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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Zimmern, Helen: Giorgio Kienerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0014

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6 —Die Run st-Halle — Nr. s

und ich ihn auf meine Dach-Terrasse führte, da er-
sah ich sofort, welchen Eindruck der hier genossene
grandiose und poesievolle Anblick — Florenz, die
Schöne, nebst ihrer noch schöneren Umgebung von
Mond- und Sternenlicht umflossen — auf den hoch-
gradig sensiblen, feinnervigen Jüngling hervorbrachte.
Fast knabenhaft erscheint der Vierundzwanzigjährige
mit seiner zierlichen schlanken Figur, dem bescheiden
zutraulichen Wesen und den beweglichen Gesichts-
zügen, denen Rümmer und Sorgen ihre Schrift noch
nicht ausgeprägt haben.
Vor einigen Tagen nun begab ich mich nach
seinem Atelier am Lung-Arno Serristori. Ls ist ein-
fach eine Werkstatt, bestehend aus zwei kleinen
Räumen, die Nichts von dem Rrimskrams einer mo-
dernen luxuriösen Atelier-Ausstattung enthalten. In
einer Lcke aber sah ich einen wohlgefüllten Bücher-
schrank — ein neuer Beweis für meine von gleich
an gefaßte Meinung, daß Rienerk nicht nur ein
Künstler, sondern auch eiu gebildeter Geist, ein
Denker, ist. Und eine weitere Umschau lehrte mich
alsbald, daß er bei all seinem Streben nach Wahr-
heit in Form und Farbe nie an das Banale oder
Vulgäre streift, so wenig wie er in's Konventionelle
verfällt. Und nirgends wird er affektirt oder zum
Nachahmer. Seine Kunst ist sein Lgo, übertragen
in die Gebilde seiner Hand, sei es in Gips und
Marmor oder Gel- und Wasserfarben, und dieses
„Ich" eines zwar noch jungen aber schon durch ver-
schiedene Stadien der Entwicklung gegangenen
Menschen ist fundamental überall sich gleich geblieben.
So hat er eine Weile impressionistisch gemalt und
doch ganz auf seine Weise diese Richtung kultivirt,
wobei es ihn: hauptsächlich auf die Licht- und Farben-
studien ankam, um sich seine frühere Neigung zu
einer etwas düsteren und schweren Farbengebung ab-
zugewöhnen; übrigens ein Fehler, dem man grade
in der Toskaner Schule häufig begegnet, in der doch
von rechtswegen lauter Sonnenschein zu finden sein
müßte. Seine Landschaften, in denen er zumeist Mo-
tive nut Gewässern zu behandeln liebt — ein Zug,
der sonst den Toskanern fast gänzlich abgeht —- sind
Stimmungsbilder im wahren Sinne des Wortes
Wir sehen bei ihm die Dinge wie sie in Wirklichkeit
sind, und doch umwoben von jenem Maja-Schleier,
den über die gewöhnlichsten Dinge eben nur ein
Künstler zu breiten vermag, vornehmlich malt er
Punkte vom Lago Maggiore, wo er öfters längere
Zeit weilt, da dort seine verheirathete Schwester
wohnt; doch hat er auch den Arno keineswegs ver-
nachlässigt, dessen Fluthen er den gelben Ton ruhig
läßt, mit welchem sie die herrlich angelegte Stadt
der Kunst und der Blumen durchfließen und um-
spülen.
Auch im Porträtmalen hat Kienerk sich mehr-
fach versucht, und vornehmlich hierbei kommt ihm
die durch Modelliren gewonnene Sicherheit zu gute.

Seine Bildnisse sind sämmtlich von anatomisch kor-
rekter Durchbildung der Formen und kraftvoller
Zeichnung, da ist nichts von Nothbehelfen zu spüren,
keine Spiegelfechterei mit Schein-Effekten. Man
möchte um die Personen herumgehen, so plastisch
heben sie sich vom Hintergründe ab. wie rasch und
sicher er im Treffen ist, davon gab er unlängst einen
Beweis gelegentlich einer Festlichkeit des hiesigen
Presse-Vereins. Man wünschte hierzu den etwas
kahlen Wänden des Lokals eine passende Dekoration
zu verleihen, und diese in sechs Stunden herzustellen,
übernahm Kienerk. Ls gelang ihm, durch Zeitungs-
blätter, einige Epheuranken und neun Porträts von
Hauptvertretern der Preßgemeinde dem Raum ein
völlig verwandeltes Aussehen zu geben. Die Porträt-
skizzen waren so flott und kräftig hingestrichen, daß
man staunen mußte.
Ich glaube übrigens, daß der junge Künstler
selber noch nicht weiß, welche Göhe ihm erreichbar
ist. Mit einem jetzt in der Turiner Ausstellung be-
findlichen Gemälde hat er schon einen bedeutenden
Schritt empor gethan, sowohl in technischer, wie in
geistiger Hinsicht. Es heißt „Dolore" und stellt einen
Frauenkopf dar mit reichen: Goldhaar, wovon eine
Strähne in horizontaler Linie über die Stirn geweht
ist. Die blauen Augen blicken aus dem dreibogigen
Rahmen gradeaus, doch sehen sie uns nicht an. Die
Außenwelt existirt nicht für diese schmerzerfüllte Seele.
Ihr Schmerz ist nicht hysterisch, nicht mittheilsam,
nicht leidenschaftlich. Es ist ein tief in: Innern wur-
zelndes, mit Fassung getragenes Leid, das grade
durch die Ruhe und Selbstbeherrschung, mit der es
erduldet wird, die innigste Rührung erweckt. Um
den dreitheilig geformten Rahmen zieht sich auf
violettem Grunde eine in Gold gemalte Guirlande
von Dornengezweig und Thrysanthemen herum —
bei allein Farbenglanz ein Trauergewinde, das dem
symbolischen Tharakter des Motives entspricht. Ein
Mann, der das malen konnte, wird es noch weit
bringen. Man kann dies Antlitz nicht vergessen.
Das intensive Weh, welches Kienerk auf dieser Lein-
wand verkörpert hat, nimmt den Beschauer gefangen,
das Bild wirkt magnetisch wie Leempoels „Junge
Sphinx". Pinselführung und Farbengebung stehen
auf gleicher Höhe mit der Empfindung. Hier ist
einmal ein gedankenvolles Werk geschaffen, und eines
von Gedanken erregender Wirkung.
Etwas bestaubt, wodurch das kreidige weiß des
Gipses gedämpft worden ist, steht in Kienerk's Atelier
eine Kopie seiner in Bologna mit dem Baruzzi-Preis
gekrönten Skulptur. Dieser Preis wird alle drei
Jahre für ein Werk der Bildhauer- oder der Mal-
kunst vergeben, und Kienerk hätte ihn abermals be-
kommen, auf ein großes Gemälde „Die Vertreibung
Adams und Evas aus dem Paradies", wären die
Juroren nicht in dem Glauben befangen gewesen,
ein Künstler, der die gleiche Auszeichnung als Bild-
 
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