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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 17
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Gensel, Otto Walther: Die Pariser Salons
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0301

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Nr. N

>- Die Aunst-Halle

26s

We Pariser Saloys.
Von Walther Gensel, Paris.
I.
^^Wn derselben Stelle des Salons der Loeiäts
nationnle, an der wir in: vorigen Jahre die
„Heilige Genoveva" von puvis de Tha-
vannes bewundern durften, hängt jetzt auf grüner
Sanunetdraperie über einen: goldenen Palmenzweige
ein stilles Frauenbildniß, das Bildniß der Frau, der
der Meister feit langem der treueste Freund gewesen
war, ehe er sie am Abend seines Lebens eine kurze
Spanne Zeit sein eigen nennen durste. Im schwarzen
Umhang mit schwarzseidener Schleife, über das leicht-
gewellte Haar ein schwarzes Tuch wie einen Nonnen-
schleier gelegt, steht sie mit leicht nach rechts gesenktem
Haupte und lose übereinandergeschlagenen Händen da,
ein Bild unendlicher Güte und tiefster Entsagung.
Es ist das schlichteste und schönste Kunstwerk der dies-
jährigen Salons. Haben die Männer, die das vor
sechszehn Jahren gemalte, dem Lyoner Museum ge-
hörende Werk hier ausgehängt haben, es in dem
Bewußtsein gethan, welche tiefernste Mahnung sie
damit an sich und ihre Genossen richteten? Das ist
eine gar schlechte Wahrheit, so scheint es zu predigen,
daß Kunst von Können kommt. Keine Kunst ohne
Können, gewiß; allein die Hauptsache ist der
Charakter. Nur der kann ein ganz großer Künstler
sein, der von der Heiligkeit seines Berufes völlig
durchdrungen ist. Wie viele von den siebentausend
Werken des Salons kann man noch ansehen, wenn
man sich eine Viertelstunde lang in dieses ver-
senkt bat?
Um zu sehen, wie wenig puvis de Thavannes
verstanden wird, braucht man nur die Bildhauer-
werke und Gemälde zu betrachten, die seiner Ver-
herrlichung dienen sollen. Das umfangreichste ist ein
dekoratives Bild von Dubuse. Der Meister sitzt in
tiefes Nachdenken versunken inmitten seines heiligen
Hains. Das ist keine üble Idee. Aber da tauchen
am Nande des Bildes links und rechts zwei aus-
gezogene Mädchen in Lebensgröße aus, die vermutlich
den Traum und die Wirklichkeit darstellen sollen.
Diese Figuren übertreffen an Süßlichkeit des Ausdrucks
und der Form Alles, was ich kenne, und find zudem
von einem höchst unangenehmen grünen Schimmer
übergossen. So also stellt sich Herr Dubuse — und
mit ihm wahrscheinlich der größere Theil des franzö-
sischen Publikums die Musen vor, die puvis de Tha-
vannes zu seinen unsterblichen Werken begeistert
haben! Michelangelo begriffen von einem Schüler
Tarlo Dolcis oder — Balzac begriffen von Falguiere.
Zn diesem Letzteren hat Dubuse allerdings einen
würdigen Genossen gesunden. Wenn Falguiöre einen
braven Rentier aus einer Gartenbank in der Sommer-
frische hätte darstellen wollen, er hätte keinen glück-
licheren Ausdruck und keine bessere Stellung finden
können. Ich habe im vorigen Jahre gegen die
kritiklose Verhimmelung der Balzacstudie von Rodin
an dieser Stelle Verwahrung eingelegt, aber ich muß
jetzt bekennen, daß sie thurmhoch über diesen: Mach-
werk steht, das sie ersetzen soll.
Doch bleiben wir bei der monumentalen Malerei.
Weder die Begrüßung des Zaren durch die Ehren-
jungsrauen bei der Grundsteinlegung der Alexander-
brücke von Roll, noch der allegorische Plafond von
I> P. Laurens, noch die riesige Reiterschlacht von

