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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 19
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Gensel, Otto Walther: Die Pariser Salons
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0336

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292

4- Die Kunst-Halle

Nr. O

We Wsriser Saloys.
von Walther Geusel, Paris.

II.
er Lkulpturengarten der Artistes
fran^ais hat uns diesmal eine freudige
llleberraschung gebracht und enthält einige
in hohem Grade bemerkenswerthe Werke. In erster
Linie ist die „Verzeihung" von Ernst Dubois zu
nennen. Ls ist die Rückkehr des verlorenen Lohnes;
der Vater, der ein wenig höher steht, beugt sich in
tiefster Ergriffenheit nieder und drückt seine Lippen
auf den Hals des vor ihm knieenden Jünglings, der
sich bebend und seinen Kopf schamvoll verbergend
an ihn klammert. Die nackten Körper der weit über
lebensgroßen RIarmorgruppe sind prachtvoll modellirt
und durch und durch von Leberi erfüllt, die Gesammt-
wirkung von allen Leiten packend und schön. Wir
können uns mit den Künstlern in: vollsten Maße ein-
verstanden erklären, die dies Werk ihres noch jungen
Kameraden mit der Lhrenmedaille ausgezeichnet
haben. Daneben hat inan setzt den „Diogenes,
der seinen Decher zerbricht, da er ein Kind aus
der Hand trinken sieht", von Boisseau gestellt,
der gleichfalls eine Ehrenmedaille erhalten hat,
da bei der Abstimmung nur eine Ltimme weniger
als die Hälste aller auf ihn entfallen war. Ls
ist kein so gewaltiges Werk wie jenes, aber fast noch
vollendeter in der Behandlung des Nackten und höchst
lebendig im Ausdruck. Lehr einfach und sehr tief
empfunden und schön ist die Wachsgruppe zweier
Elsässerinnen, ein Fragment eines großen Denkmals
„Erinnerung" von Paul Dubois. In: klebrigen ist
über die Denkmäler nicht viel Rühmliches zu sagen.
Das beste ist noch das große Denkmal dreier „(870
von den Preußen füsilierter" Lchullehrer in Bronze
und Granit von Jean Earlus. Die Gruppe der
Lehrer selbst ist allerdings theatralisch und kleinlich
zugleich, aber die Kinder, die mit Blumen und Zweigen
kommen, um deu Fuß der hohen Läule, auf der seue
stehen, zu bekränzen, sind wenigstens zum Theil außer-
ordentlich schön. Von den Porträtstatuen seien die-
jenige des tolosonischen Volksdichters Vestrepain von
Antonie Mercis und die für das keramische Museum
von Limoges bestimmte Adrien Dubouchss' von Verlet
hervorgehoben. Unter den allegorischen und mytho-
logischen weiblichen Einzelfiguren ist die Ausbeute
nicht eben groß. Während die Einen sich bei ihren
Dianen, Nymphen, Bacchantinen, phrynen mit der
Wiederholung abgeleierter Formeln begnügen, suchen
die Anderen durch unnatürliche Verrenkungen und
übertriebenen Ausdruck sich den Anschein der Originalität
zu geben. Immerhin sind auch hier einige Werke
sehr beachtenswerth. Die „Juno mit dein Pfau"
von A. I. Tarlös ist in der an die französische Bild-
hauerschule des (6. Jahrhunderts erinnernden Lchlank-
heit ihrer Formen ein Werk von hoher Grazie und
raffinirter Vornehmheit. Ferrary hat in seiner
„Lalambo" verschiedene Marmorsorten und Gold-
bronze aufs Glücklichste vereint. Der schlanke, von
naiver Linnlichkeit durchbebte Leib der Kartha-
ginienserin, die von ihrer Lchlange umringelt an
einer Läule lehnt, ist ein ausgezeichnetes Ltück Lkulptur.
Noch prächtiger ist das Material der „sich entschleiernden
Nacht" von Barrias, verschiedene kostbare Marmor-
sorten und algerischer Onyx. Diese Vereinigung
von Marmor oder Elfenbein, Metallen und Edel-

