jahre 1790 ein Dualismus in feiner
Kunft fühlbar. Schon aus einer kleinen
Reihe von Kopien nach der Antike, die
wahrfcheinlich in Rom felbft entftanden,
läßt fich jener Widerftreit zwifchen dem
Willen zur Antike und der Schulung im
Louis XVI. der Porzellanmanufaktur er-
kennen. Am bezeichnendften hierfür die
„Kopie“ Ohmachts nach der Hera Ludovifi
(Abb. 3), in der aus dem ftreng monu-
mentalen, erhabenen Haupt der Göttin ein
kleines, liebliches Oval mit weichen, glatten
Rundungen und leife verfchwimmenden
Konturen wird. Lange Zeit fcheint diefe
Juno Ohmachts Idealtypus gewefen zu fein;
fie charakterifiert aufs deutlichfte die Um-
bildung antiker Formenftrenge in Ohmachts
römifcher Periode. Die huldigende Frau
des Petersgrabmales in Lübeck (f. u.) trägt
diefe Züge. Mit vollerem, finnlicherem
Akzent wird fie zur Bacchantin. Selbft in
Bildniffen der frühen neunziger Jahre, wie
dem einer Frau Sömmering, dringt diefer
Typus durch, und dem übermäßig bewum- flbb. 3 läNDOLIN OHMÄCHT, Juno Ludoviji.
derten Relief von Hölderlins Diotima (Frau Um 1790. Nach einem Gipsabguß
Abb. 2. LANDOLIN OHMACHT, Bildnis
eines Unbekannten. 1789
Früher Sammlung Lanna, Prag
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mütig zurückgeworfen und etwas zum Profil ge-
dreht, im Ausdruck des verfetteten Gefichtes ein
wenig Ironie und viel Genußfucht, erinnert diefer
Reichtum an Kontraften entfernt an ungefähr gleich-
zeitige Büften des großen Franzofen. Aber deren
zwingende Unmittelbarkeit, das überrafchend Geift-
reiche der Aktion klingt nur gefchwächt nach.
Und diefes Experiment, momentane Bewegungen
zum Träger der Charakteriftik zu machen, fcheint
Ohmacht felbft nicht weiter verfolgt zu haben.
Er war in den Bannkreis einer gegenfä^lich ge-
arteten Strömung geraten; mit feinem Einzug in
Rom, 1790, fetjt eine dritte Wandlung im Leben
des nun Dreißigjährigen ein. Nicht mehr das Per-
fönliche, fondern das Typifche, nicht mehr das
wechfelvolle Vielerlei des Augenblicks, fondern den
Gehalt an allgemein gültiger,, bleibender und ge-
[etjmäßiger Schönheit galt es, in jener Kunft zu
faffen. Aber trot} Canova und feiner gepriefenen
Antike ging der eigenwillige Schwabe nur zögernd
zu diefen neuen Idealen über. Es hat faft zwei
Jahrzehnte gedauert, bis Ohmacht zum überzeugten Klaffizisten wurde. Dennoch wird
mit dem Jahre 1790 ein Dualismus in feiner
Kunft fühlbar. Schon aus einer kleinen
Reihe von Kopien nach der Antike, die
wahrfcheinlich in Rom felbft entftanden,
läßt fich jener Widerftreit zwifchen dem
Willen zur Antike und der Schulung im
Louis XVI. der Porzellanmanufaktur er-
kennen. Am bezeichnendften hierfür die
„Kopie“ Ohmachts nach der Hera Ludovifi
(Abb. 3), in der aus dem ftreng monu-
mentalen, erhabenen Haupt der Göttin ein
kleines, liebliches Oval mit weichen, glatten
Rundungen und leife verfchwimmenden
Konturen wird. Lange Zeit fcheint diefe
Juno Ohmachts Idealtypus gewefen zu fein;
fie charakterifiert aufs deutlichfte die Um-
bildung antiker Formenftrenge in Ohmachts
römifcher Periode. Die huldigende Frau
des Petersgrabmales in Lübeck (f. u.) trägt
diefe Züge. Mit vollerem, finnlicherem
Akzent wird fie zur Bacchantin. Selbft in
Bildniffen der frühen neunziger Jahre, wie
dem einer Frau Sömmering, dringt diefer
Typus durch, und dem übermäßig bewum- flbb. 3 läNDOLIN OHMÄCHT, Juno Ludoviji.
derten Relief von Hölderlins Diotima (Frau Um 1790. Nach einem Gipsabguß
Abb. 2. LANDOLIN OHMACHT, Bildnis
eines Unbekannten. 1789
Früher Sammlung Lanna, Prag
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