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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 9
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Galland, Georg: Pseudo-Naturalismus
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Gd. von Gebhardt's Kunstgespräche
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0155

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Nr. 9

Die K u n st - H a l l e


die Stelle der alten Kasbauern und Viehzüchter der
Ostade und Ian Steen, ist hier neuerdings sehr begreiflich
der Strandbewohner, der „truvaillaur lle ln mar"
getreten.
Bei uns in Deutschland nennt man sonder-
barerweise, wenn von Naturalismus die Rede ist,
nicht etwa Maler, die, wie es für den Franzosen, den
Engländer, den Holländer, den Italiener selbstver-
ständlich ist, aus nationaler Basis stehen, sondern in
erster Linie und zumeist Leute, die von Frankreich
u. a. den Millet'schen Bauern und den Pariser Ouvrier,
von Holland den Strandbewohner, den Israels-
schen „trnvnilleur clo in mar", Netzestickerinnen aus
der Gegend von Ratwyk, Amsterdamer Waisen-
mädchen u. dgl. fertig bezogen. Als dieser Lage in
einem Berliner Salon die Israels, Mauve, Maris
u. a. mit derartigen Motiven zur Ausstellung kamen,
da konnte man wohl die „echten Liebermanns" sehen.
Denn dem hiesigen Herrn dieses Namens fehlt zur
naturalistischen Echtheit die eorulitio 8ms qnu non,
obwohl seine geschäftigen Anhänger es für sehr
verständlich halten, daß man in der Nähe des
Brandenburger Thores, an dem geglätteten Pflaster
der viu triumpllall8 der preußischen Hauptstadt den
Naturalismus holländischer Dünen und Bauern züchtet.
Es frägt sich nur wie lange noch solcher „Treppen-
witz" der Kunstgeschichte bei uns ernst genommen
werden wird. Wenn aber denvertretern dieses Pseudo-
Naturalismus, unter dem Eindruck der durch Franz
Stuck nur gekennzeichneten heutigen „Wendung zum
Idealismus" bange wird, wenn unsere Berliner
Katheder-Naturalisten d. h. Proscstören der natu-
ralistischen Malerei nach französisch-holländischem
Muster setzt versuchen, ihr schwindendes Ansehen
durch den Lärm von Sezessionen zu kräftigen, so
ändert die Psychologie solcher Handlungsweise weder
etwas an ihrer eigenen künstlerischen Bedeutung, noch
auch an den: Werthe des sezessionistischen Gedankens,
der ohne Frage ab und zu ein gutes Recht auf
Geltung hat.

Ed. von (AeöHardt's:
Ikunstgespräcke.

I^MZ^an hat in letzter Zeit so oft Größen des
Auslands über Kunst und künstlerische Er-
Ziehung plaudern lassen, daß man es uns
nicht verdenken wird, wenn wir auch
einmal den vorgetragenen Lehren und Erfahrungen
eines heimischen Meisters Aufmerksamkeit schenken.
Eine Monatsschrift*) brachte „Gespräche eines Düssel-
dorfer Meisters" von denen wir mit Erlaubniß des
Verfassers einige lesenswerthe Abschnitte ohne Kommen-
tar wiedergeben:

H Deutsche Revue. Stuttgart. Rcw. MY8.

„Als ich", erzählt Ed. von Gebhardt, „vor etwa
35 Jahren nach Düsseldorf kam, war es das Streben
Aller, hell zu malen; „dunkel und braun" war der
schlimmste Vorwurf, den man einem Bilde machen konnte,
und doch verfiel man immer wieder in diesen Fehler.
Besuchte man ein Atelier, so wurde regelmäßig ein
Taschentuch vor's Bild gehalten, um den Grad der
Helligkeit zu bemessen. Den ersten Wechsel der Mode
erlebte ich, als auf der pariser Ausstellung die
„Goldene Hochzeit" von Knaus Furore machte, von
da an wurde das Losungswort: Ein Bild muß
„Bouquet" haben. Auf dem kleinsten Fleck suchte
man durch perlendes Ineinanderfügen von pfirsich-
grün-, Himbeereis-, silbergrauen Tönen einen ge-
wissen prickelnden Reiz auszuüben, und man war
glücklich in der Errungenschaft. Als aber das
„Bouquet" massenweise auf den Ausstellungen auf-
trat, verlor es sichtlich den Reiz, und wahrhaft er-
lösend wirkte es, als damals plötzlich erfunden wurde,
die Bilder müßten alle eingeschlagen, wie auf Kalk
oder Kreide gemalt, aussehen. Das nannte man
„fest", „gesund". Aber auch die öden, hellgrauen
Flächen wurden aus dem Felde geschlagen, als die
imponirende Reihe der Leys'schen Bilder auf der
pariser Ausstellung Alle begeisterte. Da schwärmte
man dann für scharfe Silhouetten und kräftig inne-
gehaltene Lokaltöne. Da wurden Rembrandt und
Franz Hals neu entdeckt. Da glaubte man, es sei
ein neues Licht aufgegangen. Das Ineinanderstießen
der Flecken wurde zur Hauptsache; im Hellen und
Dunkeln träumen, das war der größte Genuß. Aber
dabei blieb es nicht! Munkaosy's Gefängnißbild
schlug durch, und so sehr, daß man nur aus den:
Schwarz heraus zu arbeiten als anständig ansah.
Munkaosy's Wort „Beinschwarz ist das lieblichste
Roth" wurde acceptirt; aber da erschien Makart's
Art mit dem Goldton. Dann kamen wieder das
Hellmalen und alle die neuesten Modethorheiten an
die Oberstäche. Keine Mode dauerte aber lange
genug, um wirklich erfaßt zu werden, nur erschnappt
wurde sie und dann wieder fallen gelassen. Durch
den steten Wechsel wurden die strebsamen Farben-
genies in die stärksten Schwankungen versetzt. Wenn
die tüchtigsten Koloristen ein Bild angefangen hatten,
und irgendwo Gelb stehen hatten, so konnte inan
sicher sein, daß später Violett an die Stelle kam.
Direktionslos und prinziplos folgte man einer un-
sicheren Empfindung, und jeder bunte Lappen, der
zufällig am Boden lag, brachte Einen dazu, das
gaiize Bild umzustimmen. Da wurde ich endlich
stutzig.
Wenn ich sage, daß im Können, der Be-
herrschung aller Mittel, die in der Kunst zur An-
wendung kommen, die Grundlage der Kunst besteht,
weil nur dann Einer seine Gedanken unbehindert
aussprechen kann, wenn ihm die Rede geläufig ist,
so wird dem kaum Einer widersprechen. Wenn ich
ferner behaupte, daß jedes Können sich durch die
Tradition entwickelt, das heißt durch Anlehnung an
früher gemachte Erfahrungen, so werden Diejenigen,
die dem widersprechen, ihren Widerspruch kaum auf-
recht erhalten können; denn von allen sogenannten
neuen Richtungen, die ich seit fünfunddreißig Jahren
in ihrem schnellen Aufeinanderfolgen beobachtet habe,
könnte Keiner sagen, daß sie ohne Anlehnung an
früher Dagewesenes hätte entstehen können; am
Wenigsten können die Vertreter irgend einer Rich-
tung, die sich als Gruppe zusammeufassen lassen,
unbeeinflußt Jeder ganz originell für sich dastehen;
 
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