Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0795
DOI issue:
19. Heft
DOI article:Denkmalpflege
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0795
DENKMALPFLEGE
daran denkt, daß die gefamte Kulturwelt aus
diefen und anderen Gründen hohes Intereffe
daran hat, daß diefer Vertrag nicht wieder er-
neuert wird?) Die Skulpturenfammlung, die aus-
ländischen Gemälde, die ausgeftellten Handzeich-
nungen, das Kunftgewerbe des Louvre find feit
Jahrzehnten nicht neu katalogifiert. Ändere Ab-
teilungen find fragmentarifch katalogifiert worden.
Im Pavillon Marsan gibt es keinen Katalog. Der
Katalog des Cluny-Mufeum datiert von 1883.
DieMufeen von Äuxerre, Bourg, Orleans, Cham-
bery, Cherbourg, Chälons-sur-Marne, Laon, Rouen
befißen keinen Katalog. In Reims hat eine junge
Dame privatim einen guten Katalog verfaßt;
der als Erfaß eines offiziellen Kataloges feiner-
zeit hier infolge feiner Vortrefflichkeit ausführ-
lich befprochen wurde. In Besan^on, Dijon, Le
Havre, Rennes find die Kataloge 20—30 Jahre
alt. In Dijon fagte mir der Konfervator einft:
„Wir haben jedes Jahr die Äbficht einen neuen
Katalog herauszugeben. Aber jedes Jahr er-
halten wir neue Gefchenke, fo daß wir niemals
dazu kommen, den Katalog abzufchließen.“ Das
ift natürlich auch ein Standpunkt. Aber wer
find denn die Konfervatoren, die auf fo hilflofen
Standpunkten ftehen?
Als ich in Laon den Hausmeifter des Mufeums
fragte, wer der Konfervator des ftädtifchen
Mufeums fei, antwortete er fröhlich lachend
„C’est moi“. Der Konfervator des Mufeums zu
Cherbourg ift ein künftlerifch ungebildeter Ad-
vokat. In Chälons-sur-Marne wurde mir ver-
fichert, der Konfervator des Mufeums lebe in
Paris. Der Direktor des Clunymufeums
ift ein älterer Dichter von mittelmäßiger Be-
gabung, der meiftens auf feinem Schloß auf der
Ile de Brehat fißt, niemals eine kunftwiffen-
fchaftliche Zeile gefchrieben hat und nur feiten
den Fuß in fein Mufeum feßt. So find viele
Konfervatorenftellen Sinekuren, während man
einen tüchtigen Gelehrten wie Jean Guiffrey nach
Bofton gehen, Louis Rean im Ausland wirken
läßt, Roger Marx abfichtlich überfieht und
jüngere tüchtige Kräfte wie Clemen-Janin, Rene
Jean, Prosper Dorbec, Louis Demonts u. a. nicht
beachtet.
Aber die Sünden der Mufeumsverwaltung find
hiermit noch nicht zu Ende. Die Bilder des
Louvre, die den Konfervatoren zur Pflege an-
vertraut find, befinden fich teilweife in einem
jämmerlichen Zuftand. Über Pouffins Meifter-
werke lagert eine dicke Schmußfchicht. Sie find
feit undenklichen Zeiten weder gereinigt, noch
gefirnißt, gefdiweige denn rentoiliert. In meh-
reren Sälen fehlen Rouleaux vor den Fenftern;
in anderen find fie zerriffen. Infolgedeffen find
beifpielsweife Charles X. Jagd von Horace
Vernet, Hobbemas Waffermühle, JanSteens
Meifterwerk täglich dem prallen Sonnenlicht
ausgefeßt. Über Courbets Begräbnis von
Omans pfeift täglich der windigfte Zug. Man
weiß, daß der Louvre fehr reich ift, man weiß,
daß Graf de Comondo 100000 Francs für die
Inftallierung feiner Sammlung hinterließ. Trotz-
dem wird man, wie offiziell mitgeteilt wurde,
drei Jahre auf die Inftallierung diefer Samm-
lung warten müffen. Aber das ift ja gar nicht
lange. Die dem Louvre im Jahre 1856
vermachte Sammlung Sauvageot, die
Bilder von Fragonard, Miereveld, Ro-
berts, Schulbilder Cranachs und Hol-
beins enthält, ift bis zum heutigen Tage
— nach fünfundfünfzig Jahren — noch
nicht dem Publikum zugänglich gemacht
worden. Aber nicht allein im Louvre herr-
fchen derartige Zuftände. In der Parifer Ecole
de Pharmacie gehen die Fresken Besnards
durch Tintenflecke, Kraßereien, durch Schwamm
und Regengerinsel dem Untergang entgegen.
