Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
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19. Heft
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LITERATUR
der Gegenwart, über die Entwicklung des deut-
fchen Impreffionismus, über den Kolorismus der
jungdeutfchen und das verwandte Wollen der
jüngften franzöfifchen Generation fand er den
Weg zu den prominenten Vorbildern der ganzen
Bewegung zu Manet, Cezanne, van Gogh. Und
mit diefer Theorie des Stilevolutionismus traf
er zielficher das eigentliche Problem der ganzen
Bewegung, deren Kulturträger vor der Öffent-
lichkeit im Großen der Sonderbund geworden ift.
Niemeyer ift ein mathematifch gefchulter Kopf.
Seine Formanalyfen erinnern an die Probleme
höherer Geometrie. Er fieht die Kunft durch die
Brille des nach Wertbegriffen abfchätjenden
Analytikers. Seine Ausführungen haben die
Schärfe wohlüberlegter Logik, aber fie reflek-
tieren für mein Empfinden zu oft doch mit dem
inkommenfurablen Größen dritter und vierter
Ordnung. Das heißt, fein Syftem ift nicht ganz
frei vom Künftlichen, das fich mit dem Künft-
lerifchen nicht immer ganz vereint. Denn künft-
lerifch fchaffen heißt aus unbewußtem Drang
heraus geftalten. Das gilt meines Erachtens
gerade für Meifter wie Cezanne und van Gogh.
Kunft kann niemals Mathematik fein, fo lange
fie ihr Beftes nicht opfern will. Aber diefe Be-
merkungen treffen den Wert der Arbeit nicht,
die unendlich geiftvoll und vertiefend anfpricht
und deren oberftes Verdienft es bleibt, überhaupt
die Löfung von Problemen im Großen verfucht
zu haben, mit denen wir uns emfig befchäftigen,
ohne fie immer gleich hinreichend zu erkennen.
Und fie gibt fchlechthin überhaupt den erften
Verfuch einer Gefchichte der modernften Kunft,
für den wir dem Verfaffer Dank zu zollen haben.
Wollte man im Detail alle Gedankengänge auf-
greifen und hier und dort anknüpfend die Pro-
bleme weiterfpinnen, man käme oft zu Kontro-
verfen, deren Erörterung heute noch ganz un-
fruchtbar ift.
Warum z. B. führt man die Bewegung der
modernften Kunft nicht auch auf jene Urquellen
kulturellen Seins zurück, aus dem heraus leßten
Endes jede felbftwillige Formenfprache einer Zeit
entftanden ift. Ich glaube gerade die Gegen-
wart bietet genügend Analogien und Bezieh-
ungen, die ohne weiteres kaum von der Hand
zu weifen find. Gerade der Impreffionismus in
feiner verjüngten Form ift in mancher Hinficht
das echte Kind vom Geifte unferes fozialen
Empfindens und es ift nicht falfeh, daran zu
erinnern, wie die Kunft oftmals fchon fpirituell
die letzte und geheimfte Sehnfucht einer Zeit
pfychologifch vertieft hat, für die der miterleben-
den Generation noch jede rechte Erkenntnis fehlte.
Der Sonderbund darf fich jedenfalls zu diefer
Denkfchrift beglückwünfchen; denn fie ift nicht
nur im Leuten ein Beweis für den künftlerifch
neu erwachten Geift jener Elitemenfchen, die
am Rhein das Erbe der Väter zu jungem Leben
wecken wollen, fie ift auch ein Denkmal der
bisher vollbrachten großen Tat, die uns hoff-
nungsfroh der Zukunft entgegen fehen läßt.
G. B.
Im Verlag für Architektur und Kunftgewerbe
Friedr. Wolfrum & Co. Wien-Leipzig beginnt
zu erfcheinen : Römi fche Veduten, Handzeich-
nungen aus dem 15.—18. Jahrhundert, mitUnter-
ftütjung der Kaiferlichen Akademie der Wiffen-
fchaften in Wien herausgegeben von Dr. Her-
mann Egger, Profeffor an der Univerfität
Graz.
