Die Kunst-Halle — 4.1898/1899
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0427
DOI Heft:
Nummer 24
DOI Artikel:Meyer, Bruno: Berlin: Grosse Kunstausstellung 1899, [7]
DOI Artikel:M., C.: Dresden: Deutsche Kunstausstellung 1899, [3]
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0427
Nr.
4- Die Nu nst-Halle
373
an der Klippe vorüber zumanövrirei:, daß sie nicht
an irgend etwas außer ihr so nachdrücklich erinnert,
daß es als Ergänzung der Darstellung selber nicht
entbehrt werden kann. Diese Schwierigkeit steigert
sich nut dem Maßstabs der Gruppen und mit der
Zahl der Figuren. Treten dieselben vollends im
Raume auseinander, wie hier, so daß keine gemein-
samen Linien und in Wechselbeziehung stehende Be-
wegungen sie verbinden, so ist es um die künstlerische
Gesammtwirkung geschehen, und keine Kunst der Arbeit
und Erfindung im Einzelnen kann darüber hinweghelfen.
Wie gerufen erscheint als Paradigma zur Demon-
stration eines theoretischen Lehrsatzes unweit der be-
sprochenen die Gruppe vou Minca Bosch-Reitz
(Amsterdam) „und sie küßte ihr Kind, und da war
Niemand, der sie trösten konnte". Der zum Küsseu
gespitzte Mund ist immer riskant, und. das Gesicht
des todten oder sterbenden Mädchens ist abstoßend
gräulich. Aber die Möglichkeit der plastischen Gruppe,
selbst in Lebensgröße, ist hier über jeden Zweisel er-
haben: die Welt könnte um diese zwei Gestalten her
zu Grunde gehen, sie würden bleiben und gelten,
was sie jetzt sind. Und doch ist hier auch uichts von
„stilvollem" Aufbau, sondern eine naturalistische
Komposition „vom reinsten Wasser" vorhanden. Ich
würde es Niemandem verdenken, wenn er in allen:
Einzelnen lieber für die Rothsche Gruppe als für diese
die Verantwortung übernehmen möchte. Aber als Ganzes
plastischer gedacht und erfunden ist sraglos die letztere.
Roth hat das Stichwort seines literarischen Noth-
schreies „Kittel und Schurzfell" auch in einen: Relief
ausgesprochen, das als Werk von geringem Belang
ist, aber der Bemerkung ans Licht verhelfen mag,
daß das Relief überhaupt auf der Ausstellung bei-
nahe fehlt. Ganz erstaunlich in seiner ebauchirenden
Virtuosität ist das äußerst flache, uur eben hinge-
hauchte Marmorrelief einer „Wienerin" von Karl
Wollek (Wien). Das gerade Gegentheil davon, ein
bis zur freien. Figur hervortretendes Hochrelief, gleich-
falls in sanderster Marmor-Ausführung, giebt Johannes
Hoffart (Wilmersdorf b. Berlin) in seiner graziösen
Komposition, die er „nach den: Bade" benennt, und
die einfach Venus uud Amor in tändelnden: Spiele
vorstellt. Außerdem begegnet uns das Relief nur
noch in der Form von Medaillen und Hlaquetteu, in
der die einheimische Kunst leider noch immer der
fremden völlig unbestritten den Vortritt läßt. Die
Arbeiten von Wincenty Trojanowski (Haris), Anton
Scharf und Stephan Schwartz (Beide Wien) erregen
den lebhaften Wunsch, ihnen gleichwerthige Arbeiten
unserer Künstler entgegenstellen zu können. Einstweilen
können wir nicht umhin, sie neidlos zu bewunderu.
Eine kurze Anmerkuug zum Schlüsse noch über
die Thier-Plastik. Sigismund Wernekinck (Berlin)
mit seinem vorzüglich beobachteten „waidwunden"
Edelhirsch, und Otto Jarl (Wien) mit seiner leben-
digen Gruppe: zwei Dackel, eine Wildkatze attaguirend,
ragen hier in: Gebiete der kleinen Zierplastik hervor.