Anquetin, von noch geringeren Leistungen ganz zu
schweigen, verdienen diesen Namen. Bautet de
Monvel hat sich für seinen „Empfang der Ieanne
d'Arc in Thinon", der für die Kirche von Domremy
bestimmt ist, merkwürdiger Weise die Miniaturen der
damaligen Zeit zum Vorbild genommen. Sehr Vieles
in dem Bilde ist außerordentlich schön, aber die
wirklich große Wirkung bleibt ihm versagt. Es ist
eben eine vergrößerte Illustration, allerdings eine von
Bautet, den: glänzendsten französischen Illustrator
unserer Zeit. Am meisten geistige Verwandtschaft
mit den: Meister puvis besitzt Henri Martin. Auch
ihm ist es in erster Linie nur darum zu thun, eine
ernste feierliche Musik iu Farben zu machen, auch er
stellt selige Menschen in einem idealen Dasein dar.
Und dabei ist er doch von bkoßer Nachahmung weit
entfernt, ist sein Stil durchaus persönlich. In einem
lichten Walde, dessen hohe Stämme in den Strahlen
der Nachmittagssonne erglühen, sitzen und stehen edle
Männer und Frauen, die Einen ihre Gedanken aus-
tauschend, Andere in tiefes Sinnen versunken, Andere
wieder zwei weiblichen Gestalten, der Musik und der
Poesie, verzückt nachschauend, die in sanftem Fluge
zum Aether aussteigen. Ser suite nennt Martin sein
Bild. Wenn ich den Eindruck, den es aus mich
gemacht, wiedergeben soll, so kann ich es nicht besser
thun als mit den Versen aus Nietzsches wundervollem
Gedichte: „Die Sonne sinkt", obwohl das Landschafts-
bild dort völlig verschieden ist:
Heiterkeit, güldene, komm! . . .
Rings nur Welle und Spiel.
Was je schwer war,
sank in blaue Vergessenheit, —
müßig steht nun mein Kahn.
Sturm und Fahrt — wie verlernt' er das!
Wunsch und Hoffen ertrank,
glatt liegt Seele und Meer.
wenn unter den zweitausend Gemälden der looeiste
äss ^rti8t68 tran^'-:i8 überhaupt eines der Ehren-
medaille würdig ist, so ist es dieses.
Voriges Jahr konnte ich über eine Volksmalerei
großen Stiles hier berichten, das ergreifende Triptychon
„Der Abschied" von Tharles Totteb Der Künstler
hat die zahlreichen Freunde, die er damals gewonnen,
nicht enttäuscht. Die Reihe kleinerer Gemälde, die
er jetzt unter den: gemeinsamen Titel „Trauer" aus-
gestellt hat, zeigen nicht nur keinen Rückschritt, sondern
einen sehr bemerkenswerten Fortschritt, während
die Farbe ihre leuchtende Tiefe behalten hat, ist die
Zeichnung fester und freier geworden. Das größte
Bild, die „Leichenwache bei einen: Kinde" wird aller-
dings stark angefochten, und in der That ist das
Mittelstück, dies armselige Etwas, in seinem barbarischen
Flitterstaat, das dahingestorben ist, ehe seine Züge noch
einen menschlichen Ausdruck angenommen haben, etwas
unbarmherzig wahr. Und doch zu welch unvergleichlich
kraftvoller Harmonie hat Tottet gerade diese brennend-
rothen Bänder, diese blauen Schleifen, diese grell-
bunten Papierblumen, das weiße Tischtuch, den
Fayenceteller mit den: primitiven Weihwedel, aus die
der Schein zweier großer Stearinkerzen fällt, zu ver-
einigen gewußt! Die anderen Bilder sind zum Theil
ergreifender in: Ausdruck und sie sind vor Allem
leichter verständlich für die Menge, an malerischer
Wirkung können sie sich mit der „Leichenwache" bei
Weitem nicht messen.
Tottet macht neuerdings sehr viel Schule. Eine
ganze Anzahl Künstler sind ihm in die Bretagne
gefolgt und ahmen seine Malweise mehr oder weniger
 
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