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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 8
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Gensel, Otto Walther: Ein Wort über Puvis de Chavannes
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Schmidkunz, Hans: Die doppelte Kontur, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0137

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Nr. 8

Die Aunst - Halle

pnvis de Thavannes in seinen schönsten und er-
greifendsten Schöpfungen unternommen, im „Hlg. Hain"
zu Lyon, in Inter urte8 et nnturnrn zu Rouen, in den
herrlichen Treppenhausbildern des Museums von
Amiens. Dabei ergab sich dann Lins ganz von selbst.
Seine Vorgänger verfielen, wenn sie allgemeine Dinge
darstellen wollten, in geschmacklose und frostige Alle-
gorien. Sie gingen von dem Begriffe aus. puvis
de Thavannes stellt sreie Menschen in einem erhöhten
Dasein dar, und die allegorische Bezeichnung —
Frieden, Arbeit, Ruhe, Kunst und Natur — stellt sich
dann hinterher ganz von selbst ein. Line Ausnahme
bilden nur das große Merk in der Sorbonne und
einige kleinere Bilder des Bostoner Zyklus, allem
hier lag die Schuld am Auftraggeber.
Werden spätere Geschlechter dies auch so erkennen,
werden sie den Meister so hoch schätzen wie wir es
thun? Wer weiß das zu sagen. Wer weiß ob es
nicht auch ihm ergehen wird wie Cornelius. Lr ist
sicher kein besserer Zeichner als dieser. Und auch er
ist kein durchaus eigenartiges Genie. Za er mag
manchmal in: Stillen über die gelächelt haben, die
die Kunst ganz von vorn beginnen wollten, wer
seine Vorbilder waren, haben wir schon gesehen.
Aber das ist nun einmal bei unseren Modernen ein
unerschütterliches Dogma: wer sich an Raffael
oder Michelangelo anschließt, ist ein purer Lpigone,
wer sich aber, wie Klinger in seiner Dresdener Grab-
legung an einen der großen primitiven, oder aber
gar an Velasquez oder die Japaner anlehnt, ist
über jeden Vorwurf der Nachahmung weit erhaben.
Endlich aber hat er, soweit er Schule gebildet hat,
eineu geradezu verhängnißvollen Lmfluß ausgeübt.
Seine Nachahmer halten sich rein an das Aeußer-
liche — als ob seine blassen Farben und sein scharfer
Kontur die Hauptsache wären, als ob sich nicht nut
anderen Mitteln ganz ähnliche Wirkungen erzielen
ließen! — und bevölkern alljährlich die Salons mit
jammervollen Machwerken.
Aber lassen wir den Gedanken an die Nachwelt
fallen und fragen wir einfach: was ist uns puvis
de Thavannes? Und da wollen wir uns durch uichts
beirren lassen und ruhig bekennen: Seine Bedeutung
ist für uns zum großen Theile ethischer Natur.
Als er zu malen begann, lieferten Klassiker und
Romantiker ihre letzten Schlachten, als Mann sah
er Naturalisten und Idealisten sich befehden, als
Greis Impressionisten und pleinairisten, Pointillisten
und Luministen, Veristen und Ncuidealisten sich
ablösen wie Kleidermoden: nichts von alledem
hat ihn beirren können, nichts hat ihn von den
Idealen abgebracht, die seine Seele in sich trug.
So hat er uns gezeigt, daß die echte und große
Kunst mit allen diesen Fragen im Grunde doch
recht wenig zu thun hat. Und zugleich ist die reiche
Anerkennung, die ihm, wenn auch erst spät, zu Theil
geworden ist, ein erhebendes Beispiel dasür, daß der


wahre Künstler weder dem banalen Tagesgeschmacke
noch den Forderungen einer Partei entgegenzukommen
braucht, daß er weder sensationeller Gegenstände noch
technischer Kunststücke bedarf, um sich Geltung zu ver-
schaffen.
Die doppelte Ikontur.
Vc>u Haus Schmidkuuz.
(Fortsetzung.)
Also wie dem Doppelauge nur die durch das
Fixiren ausgezeichneten — einschließlich der ihnen in
bestimmter weise zugeordneten — Stellen einfach,
alle anderen doppelt erscheinen, so erscheinen den:
einfachen Auge nur die durch das Fixiren aus-
gezeichneten — und die ihnen ebenso zngeordneten —
Stellen scharf, alle anderen verschwommen. Bei
genauerer Betrachtung finden wir, daß diese Er-
scheinung begreiflicherweise auch dem Doppelauge
sich zeigt. Auch jeder der doppelten Punkte hat
seine Schärfe verloren, und jede der Doppellinien
ebenfalls; bei den Doppelrändern der Flächen und
Körper fällt es uns wohl noch stärker als bei der
Verdoppelung von Punkten und Linien auf. In
allen diesen vier Fällen kommt aber noch etwas
hinzu. An der Stelle nämlich, an der wir mit dem
einen Auge das eine der beiden sogenannten „Doppel-
bilder" sehen, sehen wir mit dem andern Auge den
Untergrund. Ist dieser von dem so betrachteten
Objekt, zumal der verschobenen Fläche, in Licht und
besonders in Farbe beträchtlich verschieden, so ergibt
dies eine interessante Mischung, die meistens wechselt
(sogenannter „Wettstreit der Sehfelder"). Hier liegt
eine der Eigenthümlichkeiten, auf die wir vorhin
gelegentlich der Doppelränder vorausgedeutet hatten.
Das wichtige Lrgebniß des Ganzen ist nun dies,
wir sehen in der Wirklichkeit bei vollem Augen-
gebrauch stets eiuen dreifach, also auch in die „Tiefe"
vor uns hin, ausgedehnten Raum. In je einem
Angenblick können wir nur eine verhällnißmäßig
kleine Stelle davon fixiren; nur diese — und das ihr
Zugeordnete — erscheint uns einfach, deutlich uud
scharf, alles Uebrige mehr oder weniger undeutlich
und verschwommen und das Meiste davon auch
doppelt. Für gewöhnlich merken wir von diesem
Thatbestand nichts; und zwar aus zwei Gründen.
Erstens sind wir gewöhnt, nur auf das aufzumerken,
was wir fixiren, und das Rebrige zu vernachlässigen
— obschon wir auch auf Nichtfixirtes aufmerken
können, beispielsweise während des Lesens eines
Briefes auf seinen Ueberbringer. Zweitens haben
wir in jedem Augenblick die Fähigkeit, innerhalb der
nächsten Zeit mit dem fixirenden Blick durch das
ganze „Blickfeld" zu wandern, nacheinander alle oder
die meisten Stellen dieses „Gesichtsranmes" zum
Gegenstand des Fixirens zu machen und sie somit je-
weils einfach, deutlich und scharf zu sehen; noch
mehr: beim gewöhnlichen Sehen wandert der Blick
des Doppelauges unwillkürlich fast fortwährend hin
und her. So tragen wir das, was wir thun könnten
und auch meistens thun, in das hinein, was wir in
einem Einzelaugenblicke thun.
Diesenr nicht thatsächlichen, sondern abstrakt ver-
fälschten Eindruck, der aber eine Tendenz zur natura-
 
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