Line ganz eigenartige Erscheinung aber ist der (898
in Stuttgart verstorbene Ernst Freiherr von Hayn,
ein dilettirender Agrarier, der mit seiner staunens-
werthen Kenntniß der Hausthiere in Ruhe und Be-
wegung in kleinem Maßstabe eine Reihe von Typen
solcher modellirt hat, die in ihrer sorgfältigen Arbeit
und ihrer erstaunlichen Lebenswahrheit manchen
Thierbildner von Beruf beschämen. Die auch durch-
aus nicht kleinlich behandelten Arbeiten verdienen der
Ausmerksamkeit angelegentlichst empfohlen zu werden.
vresüen:
veuttcbe Kunstausstellung is-y.
III.
Der rechte Flügel des Ausstellungsgebäudes ist den
Sezessionen gewidmet, denen in: ersten Saale die Worps-
weder Künstlervereinigung angegliedert ist. Diese ist nicht
sehr zahlreich vertreten, aber mit durchweg reifen Sachen,
wenn auch eine gewisse Einseitigkeit im Suchen nach land-
schaftlichen Effekten nicht zu leugnen ist; am besten ist
Earl Vinnen nut drei großen und einem kleinen Bilde ver-
treten und nach ihm Fritz Gverbeck, dessen Herbstabend im
Moor prächtige starke Farbenwirkung zeigt. Auch eine
Moorlandschaft von Hans am Ende ist als vortrefflich
hervorzuheben, mährend der talentvolle H. Vogeler mit
seiner schwächlich anempfundenen und affektirten „Heim-
kehr" sehr enttäuscht. Die Düsseldorfer im selben Saale
machen einen sehr guten Eindruck. Hier wären Andreas
Dircks (Störfischer), Glos Iernberg, Eugen Kampf als Land-
schafter zu nennen und Bernhard Minter mit seiner eigen-
artig kostiimgetreu und stilecht durchgeführten alten Hoch-
zeit in Niederdeutschland, bei der trotz allen verblüffend
subtil durchgeführten Einzelheiten der Gesammteindruck des
licht- und lusterfüllten Raumes vortrefflich gewahrt ist.
Das große Bild von Arthur Kainpf aus dein Jahre Z8t2
zeigt einen reifen Meister, der eine gewaltige Aufgabe be-
herrscht: es ist unmittelbar ergreifend, wie die elenden zer-
lumpten Soldaten, die Reste einer stolzen Armee, schlotternd
vor Kälte und Hunger in die Stadt einziehen; ein Historien-
bild, an dem einmal nichts von trockner Illustration klebt.
Im nächsten Saale der Münchener möchte ich zu allererst
auf Angelo Janks Märchenbild vom Schweinshirten und
der Prinzessin Hinweisen, als auf eins der besten Bilder
der Ausstellung überhaupt: es ist nur nur unerklärlich,
wie es bei der Preisvertheilung und den Ankäufen für die
Museen hat übersehen werden können. Als Darstellung
des Vorgangs wie als koloristische Leistung ist es meister-
haft, mit der richtigen Mischung von märchenhaftem Glanz
und selbstverständlicher Wirklichkeit, geistreich in den
Typen wie in dem Aufbau der Komposition, in Allein ein
echtes feines Kunstwerk und von bleibenderem Werthe wohl
als manches prämiirte. Nächstdein wären die kräftigen
sicher gemalten Thierbilder, besonders die Gänse im Schatten,
von R. Schramm-Zittau rühmend zu nennen, ein feines an
Whistler erinnerndes Bildniß von Ernst Bpxler und des
leider jüngst gestorbene:: Hugo König Sommermondnacht.
Habermann kann mit seinen bizarren, affektirt posirten
Frauenzimmern um so weniger interessiren und befriedigen,
als inan ihn von früher her als zu Besserem berufen kennt.
Stuck ist wie immer lehrreich zu betrachten, läßt aber stets
kalt: sein Stil hat sich für Bilder kleineren Formates zur
unleidlichen Manier ausgewachsen. Vortrefflich aber sind
seine kleinen plastischen Werke, verwundeter Zentaur
und Amazone. Der Schnitter von Hudler, leider von
einer Gönnerin der König!. Skulpturensammlung geschenkt,
ist wohl als eine Frucht der übers Ziel hinausschießenden
Bewunderung Eonstantin Meunierszu betrachten und bekommt
dadurch speziell für Dresden einen üblen Beigeschmack.