steinen erobert aber vor Allem die Kleinskulptur immer
mehr. Gerinne, der seinen in Berlin bereits bekannten
„Friedrich den Großen" ausgestellt hat, ist hier der
Führer, dem sich außer dem oben genannten Barrias
und Ferrary besonders Riviöre-Theodore mit Glück
anschließt. Lehr groß ist die Anzahl guter Porträt-
büsten, insbesondere sei hier auf Bernstamm (Bronze-
büsten des Kammerpräsidenten Deschanel und des
Eyrano-Dichters Rostand), Eoulon, Eros (Marmor-
büste der Tragödin Agar auf einem mit Emblemen
geschmückten Lipxms), Desoa, (zwei weibliche porträt-
büsten in Marmor), Paul Dubois (kleine höchst
lebendige Bronzebüste des Dichters Legouvs), Laplague
und pillet hingewiesen. Unter den Thierbildhauern
steht noch immer Gardet an erster Ltelle, dessen
Löwen von Jahr zu Jahr monumentaler werden.
In der Lociöts nationale nimmt auch
dieses Jahr wieder Rodin das Hauptinteresse in An-
spruch. Leine Bronzestatue der Eva hat in der Be-
wegung gewiß etwas Großartiges. Gb aber die
Nachwelt in dieser zugleich synthetischen und verein-
fachenden Vergewaltigung der Ltatue den Beginn
einer neuen Lkulptur oder nur einen genialen Aus-
wuchs sehen wird, wer vermöchte das zu sagen?
Leine Bewunderer behaupten, daß es unmöglich sei,
auf den bisher eingehaltenen Wegen der realistischen
Naturwiedergabe oder der klassischen Idealisirung
ein wahrhaft persönliches Werk zu schaffen, vielleicht
ist das aber doch nur das Eingeständnis einer Lchwäche.
Außer der Eva hat Rodin die Büste seines Neben-
buhlers — und Freundes Falgniera und diejenige
des bekannten Pamphletärs Rochefort ausgestellt, der
unerklärlicher Weise unter Künstlern und Lchriftstellern
immer noch Freunde besitzt. Aus den größeren
Gruppen ragt Lsooula s „Der Liebe zu" vortheilhaft
hervor. Gute Büsten haben Le Duo, Lamuel und
insbesondere Frau Tazin ausgestellt. Die reizender:
Ballerinen und Lerpentintänzerinnen Tarabin's sind
nichts Neues^ — sehr anmuthig sind die kleinen
Terrakottafiguren von Dejean.
Auf dem Gebiete des Kunstgewerbes treten
diesmal die Lchmucksachen ganz besonders hervor.
Laligue hat eine Menge Künstler zur Nacheiferung
begeistert, die seine Lachen allerdings zum Theil
ziemlich schamlos kopiren. An Geschmack fehlt es
diesen Leuten, unter denen Tolonna, Foy, Fouquet,
Gueytron, Nocq und Beaudouin genannt seien, zum
Theil durchaus nicht, in der kunstvollen Ausführung
ist ihnen Lalique aber weit überlegen. Das Lchönste,
was er diesmal geschaffen, scheint mir ein Armband
mit Lchwertlilienmotiv in transluoidem Email zu sein.
Leider verwendete er neuerdings bei einigen seiner
Lchmucksachen wieder Diamanten. Hoffentlich hat
die starke Konkurrenz auf diesem Gebiete wenigstens
das Gute zur Folge, daß die Preise dieser entzückenden
Ketten, Broschen, Armbänder, Diademe, Gürtel-
schnallen usw. etwas herabgehen. Der Goldschmied
Debain hat nach Zeichnungen von Arnoux ein rei-
zendes Tintenzeug mit Ltiefmütterchenmotiv und einen
Teller mit Lchwertlilien hergestellt: entzückende Becher
finden wir von Marionnet (mattes Lilber mit Lchwert-
lilien in Email) und Grandhomme (verschiedenes
Gold und kleiner Relieffries von Brateau), einen treff-
lichen Erdbeerlöffel und einen schönen Handspiegel
mit Marquetteriearbeit von Giot, eine reizende Vase
mit Golddekor (Lafranmotiv) von Truffier. Ich habe
nur die Goldschmiedearbeiten aufgezählt, die mir ganz
besonders ausgefallen sind, die Reihe der guten Lachen
ist damit noch keineswegs erschöpft.
 
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