Das Mufeum zu Orleans ift in einem keller-
artigen Gewölbe, in dem der Schwamm herrfcht,
untergebracht. Dort verfault u. a. eine herr-
liche Zeichnung Gericaults. Im Mufeum zu
Caen brach vor wenigen Jahren Feuer aus, das
durch einen Kamin entftand, der hinter einer
bilderbehängten Wand entlanggeführt war.
Durch Feuer und Waffer wurden damals 20
holländifche Bilder zerftört. In Cherbourg ver-
kommt ein hochintereffantes italienifches Bildnis,
das vielleicht nicht mit Unrecht Lionardo zuge-
fchrieben wird. Es fei bei diefer Gelegenheit
an den drohenden Zufammenbruch des Mont
St. Michel erinnert, den das Unterftaatsfekretariat
der Schönen Künfte durch fchöne Reden und Er-
nennung von Kommiffionen hinzuhalten ver-
fucht. Im Mufeum zu Quimper ift eine der
fdiönften Landfchaften Corots, le Chateau Pierre-
fitte, durch die Nachläffigkeit des Hausmeifters
bis zur Unkenntlichkeit entftellt. Man fragt
fich, find es Barbaren, die über die nationalen
Kunftdenkmäler Frankreichs zu wachen berufen
find?
Seit der Trennung von Kirche und Staat hat
der franzöfifche Staat fich die Inventarifierung
der Kirchen des ganzen Landes, foweit fie künft-
lerifchen oder hiftorifchen Wert haben, zur Pflicht
gemacht. Auf eine Interpellation von Maurice
Barres, dem mutigen Verteidiger und Retter der
Kirchenfchäße, in der Deputiertenkammer vom
17. Januar 1911 erklärte der Regierungsvertreter
Augagneur im Namen der betreffenden Kom-
miffion: „Alle künftlerifch wertvollen Kirchen
Frankreichs find inventarifiert.“ Als Antwort
darauf mag hier eine Lifte der inventarifierten
750
daran denkt, daß die gefamte Kulturwelt aus
diefen und anderen Gründen hohes Intereffe
daran hat, daß diefer Vertrag nicht wieder er-
neuert wird?) Die Skulpturenfammlung, die aus-
ländischen Gemälde, die ausgeftellten Handzeich-
nungen, das Kunftgewerbe des Louvre find feit
Jahrzehnten nicht neu katalogifiert. Ändere Ab-
teilungen find fragmentarifch katalogifiert worden.
Im Pavillon Marsan gibt es keinen Katalog. Der
Katalog des Cluny-Mufeum datiert von 1883.
DieMufeen von Äuxerre, Bourg, Orleans, Cham-
bery, Cherbourg, Chälons-sur-Marne, Laon, Rouen
befißen keinen Katalog. In Reims hat eine junge
Dame privatim einen guten Katalog verfaßt;
der als Erfaß eines offiziellen Kataloges feiner-
zeit hier infolge feiner Vortrefflichkeit ausführ-
lich befprochen wurde. In Besan^on, Dijon, Le
Havre, Rennes find die Kataloge 20—30 Jahre
alt. In Dijon fagte mir der Konfervator einft:
„Wir haben jedes Jahr die Äbficht einen neuen
Katalog herauszugeben. Aber jedes Jahr er-
halten wir neue Gefchenke, fo daß wir niemals
dazu kommen, den Katalog abzufchließen.“ Das
ift natürlich auch ein Standpunkt. Aber wer
find denn die Konfervatoren, die auf fo hilflofen
Standpunkten ftehen?