Aus dem Saale des Dresdner Vereins bildender Künstler
sei zunächst die anmuthige Marmorfigur einer Mutter mit
ihren: Kinde von p. Pöppelmann, ein auch in farbiger
4- Die Nu nst-Halle
373
an der Klippe vorüber zumanövrirei:, daß sie nicht
an irgend etwas außer ihr so nachdrücklich erinnert,
daß es als Ergänzung der Darstellung selber nicht
entbehrt werden kann. Diese Schwierigkeit steigert
sich nut dem Maßstabs der Gruppen und mit der
Zahl der Figuren. Treten dieselben vollends im
Raume auseinander, wie hier, so daß keine gemein-
samen Linien und in Wechselbeziehung stehende Be-
wegungen sie verbinden, so ist es um die künstlerische
Gesammtwirkung geschehen, und keine Kunst der Arbeit
und Erfindung im Einzelnen kann darüber hinweghelfen.
Wie gerufen erscheint als Paradigma zur Demon-
stration eines theoretischen Lehrsatzes unweit der be-
sprochenen die Gruppe vou Minca Bosch-Reitz
(Amsterdam) „und sie küßte ihr Kind, und da war
Niemand, der sie trösten konnte". Der zum Küsseu
gespitzte Mund ist immer riskant, und. das Gesicht
des todten oder sterbenden Mädchens ist abstoßend
gräulich. Aber die Möglichkeit der plastischen Gruppe,
selbst in Lebensgröße, ist hier über jeden Zweisel er-
haben: die Welt könnte um diese zwei Gestalten her
zu Grunde gehen, sie würden bleiben und gelten,
was sie jetzt sind. Und doch ist hier auch uichts von
„stilvollem" Aufbau, sondern eine naturalistische
Komposition „vom reinsten Wasser" vorhanden. Ich
würde es Niemandem verdenken, wenn er in allen:
Einzelnen lieber für die Rothsche Gruppe als für diese
die Verantwortung übernehmen möchte. Aber als Ganzes
plastischer gedacht und erfunden ist sraglos die letztere.
Roth hat das Stichwort seines literarischen Noth-
schreies „Kittel und Schurzfell" auch in einen: Relief
ausgesprochen, das als Werk von geringem Belang
ist, aber der Bemerkung ans Licht verhelfen mag,
daß das Relief überhaupt auf der Ausstellung bei-
nahe fehlt. Ganz erstaunlich in seiner ebauchirenden
Virtuosität ist das äußerst flache, uur eben hinge-
hauchte Marmorrelief einer „Wienerin" von Karl
Wollek (Wien). Das gerade Gegentheil davon, ein
bis zur freien. Figur hervortretendes Hochrelief, gleich-
falls in sanderster Marmor-Ausführung, giebt Johannes
Hoffart (Wilmersdorf b. Berlin) in seiner graziösen
Komposition, die er „nach den: Bade" benennt, und
die einfach Venus uud Amor in tändelnden: Spiele
vorstellt. Außerdem begegnet uns das Relief nur
noch in der Form von Medaillen und Hlaquetteu, in
der die einheimische Kunst leider noch immer der
fremden völlig unbestritten den Vortritt läßt. Die
Arbeiten von Wincenty Trojanowski (Haris), Anton
Scharf und Stephan Schwartz (Beide Wien) erregen
den lebhaften Wunsch, ihnen gleichwerthige Arbeiten
unserer Künstler entgegenstellen zu können. Einstweilen
können wir nicht umhin, sie neidlos zu bewunderu.
Eine kurze Anmerkuug zum Schlüsse noch über
die Thier-Plastik. Sigismund Wernekinck (Berlin)
mit seinem vorzüglich beobachteten „waidwunden"
Edelhirsch, und Otto Jarl (Wien) mit seiner leben-
digen Gruppe: zwei Dackel, eine Wildkatze attaguirend,
ragen hier in: Gebiete der kleinen Zierplastik hervor.
Line ganz eigenartige Erscheinung aber ist der (898
in Stuttgart verstorbene Ernst Freiherr von Hayn,
ein dilettirender Agrarier, der mit seiner staunens-
werthen Kenntniß der Hausthiere in Ruhe und Be-
wegung in kleinem Maßstabe eine Reihe von Typen
solcher modellirt hat, die in ihrer sorgfältigen Arbeit
und ihrer erstaunlichen Lebenswahrheit manchen
Thierbildner von Beruf beschämen. Die auch durch-
aus nicht kleinlich behandelten Arbeiten verdienen der
Ausmerksamkeit angelegentlichst empfohlen zu werden.
vresüen:
veuttcbe Kunstausstellung is-y.
