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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 7
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Schmidtkunz, Hans: Die doppelte Kontur, [1]
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Dresden: Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0122

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^02

Die Ann st-Halle.

Nr. 7

Irgend einen kleinen, gut merklichen Punkt aus dem
Papier sehen wir, wenn wir ihn direkt „anschaun",
einfach, deutlich und scharf; schauen wir neben ihm
auf's Papier, so sehen wir ihn gewöhnlich auch noch
einfach, und, soweit sich urteilen läßt, scharf, aber
um so weniger deutlich, je weiter wir von ihm weg-
schauen, bis wir ihn kaum mehr unterscheiden können
und endlich gar nicht mehr sehen.
Nun versuchen wir, statt auf eine Stelle neben
dem Punkt, auf eine Stelle beträchtlich vor oder
hinter ihm zu blicken; ersteres, indem wir beide
Augen weiter einwärts drehn, letzteres indem wir
sie nach auswärts drehn oder, bequemer, sie zu dem
träumerischen Ruhen bringen, das sie beim „Blick in
die Lerne", noch besser: beim „Blick in's Unendliche"
haben. Ersteres können wir uns dadurch erleichtern,
daß wir um ein gutes Stück vor dem Punkt eine
Bleistiftspitze oder dergl. halten und diese sixiren, den
Punkt aber nur eben zugleich sehen. In allen diesen
Fällen erscheint uns der Punkt doppelt. Gelingt
dies — trotz gesunder, normaler Augen — nicht so-
fort, so ist es zweckmäßig, die Augen allmählig
immer enger einwärts oder immer weiter auswärts
zu drehen; ersteres wird dadurch erleichtert, daß wir
die vorgehaltene Bleistiftspitze allmählig näher an uns
heran bringen, sie aber immer wieder sixiren — wir
sehen dann die zwei Punkte auseinanderrücken, beim
umgekehrten Verfahren natürlich aneinanderrücken.
— Auch das verschieben des einen Auges durch
einen Druck mit dem Finger vermittelt solche „Doppel-
bilder."
was so vom Punkt gilt, gilt auch von der
Linie. Haben wir eine gerade Linie gezeichnet,
so können wir durch diese Rüttel scheinbar zwei
daraus machen. Zeichnen wir einen Halbkreis,
etwa in Form eines 0, so erblicken wir dann einen
doppelten Halbkreis. Linen geschlossenen Areis sehen
wir als zwei einander kreuzende (schneidende) Areise;
u. dgl. mehr. Nehmen wir eine Fläche, etwa einen
kleinen schwarzen Areis auf weißem Papier, oder
eine kleine weiße Papierscheibe auf dunklem Grund,
so gelingt es uns, sie mit zweifacher: Rändern zu
sehen. Blicken wir endlich auf einen Aörper, am
besten auf einen undurchsichtigen und vom Grund
sich gut abhebenden, so können wir es ebenfalls zum
Anblick der zweifachen Ränder bringen. Bei Fläche
und Aörper wird uns an diesem Doppelrand noch
einiges Merkwürdige auffallen, wovon später.
Alles dies ist freilich nur beim gleichzeitigen
Gebrauch beider — und zwar gesunder, normaler —
Augen zu beobachten; und die Erklärung liegt eben
darin, daß wir mit zwei Augen, also „doppelt" sehen
und dieses Doppelauge nur in jenen ausgezeichneten
Fällen als ein Auge — das sogenannte „Zyklopen-
auge" — gebrauchen. Schließen wir nun das eine
Auge, so sehen wir mit dem offenen andern all diese
Verdoppelungen nicht mehr. Allein es fällt uns beim
Wiederholen der vorige:: versuche etwas anderes
auf. Beginnen wir wieder mit dem Fixiren eines
Punktes, und verrücken wir dann die Fixirung in
seine Nachbarschaft, so verliert er abermals seine
Deutlichkeit, wenngleich nicht seine Schärfe. Ver-
rücken wir sie beträchtlich vor oder hinter ihn, so
geschieht mit seiner Deutlichkeit das Gleiche; nur
fällt uns jetzt außerdem ein Verlust seiner Schärfe
auf, so daß der Punkt in einen verschwommenen
Areis — einen sogenannten „Zerstreuungskreis" —
übergeht und zwar um so mehr, je weiter wir die
Fixirung von ihm entfernen, versuchen wir's mit