Als ich in Laon den Hausmeifter des Mufeums
fragte, wer der Konfervator des ftädtifchen
Mufeums fei, antwortete er fröhlich lachend
„C’est moi“. Der Konfervator des Mufeums zu
Cherbourg ift ein künftlerifch ungebildeter Ad-
vokat. In Chälons-sur-Marne wurde mir ver-
fichert, der Konfervator des Mufeums lebe in
Paris. Der Direktor des Clunymufeums
ift ein älterer Dichter von mittelmäßiger Be-
gabung, der meiftens auf feinem Schloß auf der
Ile de Brehat fißt, niemals eine kunftwiffen-
fchaftliche Zeile gefchrieben hat und nur feiten
den Fuß in fein Mufeum feßt. So find viele
Konfervatorenftellen Sinekuren, während man
einen tüchtigen Gelehrten wie Jean Guiffrey nach
Bofton gehen, Louis Rean im Ausland wirken
läßt, Roger Marx abfichtlich überfieht und
jüngere tüchtige Kräfte wie Clemen-Janin, Rene
Jean, Prosper Dorbec, Louis Demonts u. a. nicht
beachtet.
Aber die Sünden der Mufeumsverwaltung find
hiermit noch nicht zu Ende. Die Bilder des
Louvre, die den Konfervatoren zur Pflege an-
vertraut find, befinden fich teilweife in einem
jämmerlichen Zuftand. Über Pouffins Meifter-
werke lagert eine dicke Schmußfchicht. Sie find
feit undenklichen Zeiten weder gereinigt, noch
gefirnißt, gefdiweige denn rentoiliert. In meh-
reren Sälen fehlen Rouleaux vor den Fenftern;
in anderen find fie zerriffen. Infolgedeffen find
beifpielsweife Charles X. Jagd von Horace
Vernet, Hobbemas Waffermühle, JanSteens
Meifterwerk täglich dem prallen Sonnenlicht
ausgefeßt. Über Courbets Begräbnis von
Omans pfeift täglich der windigfte Zug. Man
weiß, daß der Louvre fehr reich ift, man weiß,
daß Graf de Comondo 100000 Francs für die
Inftallierung feiner Sammlung hinterließ. Trotz-
dem wird man, wie offiziell mitgeteilt wurde,
drei Jahre auf die Inftallierung diefer Samm-
lung warten müffen. Aber das ift ja gar nicht
lange. Die dem Louvre im Jahre 1856
vermachte Sammlung Sauvageot, die
Bilder von Fragonard, Miereveld, Ro-
berts, Schulbilder Cranachs und Hol-
beins enthält, ift bis zum heutigen Tage
— nach fünfundfünfzig Jahren — noch
nicht dem Publikum zugänglich gemacht
worden. Aber nicht allein im Louvre herr-
fchen derartige Zuftände. In der Parifer Ecole
de Pharmacie gehen die Fresken Besnards
durch Tintenflecke, Kraßereien, durch Schwamm
und Regengerinsel dem Untergang entgegen.
Das Mufeum zu Orleans ift in einem keller-
artigen Gewölbe, in dem der Schwamm herrfcht,
untergebracht. Dort verfault u. a. eine herr-
liche Zeichnung Gericaults. Im Mufeum zu
Caen brach vor wenigen Jahren Feuer aus, das
durch einen Kamin entftand, der hinter einer
bilderbehängten Wand entlanggeführt war.
Durch Feuer und Waffer wurden damals 20
holländifche Bilder zerftört. In Cherbourg ver-
kommt ein hochintereffantes italienifches Bildnis,
das vielleicht nicht mit Unrecht Lionardo zuge-
fchrieben wird. Es fei bei diefer Gelegenheit
an den drohenden Zufammenbruch des Mont
St. Michel erinnert, den das Unterftaatsfekretariat
der Schönen Künfte durch fchöne Reden und Er-
nennung von Kommiffionen hinzuhalten ver-
fucht. Im Mufeum zu Quimper ift eine der
fdiönften Landfchaften Corots, le Chateau Pierre-
fitte, durch die Nachläffigkeit des Hausmeifters
bis zur Unkenntlichkeit entftellt. Man fragt
fich, find es Barbaren, die über die nationalen
Kunftdenkmäler Frankreichs zu wachen berufen
find?
Seit der Trennung von Kirche und Staat hat
der franzöfifche Staat fich die Inventarifierung
der Kirchen des ganzen Landes, foweit fie künft-
lerifchen oder hiftorifchen Wert haben, zur Pflicht
gemacht. Auf eine Interpellation von Maurice
Barres, dem mutigen Verteidiger und Retter der
Kirchenfchäße, in der Deputiertenkammer vom
17. Januar 1911 erklärte der Regierungsvertreter
Augagneur im Namen der betreffenden Kom-
miffion: „Alle künftlerifch wertvollen Kirchen
Frankreichs find inventarifiert.“ Als Antwort
darauf mag hier eine Lifte der inventarifierten
750