III.
Der rechte Flügel des Ausstellungsgebäudes ist den
Sezessionen gewidmet, denen in: ersten Saale die Worps-
weder Künstlervereinigung angegliedert ist. Diese ist nicht
sehr zahlreich vertreten, aber mit durchweg reifen Sachen,
wenn auch eine gewisse Einseitigkeit im Suchen nach land-
schaftlichen Effekten nicht zu leugnen ist; am besten ist
Earl Vinnen nut drei großen und einem kleinen Bilde ver-
treten und nach ihm Fritz Gverbeck, dessen Herbstabend im
Moor prächtige starke Farbenwirkung zeigt. Auch eine
Moorlandschaft von Hans am Ende ist als vortrefflich
hervorzuheben, mährend der talentvolle H. Vogeler mit
seiner schwächlich anempfundenen und affektirten „Heim-
kehr" sehr enttäuscht. Die Düsseldorfer im selben Saale
machen einen sehr guten Eindruck. Hier wären Andreas
Dircks (Störfischer), Glos Iernberg, Eugen Kampf als Land-
schafter zu nennen und Bernhard Minter mit seiner eigen-
artig kostiimgetreu und stilecht durchgeführten alten Hoch-
zeit in Niederdeutschland, bei der trotz allen verblüffend
subtil durchgeführten Einzelheiten der Gesammteindruck des
licht- und lusterfüllten Raumes vortrefflich gewahrt ist.
Das große Bild von Arthur Kainpf aus dein Jahre Z8t2
zeigt einen reifen Meister, der eine gewaltige Aufgabe be-
herrscht: es ist unmittelbar ergreifend, wie die elenden zer-
lumpten Soldaten, die Reste einer stolzen Armee, schlotternd
vor Kälte und Hunger in die Stadt einziehen; ein Historien-
bild, an dem einmal nichts von trockner Illustration klebt.
Im nächsten Saale der Münchener möchte ich zu allererst
auf Angelo Janks Märchenbild vom Schweinshirten und
der Prinzessin Hinweisen, als auf eins der besten Bilder
der Ausstellung überhaupt: es ist nur nur unerklärlich,
wie es bei der Preisvertheilung und den Ankäufen für die
Museen hat übersehen werden können. Als Darstellung
des Vorgangs wie als koloristische Leistung ist es meister-
haft, mit der richtigen Mischung von märchenhaftem Glanz
und selbstverständlicher Wirklichkeit, geistreich in den
Typen wie in dem Aufbau der Komposition, in Allein ein
echtes feines Kunstwerk und von bleibenderem Werthe wohl
als manches prämiirte. Nächstdein wären die kräftigen
sicher gemalten Thierbilder, besonders die Gänse im Schatten,
von R. Schramm-Zittau rühmend zu nennen, ein feines an
Whistler erinnerndes Bildniß von Ernst Bpxler und des
leider jüngst gestorbene:: Hugo König Sommermondnacht.
Habermann kann mit seinen bizarren, affektirt posirten
Frauenzimmern um so weniger interessiren und befriedigen,
als inan ihn von früher her als zu Besserem berufen kennt.
Stuck ist wie immer lehrreich zu betrachten, läßt aber stets
kalt: sein Stil hat sich für Bilder kleineren Formates zur
unleidlichen Manier ausgewachsen. Vortrefflich aber sind
seine kleinen plastischen Werke, verwundeter Zentaur
und Amazone. Der Schnitter von Hudler, leider von
einer Gönnerin der König!. Skulpturensammlung geschenkt,
ist wohl als eine Frucht der übers Ziel hinausschießenden
Bewunderung Eonstantin Meunierszu betrachten und bekommt
dadurch speziell für Dresden einen üblen Beigeschmack.
Aus dem Saale des Dresdner Vereins bildender Künstler
sei zunächst die anmuthige Marmorfigur einer Mutter mit
ihren: Kinde von p. Pöppelmann, ein auch in farbiger