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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 4
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Schneider, Karl: John Ruskins "Wege zur Kunst"
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Aus skandinavischen Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0065

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Nr. §

Die A u n st - H a l l e.

bei jedem Vorgänge verständigen Landbaus und bei
jeder tapferen Betätigung, die Verbesserung an-
strebt, werden die gesunden Antriebe, das stolze
Selbstvertrauen und die körperliche Kraft des Ar-
beiters geweckt und gebraucht. Das Zusammenleben
mit den Haus- und Lastthieren und deren Pflege
stimmt ihn milder, macht ihn hilfsbereiter und stärkt
ihn an väterlicher Umsicht und anspruchsloser Aus-
dauer; indessen die göttlichen Gesetze der Saat, die
nicht zurückgerusen, des Herbstes, die nicht beschleunigt
werden können, und der Winterszeit, in der Niemand
arbeiten kann, der ungestümen Begier des Herzens
Arbeit auferlegt, zu schlicht, um zu beängstigen, und
eine Rast, zu erfrischend, um zu verweichlichen,
welches Denken vermag den Gegensatz zu erfassen
zwischen solchem Leben und dem in Straßen, worin
Sommer und Winter nur in einer Abwechslung von
Wärme und Kälte besteht; wohinein der Schnee nie-
mals weiß fällt, der Sonnenschein niemals klar
scheint; wo der Boden nur ein Pflaster und der
Himmel nur das Glasdach eiuer Arkade ist; wo die
höchste Gewalt des Sturmwetters sich darin kund-
giebt, die Rinnen zu verstopfen, der höchste Zauber
des Lenzes darin besteht, Koth zu Staub zu ver-
wandeln; wo es für die Einwohner keine anregen-
dere Beschäftigung giebt, als die innerhalb des
Hauses am Ladentisch und Pult; und wo man
außerhalb desselben nur danach trachtet, an ein-
ander vorbeizukommen, ohne sich zu stoßeu; so daß
als eiuzig mögliche Abwechslung der von Morgens
bis Abends einförmigen Stunden und zur Erleich-
terung des peinlichen Daseins irgend eine Art Un-
glück geschehen muß, welches sich, wenn nicht durch
eineu besonders günstigen Zufall eiu großes Unheil
eintritt, aus den Lall eines Pferdes oder aus einen
Taschendiebstahl beschränkt."
Sehr beachtenswerth sind auch, namentlich in
unserer Zeit der einseitigen Ueberschätzung der wissen-
schaftlich-abstrakten Erkenntniß, seine Ausführungen
über das Verhältniß wissenschaftlich-gelehrter und
künstlerischer Thätigkeit, die sich gleichfalls an ver-
schiedenen Stellen finden. „Man beachte, wie wir
einen Schuljungen betrachten, der eben frisch von
der Schulbank kommt. Kramt er fein bischen neu
erworbenes wissen aus und thut sich darauf etwas
zu Gute, wie bald bringen wir ihn durch Verachtung
zum Schweigen! Nicht aber, wenn dieser zu em-
pfinden und zu sehen anfängt. Durch die Bestreb-
ungen seiner Seele und durch die Kraft seines Blicks
und feiner Gedanken sondert er sich von uns ab und
mag größer sein als wir. wir sind sofort bereit,
ihm Gehör zu schenken. Das hast Du gesehen? Das
hast Du gefühlt? Du bist zwar ein Kind, aber laß
hören!"
wie Ruskin überhaupt den „schlichten" Künsten
mehr gerecht wird, als den „höheren", so bietet er
aus dem Gebiete dieser letzteren gelegentlich vom

Standpunkte der strengen Aesthetik manche Schwächen.
Dies ist z. B. der Lall, wenn er die Renaissance-Ar-
chitektur wegen ihres „hoffärtigen Charakters" ver-
wirft, während er andererseits die Gothik als die
höchste Baukunst preist, nicht nur weil sich in ihr ein
so naiv-gläubiger Zug ausspricht, sondern auch weil
sie in der Schmiegbarkeit und Freiheit ihres Details
dem kleinen Werkmann soviel Spielraum zur Ent-
faltung seiner schöpferischen Phantasie lasse; die auch
dem breiteu Volke unmittelbar verständliche, intimer
Wirkung fähige Lormensprache der Gothik bietet
ihm „Brot für die Menge", während er in der groß-
zügigen Bestimmtheit der Renaissance-Architektur nur
Abweisung und Ueberhebung zu erblicken vermag.
Ebenso mag man den Zwiespalt als nicht ganz ge-
löst empfinden, den in den Werken der darstellenden
Kunst Meisterschaft der Technik und sittlich niedriger
Inhalt gerade von Ruskins Standpunkt aus ergeben
muß; der spezifische Unterschied jeder Leistung der
darstellenden Kunst von den praktisch-dekorativen
Zwecken dienenden Kunsterzeugnissen tritt nicht scharf
genug bei ihm zu Tage. Aber solche kleinen Mängel
wollen schlechterdings nichts besagen in einem Werke
von so außerordentlichem Gedankengehalt wie den
Ruskinschen „wegen zur Kuust", die nicht eine iso-
lirte ästhetische Theorie, sondern eine ganze praktische
Lebensanschauung in sich enthalten. Eine auch nur
theilweise Annäherung an Ruskins Ideal würde uns
jedenfalls in höherem Maße zu harmonischen Menschen
machen als alle vagen Phantastereien vom modernen
„Uebermenschenthum".


Nus skanMavkcben Museen.
Von I. Norden.
in geschäftlicher Ausflug im Spätsommer d. I.
führte mich wieder einmal nach Dänemark
und Westschweden. Die Mußestunden, die
sich dabei erübrigen ließen, waren natürlich
Besuchen verschiedener Museen und Sammlungen ge-
widmet. An einige von ihnen sollen hier die Er-
innerungen sestgehalten werden.
Skandinaviens Kunst ist uns hier in Deutschland
schon lange nichts Fremdes mehr. Auch in der
„Kunst-Halle" ist sie in ihrer Eigenart wiederholt
eingehend behandelt und gewürdigt worden. Nicht
das ist auch der Zweck dieser Zeilen. Interessant
aber ist's, zu sehen, was die Nationen bei sich daheim
aus dem Gebiete der Kunstpflege thun. Und da wäre
das Eine und Andere namhaft zu machen, was Einem
bei dein kurzen Aufeilthalt iu Kopenhagen und Göte-
borg aussiel.
In der dänischen Hauptstadt gab es zunächst
eine Enttäuschung. Ich meine das Thorwaldsen-
Museum. wie es da neben dem seit bald Jahren
vom Feuer in eine noch immer nicht restaurirte Ruine
verwandelten Schloß Lhristiansborg nicht einmal von
allen Seiten gut sichtbar dasteht, macht es schon äußer-
 
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