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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 7
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Marx, Roger: J. F. Raffaëlli
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Schmidtkunz, Hans: Die doppelte Kontur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0121

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Nr. 7 -Die Kunst-Halle.

darirr bestehen, daß sie Gelegenheit bietet, sich täglich
in liebevolles Betrachten seiner Werke zu vertiefen,
sie wäre schon von hoher Bedeutung. Aber ab-
gesehen von dem synthetischen Interesse, welches
die Sammlung besitzt, muß sie besonders bemerkens-
werth erachtet werden wegen des Talents, das sich
durch sie dokumentirt; die Zukunft wird vielleicht
erst den Werth, das wissen und das Empfinden
dieses Weisters und die Universalität seiner Philosophie
genau zu würdigen vermögen.
Die doppelte Kontur.
von Hans Schmidtkunz.
^Wnnerhalb der jüngsten Neubildungen in den
Künsten und vielleicht nur als ein besonderer Lall
des immer üppiger werdenden modernen Linien-
gewirres ist uns gewiß schon eine Eigentümlichkeit
darstellender und wohl auch bloß ornamentaler
Zeichnung ausgefallen, die Manchem zunächst als
eine willkürliche Spielerei erscheinen mag. während
nämlich die Körper in Wirklichkeit einfache Linien
als Umrisse (Konturen) haben und bisher auch an-
scheinend immer mit solchen abgebildet wurden,
tauchten jetzt Zeichnungen von Körpern auf, die
zweifache Umrißlinien haben sollen, zweifache „Kon-
turen", um diesen Ausdruck im technischen Sinn des
Zeichners zu gebrauchen. Diese zweifache Umriß-
linie ist also ein paar im Ganzen genau paralleler
Linien, welche mit einander in den Biegungen laufen,
die eben die jeweilige Form des flächenhaft wieder-
gegebenen Körpers ausmachen. Die zwei parallelen
Linien stehen bald weiter, bald enger von einander
ab, meistens eher weit als eng; sie machen mit
ihrem Zwischenraum den Eindruck eines Bandes oder
Saumes und sind manchmal nicht eigentlich Linien
im zeichnerischen Sinn, d. h. Striche, zwischen denen
sich der Untergrund als „leerer Raum" zeigt, sondern
lange schmale Flächen, deren Grenzen sich schon als
solche von den Nachbarflächen abheben. Häufig
erscheint, ob nun so oder so, dieses Band in gleich-
mäßiger Weise auffallend gefärbt; ist die Farbe zu-
gleich die eines Hintergrundes, so kann dies nach
dem, was wir auseindersetzen werden, die „Impression"
oder „Illusion" erhöhen.
wie schon angedeutet, mag dieser Kunstgriff der
doppelten Kontur den Anschein erwecken, als handle
es sich um einen grundlosen Einfall einer „Moderne
um jeden Preis", oder wenigstens um eine aus der
Luft gegriffene Erfindung phantastischer, symbolistischer
oder sonstiger Kunstrichtungen, vor allem scheint sie
unnatürlich zu sein, wir sollen ja doch die Körper
entweder, naturalistisch, so zeichnen, wie sie sind, und
in wirkichkeit haben sie bekanntlich keine doppelten,
sondern einfache Umrißlinien oder „Konturen", im
Sinne von Grenzlinien; oder wir müssen sie, „im-
pressionistisch" oder „illusionistisch", so zeichnen, wie
wir sie sehen, und wir sehen sie bekanntlich mit keinen
Bändern um sie herum. Je schärfer wir einen
Körper, und zwar gerade an seinem Rand betrachten,
desto sicherer überzeugen wir uns, daß wir ihn mit
einer Kontur sehen, nicht mit zweien.
Indessen konnte uns bereits das Schicksal der
Zeichnung innerhalb der den letzten Jahren voran-

