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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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19. Heft
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Biermann, Georg: Die Neuerwerbungen für die königl. Nationalgalerie: Zur Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0780

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DIE NEUERWERBUNGEN FÜR DIE KÖNIGL. NATIONALGALERIE

19. Jahrhunderts verdienten Dr. Andreas
Aubert. Hier find ferner noch anzu-
fchließen Zeichnungen von Kobell, Spit}-
weg, Alois Greil, J. J. Schindler, von denen
jede um der perfönlichen Note und um
ihrer Zufammenhänge willen wichtig ift.

Mit einer gewiffen Senfationsempfin-
dung im beften Sinne des Wortes verlieft
man fich dann im fiebenten Raum in das
Studium jenes merkwürdigen Johann
Heinr. Füßli, der eines der vielfeitigften
Genies feiner Zeit gewefen ift. Daß Jufti
fich die fünfzehn Zeichnungen diefes
Meifters von dem Generaikonful Paul
Freiherrn von Merling, dem auch fonft
einige hervorragende Stiftungen wie das
Porträt von Edlinger, die Landfchaft von
Georges Michel u. a. gedankt werden,
fchenken ließ, ift ein weiterer Beweis für
feine nach weit gefpannten Gefichts-
punkten eingeftellte Methode der Neu-
erwerbungen. Denn gerade in einem
Künftler wie Füßli, der nebenbei auch
der Verfaffer des älteften Künftlerlexikons
und zudem Londoner Akademiedirektor
gewefen ift, liegen Anfäße verborgen,
die erft gegen Ende des Jahrhunderts
zum Durchbruch gekommen find, Ver-
heißungen auf Burne-Jones und vor-
nehmlich auf Beardsley, die doppelt über-
rafchen, wenn man das hier und dort gegebene Datum der Blätter lieft. Da gibt es
eine Bühnenfzene in Tufche, datiert 1805, ein weibliches Bruftbild mit hohem Kopf-
puß von 1816, dem wir ohne weiteres perfönliche Qualitäten, Esprit und derlei gute
Dinge nachfagen müßten, wenn es uns als Chef d’oeuvre eines der neueren, in Beards-
leys Spuren wandelnden Künftler begegnete. Eine merkwürdige, frühreife, aber wie
es fcheint, das Werden eines Jahrhunderts auch vorausfühlende Erfcheinung ift diefer
Füßli, die uns bald intenfiver befchäftigen muß.

In diefen kurzen Bemerkungen find die kunfthiftorifchen Richtlinien gewiefen, die uns
die intereffante Ausftellung der Neuerwerbungen aufzeichnet — und man wird zur
Genüge erkannt haben, wie nicht nur das Programm des fammelnden Direktors be-
ftimmt und logifch nach Realifierung geftrebt hat, fondern mehr noch, wie eben durch
diefe Tätigkeit neue Schlaglichter auf die deutfche Kunftgefchichte des 19. Jahrhunderts
fallen. Das ift vor allem bedeutfam.

Auch in der Abteilung der Plaftiken find einige Bereicherungen feftzuftellen, dar-
unter an erfter Stelle eine Büfte Gottfried Schadows, die kunftgefchichtlich wie guali-
tativ wohl das bedeutendfte Stück diefer Abteilung ift.

GOTTFRIED SCHADOW, Bildnisbüfte
(Gipsmodell)

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