In diefem neuen Tafelwerke wird zum erften
Male der Verfuch gemacht, die wichtigften in
den öffentlichen wie privaten Handzeichnungen-
fammlungen Europas aufbewahrten Anfichten
der Stadt Rom aus dem 15.—18. Jahrhundert zu
einem hiftorifch-topographifchen Atlas zu ver-
einen, der in erfter Linie bisher unbekannte,
unveröffentlichte Blätter, aber auch die wenigen,
zumeift in archäologifchen Zeitfchriften in kleinen
Zinkotypien bereits publizierten Zeichnungen in
muftergültigen Reproduktionen enthalten foll.
Die Anordnung der Tafeln ift nach topographi-
fchen Gefichtspunkten erfolgt. So beginnt der
vorliegende I. Band mit einer Aufnahme des
Brunnens am fog. Kafino der Vigna di Papa
Giulio (noch ohne den fpäteren Aufbau); es
folgen die Piazza del Popolo in vier Aufnahmen
aus dem 15. und 16. Jahrhundert, ferner das
Maufoleum Augufti, die Engelsburg, St. Peter
und der vatikanifche Palaft. Daran fchließen
fich folgende Abteilungen: Porticus Octaviae —
Ifo’a Tiberina — Aventin und Ripa Grande —
Porta Latina — S. Giovanni in Laterano — SS.
Giovanni e Paolo — Septizonium Severi —
Palatin — Velabrum — S. Maria in Aracoeli
und das Kapitol. Der II. Band, deffen Erfchei-
nen binnen Jahresfrift erfolgen dürfte, wird die
Anfichten der wichtigften Pläße und Baudenk-
mäler der übrigen Stadtteile fowie die Pano-
ramen enthalten, vorausgefeßt, daß letztere nicht
gefondert in einem Ergänzungshefte erfcheinen
werden. Ein Künftlerverzeichnis fowie ein aus-
führliches Denkmälerregifter forgen fchließlich
für die zweckentfprechende leichte Benutzbarkeit
des Werkes. Der Preis eines Bandes in Ganz-
leinenmappe ift mit K 195.—, M. 160.—, Frcs.
200 feftgefetjt worden.
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der Gegenwart, über die Entwicklung des deut-
fchen Impreffionismus, über den Kolorismus der
jungdeutfchen und das verwandte Wollen der
jüngften franzöfifchen Generation fand er den
Weg zu den prominenten Vorbildern der ganzen
Bewegung zu Manet, Cezanne, van Gogh. Und
mit diefer Theorie des Stilevolutionismus traf
er zielficher das eigentliche Problem der ganzen
Bewegung, deren Kulturträger vor der Öffent-
lichkeit im Großen der Sonderbund geworden ift.
Niemeyer ift ein mathematifch gefchulter Kopf.
Seine Formanalyfen erinnern an die Probleme
höherer Geometrie. Er fieht die Kunft durch die
Brille des nach Wertbegriffen abfchätjenden
Analytikers. Seine Ausführungen haben die
Schärfe wohlüberlegter Logik, aber fie reflek-
tieren für mein Empfinden zu oft doch mit dem
inkommenfurablen Größen dritter und vierter
Ordnung. Das heißt, fein Syftem ift nicht ganz
frei vom Künftlichen, das fich mit dem Künft-
lerifchen nicht immer ganz vereint. Denn künft-
lerifch fchaffen heißt aus unbewußtem Drang
heraus geftalten. Das gilt meines Erachtens
gerade für Meifter wie Cezanne und van Gogh.
Kunft kann niemals Mathematik fein, fo lange
fie ihr Beftes nicht opfern will. Aber diefe Be-
merkungen treffen den Wert der Arbeit nicht,
die unendlich geiftvoll und vertiefend anfpricht
und deren oberftes Verdienft es bleibt, überhaupt
die Löfung von Problemen im Großen verfucht
zu haben, mit denen wir uns emfig befchäftigen,
ohne fie immer gleich hinreichend zu erkennen.
Und fie gibt fchlechthin überhaupt den erften
Verfuch einer Gefchichte der modernften Kunft,
für den wir dem Verfaffer Dank zu zollen haben.