gehenden Zeit der modernen Kunstentwicklung eines
anderen belehren. Erst suchte man die Dinge ver-
meintlich so zu zeichnen, wie sie wirklich sind; das
ist aber nun einmal auf der Fläche nicht möglich,
und so zeichnete man sie, wie man sich dachte, daß
sie seien, wir können diese abstrakte weise die
geometrische nennen; nicht tatsächliche Körper, son-
dern räumliche Figuren oder Gestalten kamen zum
Vorschein. Der hauptsächliche Ausdruck dieser Weise
waren die harten scharfen Umrißstriche oder Konturen.
Kein solider Körper, nur ein Drahtmodell hat Um-
risse in diesem Sinn. Der wirkliche Körper zeigt
Grenzen nur in dem negativen Sinn, daß er irgendwo
aufhört, wo dann ein anderer Körper, sei es auch
die Luft, anfängt; gezeichnet aber wurde er damals
mit Grenzstrichen.
Lin Zeichnen dieser Art, und zwar ein möglichst
„richtiges", schien denn auch allein den Ehrennamen
einer „Zeichnung" zu verdienen. Dazu mögen auch
manche mehr phantasirte als historisch begründete
Begriffe von „Klassizität", von „Griechenthum" u s. w.
beigetragen haben; der im (8. Jahrhundert bis
in den Anfang oder in die Witte des (9- Jahr-
hunderts hinein übliche „Wangel an Farbe" hat
wohl ebenfalls daran mitgewirkt. Besonders aber
scheint jene Zeichnungsweise, wenn sie nicht schon
seit längerem durch den Holzschnitt begünstigt war,
durch den Stahlstich mit seiner harten scharfen Formen-
gebung gefördert worden zu sein, wie denn später
die Erneuerung von Kupferstich und Radirung an
einer weicheren Zeichnungsweise mitgeholfen haben
dürfte.
Allmählich begann man, über jene ältere weise
hinauszukommen, unter dem Protest Derer, die auf
die „Zeichnung" pochten. Wan that es mit zwei
Erwägungen, die zugleich einerseits dem „natura-
listischen", andererseits dem „impressionistischen" Zug
unserer neuen Kunst zu Grunde liegen. Wan sagte
sich: so wie wir die Körper bisher gezeichnet haben,
sind sie weder in Wirklichkeit noch auch in unserem
Eindruck von ihnen. Jene Erwägung führte von
der abstrakten oder geometrischen Beschränkung auf
wenige Striche zu einem konkreteren Nachbilden der
Körper und ersetzte die Umrißstriche durch die bloßen
Grenzen vor: Flächen, auch wenn diese Flächen nur
ebenfalls wieder durch Striche, nämlich durch
Schraffirungen dargestellt waren, deren Enden dann
die Umrisse bedeuteten. Die andere Erwägung
machte aufmerksam, daß wir die sichtbare Welt in
der Hauptsache keineswegs so scharf sehen, wie man
bisher meinte, sondern in vielfachem verschwimmen;
auf diesem Wege gelangte man zunächst zur „pleinair-
walerei, noch unterstützt durch die „Freilicht"-Be-
strebungen, dann aber auch zu sonstigen Forderungen
des „Impressionismus" in Bezug auf eine Gesammt-
darstellung mit verschwimmendem Detail, bis zu den
Bildern, bei denen man „nicht recht weiß, was man
sieht." Die Photographie, zumal die Augenblicks-
aufnahme, kam mit interessanten Nachweisen zu Hilfe.
In dieser Richtung liegt nun auch der Werth
der doppelten Kontur. Sie und die Bestrebungen
nach verschwommener Darstellung, zu denen sie aller-
dings nicht unmittelbar gehört, gehen darauf zurück,
daß wir von dem, was wir in einem Augenblick
sehen, nur einiges einfach, deutlich und scharf sehen,
alles andere nicht so. Einfach, deutlich und scharf
sehen wir alles, was wir „fixiren" — um diesen
praktischeren Ausdruck als Ersatz für eine Ab-
schweifung in die physiologische Optik zu gebrauchen.
 
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