Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

DOI Heft:
19. Heft
DOI Artikel:
Biermann, Georg: Die Neuerwerbungen für die königl. Nationalgalerie: Zur Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0773

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE NEUERWERBUNGEN FÜR DIE KÖNIGL. NATIONALGALERIE

betont weiter wie Markt und Bedürfnis der Galerie auch für die
Erwerbung an Gemälden ausfchlaggebend gewefen find. „Der
deutfche Bildermarkt für das frühere 19. Jahrhundert ift nicht zu ver-
gleichen etwa mit dem franzöfifchen, da hat man von den großen
Meiftern Vorrat genug, man braucht nur zu wählen. Frankreich

war eben ein reiches Land-Deutfchland aber war arm.

Die Maler fchufen wohl Wandbilder für Fürften und Kirchen, aber
ihre wenigen beweglichen Bilder find meift in feften Händen.
Man kann alfo nicht nach Belieben Gemälde von Schwind etwa
oder Rethel kaufen, auch wenn man fie noch fo fehr für die
Galerie wünfchte.“

„Und ferner, wer den Beftand der Galerie genau kennt,

wird verftehen, warum im einzelnen Falle von der Möglichkeit
der Erwerbung Gebrauch gemacht wurde, in welchem Sinne
durch jeden Ankauf das Bild von der Entwicklung der deutfchen

Kunft, wie es unfere Galerie bietet, bereichert werden füllte.-

Dagegen wird nicht jeder Befucher ohne weiteres verftehen,
warum dies oder jenes nicht gekauft ift, was der Galerie
fehlt, und doch erreichbar fcheint“ (auf dem letzten Wort liegt
KARL FRIEDRICH hier der Nachdruck!) „nämlich auf dem Gebiete der zeitgenöf-

SCHINKEL, Nach fifchen Kunft. Seit vielen Jahren fteht ja in den Ankäufen der

dem Gewitter Nationalgalerie die deutfche Kunft von heute hinter dem retro-

fpektiven Ausbau zurück. Es ift das die natürliche Folge des
heftigen Streites im gegenwärtigen Kunftleben Deutfchlands. Unfere modernen Mufeen
find der Schauplaß harter Kämpfe der Intereffen und der Prinzipien geworden.“ —
Es war notwendig, in den zitierten Säßen Juftis eigene Worte zu hören, um reftlos
einen Einblick in das Programmatifche feiner Tätigkeit zu bekommen und eine prin-
zipielle Frage von vornherein auszufchalten, die anderswo zu Recht bestehen mag,
im Rahmen der für die Nationalgalerie gegebenen befonderen Verhältniffe aber gar-
nicht erft angefchnitten zu werden braucht. Jufti hat in den fchwierigften Augen-
blicken ein Erbe übernommen, das mehr als jedes andere an das Goethefche Wort
gemahnt. Seine umfaffende hiftorifche Schulung und fein Scharfblick für das, was
zumeift nottut, ließen ihn feine nächfte Aufgabe fehr klar erkennen, die nur die fein
konnte, die Galerie nach und nach zu einem Mufeum für die Entwicklung der deutfchen
Kunft im 19. Jahrhundert und ganz befonders nach den Grundlagen der Evolution
hin auszubauen, die die Jahrhundertausftellung in vielen Punkten doch erft andeutungs-
weife offenbart hatte. Er hat damit zielbewußt das Vermächtnis feines Vorgängers
übernommen und fruchtbar gemacht und wir dürfen heute mit uneingefchränktem
Vertrauen feiner weiteren Initiative entgegenharren. Denn dies ift leßten Endes allein
das Ausfchlaggebende: Das Programm ift nicht nur mit klaren Worten umfchrieben,
es ift erfüllt worden und zwar in einer Form, die uns von Überrafchung zu Über-
rafchung führt. Mir fcheint fogar, daß diefe Neuerwerbungen in mehr als einem
Punkte völlig neue Einblicke gerade in jene Kunftepoche und die Tätigkeit deutfcher
Meifter (der Begriff deutfch ift hier fehr weit gefaßt) gewähren, die bisher dank einer
kritiklos übernommenen Anfchauung und dank der künftlerifchen Fehden um die Moderne
noch gar nicht zu ihrem Rechte gekommen find. So wird man z. B. Overbeck, Rethel,
Genelli, felbft Schwind u. a. in vieler Hinficht neu bewerten müffen und manche bis

728
 
Annotationen