Wollte man im Detail alle Gedankengänge auf-
greifen und hier und dort anknüpfend die Pro-
bleme weiterfpinnen, man käme oft zu Kontro-
verfen, deren Erörterung heute noch ganz un-
fruchtbar ift.
Warum z. B. führt man die Bewegung der
modernften Kunft nicht auch auf jene Urquellen
kulturellen Seins zurück, aus dem heraus leßten
Endes jede felbftwillige Formenfprache einer Zeit
entftanden ift. Ich glaube gerade die Gegen-
wart bietet genügend Analogien und Bezieh-
ungen, die ohne weiteres kaum von der Hand
zu weifen find. Gerade der Impreffionismus in
feiner verjüngten Form ift in mancher Hinficht
das echte Kind vom Geifte unferes fozialen
Empfindens und es ift nicht falfeh, daran zu
erinnern, wie die Kunft oftmals fchon fpirituell
die letzte und geheimfte Sehnfucht einer Zeit
pfychologifch vertieft hat, für die der miterleben-
den Generation noch jede rechte Erkenntnis fehlte.
Der Sonderbund darf fich jedenfalls zu diefer
Denkfchrift beglückwünfchen; denn fie ift nicht
nur im Leuten ein Beweis für den künftlerifch
neu erwachten Geift jener Elitemenfchen, die
am Rhein das Erbe der Väter zu jungem Leben
wecken wollen, fie ift auch ein Denkmal der
bisher vollbrachten großen Tat, die uns hoff-
nungsfroh der Zukunft entgegen fehen läßt.
G. B.
Im Verlag für Architektur und Kunftgewerbe
Friedr. Wolfrum & Co. Wien-Leipzig beginnt
zu erfcheinen : Römi fche Veduten, Handzeich-
nungen aus dem 15.—18. Jahrhundert, mitUnter-
ftütjung der Kaiferlichen Akademie der Wiffen-
fchaften in Wien herausgegeben von Dr. Her-
mann Egger, Profeffor an der Univerfität
Graz.
In diefem neuen Tafelwerke wird zum erften
Male der Verfuch gemacht, die wichtigften in
den öffentlichen wie privaten Handzeichnungen-
fammlungen Europas aufbewahrten Anfichten
der Stadt Rom aus dem 15.—18. Jahrhundert zu
einem hiftorifch-topographifchen Atlas zu ver-
einen, der in erfter Linie bisher unbekannte,
unveröffentlichte Blätter, aber auch die wenigen,
zumeift in archäologifchen Zeitfchriften in kleinen
Zinkotypien bereits publizierten Zeichnungen in
muftergültigen Reproduktionen enthalten foll.
Die Anordnung der Tafeln ift nach topographi-
fchen Gefichtspunkten erfolgt. So beginnt der
vorliegende I. Band mit einer Aufnahme des
Brunnens am fog. Kafino der Vigna di Papa
Giulio (noch ohne den fpäteren Aufbau); es
folgen die Piazza del Popolo in vier Aufnahmen
aus dem 15. und 16. Jahrhundert, ferner das
Maufoleum Augufti, die Engelsburg, St. Peter
und der vatikanifche Palaft. Daran fchließen
fich folgende Abteilungen: Porticus Octaviae —
Ifo’a Tiberina — Aventin und Ripa Grande —
Porta Latina — S. Giovanni in Laterano — SS.
Giovanni e Paolo — Septizonium Severi —
Palatin — Velabrum — S. Maria in Aracoeli
und das Kapitol. Der II. Band, deffen Erfchei-
nen binnen Jahresfrift erfolgen dürfte, wird die
Anfichten der wichtigften Pläße und Baudenk-
mäler der übrigen Stadtteile fowie die Pano-
ramen enthalten, vorausgefeßt, daß letztere nicht
gefondert in einem Ergänzungshefte erfcheinen
werden. Ein Künftlerverzeichnis fowie ein aus-
führliches Denkmälerregifter forgen fchließlich
für die zweckentfprechende leichte Benutzbarkeit
des Werkes. Der Preis eines Bandes in Ganz-
leinenmappe ift mit K 195.—, M. 160.—, Frcs.
200 feftgefetjt worden.
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