Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0698
DOI issue:
17. Heft
DOI article:Cohn, Willy: Landolin Ohmacht
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LANDOLIN OHMACHT
in Ohmacht durch Jahrzehnte lebendig und
fprechen [o vernehmlich aus feinem Peters-
grabmal in Lübeck oder etwa dem Ober-
lindenkmal in Straßburg (Äbb. 5), daß auf
Canovas Emomonument oder fein Ganganelli-
grab von 1787 nur hinzuweifen ift.
In den zwei Jahren römifchen Aufent-
haltes ift aus dem Medailleur Ohmacht der
Bildhauer geworden. Nach Rom beginnt die
fchöne Reihe feiner Grabdenkmäler, entftehen
die erften lebensgroßen Büften. Reif und ge-
fammelt erfcheint Ohmachts Kunft. Ein Strahl
von ftill feierlicher Größe zittert über den
Werken der Folgezeit. Sinnender, oft fchwer-
mütiger Ernft fpricht von nun an aus feinen-
Bildniffen und bezeugt jene Steigerung und
Verinnerlichung des Könnens, die feit Jahr-
hunderten das geheimnisvolle und ureigenfte
Gefchenk der ewigen Stadt an empfängliche
Naturen ift.
Und dennoch wäre es irrig, den Ohmacht
des nächften Jahrzehnts zum Klaffiziften zu
machen. Dazu enthalten die Kleinplaftiken
fowohl der auf Rom folgenden Frankfurter
Zeit1 (etwa 1791—94) als auch des drei-
jährigen Hamburger Aufenthaltes (etwa 1795
bis 1797) noch zuviel von der intimeren, be-
fcheidenen Feinheit des Louis XVI. Gewiß
fallen nun die Haare in größeren und kla-
reren Wellenzügen. Und die oft peinlichen
Unficherheiten in der Wiedergabe der Locken-
fülle und ihrer Stofflichkeit, bei denen 1789
in dem Berliner Bildnis einer Frau Haas der
Kopf zu einer formlofen und unmöglichen
Breite geriet, find überwunden. Die Binnen- Äbb. 5. LÄNDOLIN OHMÄCHT, Grabmal für
modellierung ift vereinfacht und Details werden J. J- Oberlin. 1809/10 straßburg, Thomaskirche
zugunften eines reineren und „idealeren“ Ge-
famteindruckes unterdrückt. Ja felbft in der Signatur S2MAXT äußert fich das neue
Empfinden des Zufammenhanges mit der als Höhepunkt plaftifcher Kunft bewunderten
Antike. Aber im ganzen bleibt den Arbeiten jener Wanderjahre die Formenver-
wandtfchaft mit dem Biscuit der Porzellanmanufaktur. Sie fuchen auch fernerhin
Schönheiten im matten Schimmern des Alabafters, in kaum merklichen Wellungen der
Oberflächen und fanft gerundetem Kontur. Als charakteriftifch für diefe Phafe fei aus
der großen Zahl der in Frankfurt entftandenen Porträtreliefs das liebenswürdige Köpf-
1 Vgl. hierzu Karl Simon: „Die Arbeiten des Bildhauers Landolin Ohmacht in Frankfurt“ in
der Zeitfchrift „Ältfrankfurt“ 1910 p. 13ff., 83ff., 115ff., mit 20 Abbildungen.
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in Ohmacht durch Jahrzehnte lebendig und
fprechen [o vernehmlich aus feinem Peters-
grabmal in Lübeck oder etwa dem Ober-
lindenkmal in Straßburg (Äbb. 5), daß auf
Canovas Emomonument oder fein Ganganelli-
grab von 1787 nur hinzuweifen ift.
In den zwei Jahren römifchen Aufent-
haltes ift aus dem Medailleur Ohmacht der
Bildhauer geworden. Nach Rom beginnt die
fchöne Reihe feiner Grabdenkmäler, entftehen
die erften lebensgroßen Büften. Reif und ge-
fammelt erfcheint Ohmachts Kunft. Ein Strahl
von ftill feierlicher Größe zittert über den
Werken der Folgezeit. Sinnender, oft fchwer-
mütiger Ernft fpricht von nun an aus feinen-
Bildniffen und bezeugt jene Steigerung und
Verinnerlichung des Könnens, die feit Jahr-
hunderten das geheimnisvolle und ureigenfte
Gefchenk der ewigen Stadt an empfängliche
Naturen ift.
Und dennoch wäre es irrig, den Ohmacht
des nächften Jahrzehnts zum Klaffiziften zu
machen. Dazu enthalten die Kleinplaftiken
fowohl der auf Rom folgenden Frankfurter
Zeit1 (etwa 1791—94) als auch des drei-
jährigen Hamburger Aufenthaltes (etwa 1795
bis 1797) noch zuviel von der intimeren, be-
fcheidenen Feinheit des Louis XVI. Gewiß
fallen nun die Haare in größeren und kla-
reren Wellenzügen. Und die oft peinlichen
Unficherheiten in der Wiedergabe der Locken-
fülle und ihrer Stofflichkeit, bei denen 1789
in dem Berliner Bildnis einer Frau Haas der
Kopf zu einer formlofen und unmöglichen
Breite geriet, find überwunden. Die Binnen- Äbb. 5. LÄNDOLIN OHMÄCHT, Grabmal für
modellierung ift vereinfacht und Details werden J. J- Oberlin. 1809/10 straßburg, Thomaskirche
zugunften eines reineren und „idealeren“ Ge-
famteindruckes unterdrückt. Ja felbft in der Signatur S2MAXT äußert fich das neue
Empfinden des Zufammenhanges mit der als Höhepunkt plaftifcher Kunft bewunderten
Antike. Aber im ganzen bleibt den Arbeiten jener Wanderjahre die Formenver-
wandtfchaft mit dem Biscuit der Porzellanmanufaktur. Sie fuchen auch fernerhin
Schönheiten im matten Schimmern des Alabafters, in kaum merklichen Wellungen der
Oberflächen und fanft gerundetem Kontur. Als charakteriftifch für diefe Phafe fei aus
der großen Zahl der in Frankfurt entftandenen Porträtreliefs das liebenswürdige Köpf-
1 Vgl. hierzu Karl Simon: „Die Arbeiten des Bildhauers Landolin Ohmacht in Frankfurt“ in
der Zeitfchrift „Ältfrankfurt“ 1910 p. 13ff., 83ff., 115ff., mit 20 Abbildungen.
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