der Linie, so geht sie in einen breiteren, mehr oder
minder verschwommenen Streifen über. Gelingt uns
der versuch mit einer Fläche, wie oben angegeben,
so verschwimmen ihre Ränder. Beim Aörper ebenso.
(Fortsetzung folgt.)

Dresden:
s^uysklmiek.

^.n der kurzen Zeit seines Bestehens hat der „Dres-
el denerAunstsalon" (ArnoWolfframm) es verstanden,
bedeutsame Ausstellungen zusammenzubringen, die weit-
gehendes Interesse beanspruchten und dem Bilde der
modernen Kunst manchen charakteristischen Zug hinzu-
fügten. In den letzten Wochen sahen wir dort das
von München her bekannte große Bild des Norwegers
Chr. Skredsvig „Des Menschen Sohn", dann eine
ungemein fesselnde Ausstellung von nahezu 200 Origi-
nalen der Münchener „Jugend", vortreffliche malerisch
feinsinnig empfundene landschaftliche Zeichnungen aus
dem sächsischen Erzgebirge, meist mit braunem Stift und
weißer Kreide auf Tonpapier gezeichnet, von dem jetzt in
München lebenden Fritz Brändel, Tapetenmuster nach
Entwürfen von Otto Eckmann, in der Mehrzahl sehr
nervös in der Linienführung, aber feingestimmt in der
Farbenwahl und neuerdings drei stattliche Sammel-Aus-
stellungen der Werke von Edvard Munch, Hans Christiansen
und Heinrich Vogeler-Worxswede: alle drei sind unfern
Lesern wohl hinreichend bekannt, sodaß ich nur festzustellen
habe, daß Vogelers feinsinnige und vielfach originelle
Kunst einen vollen Erfolg zu verzeichnen hatte; sehr
günstig für ihn war als Folie die brutale häßliche Malerei
des leider gänzlich steckengebliebenen Munch, der sein un-
leugbares Talent an solchen versuchen, den rasffnirtesten
Extrakt von Empfindungen und Stimmungen bildlich darzu-
stellen, verbraucht. Man hat Munch mit Maurice Maeter-
linck verglichen, aber wo dieser frei, hypersensibel sich in
Andeutungen ergeht, da ist Munch roh, derb; beide wollen
nur Stimmung geben, aber ihre Wege sind so verschieden,
daß von einem vergleichen nicht die Rede sein kann. Es
ist ein unerfreulich Ding, wenn ernst Gewolltes verlacht
und bespöttelt wird, denn füglich sollte man sich dessen
immer annehmen um des Prinzips willen, aber so sehr
ich auch den Ernst und die Größe im Wollen Munchs
sehe, so wenig kann ich seine Bilder in dieser Form in
Schutz nehmen. Nervöse hysterische Personen werden viel-
leicht von Bildern wie „Der Kuß", „Der Tod im Zimmer"
oder „Todesangst" ergriffen werden, aber diese Ergriffen-
heit hat mit der Wirkung der Kunstleistung sicherlich eben-
sowenig zu thun, wie der Schauder, den wir in der
Schreckenskammer des Panoptikums empfangen.
Hans Christiansens Glasfensterentwürfe endlich boten
ein interessantes Bild von der schier unerschöpflichen Phan-
tasie des Künstlers, der in diesem Zweige wohl seines
Gleichen sucht: wie er große landschaftliche Motive in
stark farbigen großen Flächen zusammenfaßt, dann wieder
dünnes Geäst oder einzelne Blumen geschmackvoll als
Ornament verwendet und den meist knappen Raum äußerst
wirkungsvoll ausnützt, das nöthigt Bewunderung ab;
 
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