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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 14
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Norden, J.: Berliner Kunstschau
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Kunstchronik
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Nr.

Die Aunst-Halle

2(7

verzweiflungsvoll sich gegenseitig stoßenden, reißenden, zer-
tretenden Menschen wimmelnd, die, alle in Lebensgröße,
mit Hochlangenden Armen hinaufstreben, das Phantom in
der Lust zu erreichen; Lebemänner im Frack, Damen der
aroßen und der palbwelt in Ball- oder Promenadentoiletten,
Gelebrte und Dichter, die Arbeiterfrau und das Mädchen
aus dem Volke, der Fabrikarbeiter und der Schiffer u. s. w.
Oben auf der Felsenspitze sehen die Erfolgreichsten, daß es
keine Ruhe für sie giebt, kein „Vorwärts" und kein „Rück-
wärts" — nur ein Absturz in die gähnende Tiefe, wo die
bleichen Grabsteine eines Friedhofes schimmern: der einzige
Ruheort für diese Schaar der Glücksritter . . . Diese ge-
waltige Leistung des Pariser Meisters ist ja zweifellos ein
beredtes Zeugniß für Alles, was mit faustsicherm Können
zusammenhängt, aber sie ist eine That sowohl ohne tiefere
innere Berechtigung als auch ohne wirkliche malerische und
überhaupt höhere künstlerische Bedeutung. I. N.
Bei Gurlitt hat man aus Mangel an Novitäten die
vor ca. 2H Jahren gemalte „Kartoffelerndte" von Liebermann
und zwei ältere Aquarelle von Leistikow hervorgeholt. Ls
liegt wohl keine Veranlassung für die Kritik vor, diese
Sachen hier nochmals zu besprechen. Rühmenswerth ist
Favrettos, des verstorbenen Venetianers, figurenreiches
Genrebild „Frühling" und einige andere ältere Werke.
Zum ersten Male stellt ein Freiherr von Khaynach-Rom
aus und zwar dekorative Gemälde, die koloristisch hart,
zeichnerisch ungelenk sind. Besser ist er in seinen Pastell-
studien : Interieurs, Blumenstücken, Figuren, Köpfen
und namentlich Landschaften, die hier und da sogar intimes
Empfinden verrathen. Endlich sind ;7 Heliogravüren nach
Griginalzeichnungen von Gtmar Brioschi-Rom zu sehen'
Motive aus der Villa d'Lste. In minutiöser Aussührung,
ohne dabei irgendwie pedantisch und langweilig zu werden,
kann man schwerlich weiter gehen. I. N.
Bei Schulte ist die April-Ausstellung trotz vorgerückter
Saison sehr beachtenswerth ausgefallen. Es ist sogar eine
der besten Ausstellungen in diesem Winter. Zunächst sind
es zwei größere Kollektivausstellungen. Der Münchener
Thiermaler 6. Zügel hat über HO Gemälde aus jüngster
Zeit gesandt. Mir ist kaum ein anderer deutscher Maler
bekannt, der unter dem Einfluß der modernen Bewegung
seine künstlerische Physiognomie so verändert hat, wie Zügel.
Noch vor ;o Jahren, und damals schon weit und breit
bekannt und geschätzt, malte er mit der liebevollen Ver-
tiefung ins Einzelne auch seine Bilder. Dann aber wurde
er immer breiter, flotter, wuchtiger und seine urwüchsige
Kraft kam so noch besser, noch wirksamer zum Ausdruck;
ja der Reiz seiner Landschaftsmalerei trat eigentlich erst
jetzt so recht zu Tage. Diese tiefe Auffassung des Land-
schaftlichen, die feine Luft- und Lichtmalerei bildet einen
hervorstechenden Zug seiner „Thierstücke". So wird das
Ganze zu einem fesselnden Naturausschnitt von großer
Lebendigkeit. Das Ochsengespann am Pflug, der Karren-
gaul bei der Arbeit oder Siesta, die scheckigen Rinder aus
dem sonnenlichtdurchzitterten Waldwege oder an dem
schattigen Tümpel, die Schafe in drückender Mittagsgluth
auf der paide, das Pundegespann im weichen Schnee, die
Schweine im herbstlichen Nebel aus dampfender Flur —
wie lebt das Alles und gleichzeitig, wie fein ist es koloristiscb
empfunden. Zügel ist ein besonderer Meister in der Wieder-
gabe der Lichtreflexe und des spiegelnden Glanzes glatter
Felle. . . Und wie vielseitig ist er im Laufe der Jahre ge-
worden: ihm, der ursprünglich eigentlich nur Schafe malte,
ist jetzt jedes peerdenvieh gleich geläufig.
Im Gberlichtsaal bei Schulte ist auch die Ausstellung von
Wilhelm Steinhausen, Frankfurt a. M. Seine Samm-
lung von Steindrucken enthält wieder fast durchweg Lhristus-
Motive aller Art. Von besonderem Interesse sind dieses
Mal seine Gelgemälde, Porträts und Landschaften. Im
Figürlichen zeigt sich bei ihm, wie bei Thoma, ein Zurück-
gehen auf die altdeutschen Meister, zumal aus Lukas Lranach;
dafür ist z. B. der „Johannes der Täufer" bezeichnend.
Auch Steinhaufen malte einen „Nikodemus". Das ist nun
der vierte, den wir im Laufe eines Jahres zu sehen be-

kommen haben. Der schlichteste ist jedenfalls dieser Stein-
hausens. Von eigenartigem Reiz ist das große Gemälde
in bräunlichen und rothen Lemperafarben: „Abendfriede".
Ein Milletscher Stoff in selbstständiger Weise behandelt. Im
Landschaftlicher: nimmt sich Steinhaufen minder naiv als
Thoma aus. Sehr stimmungsvoll ist die „Abenddämmerung
in der Umgegend Wiens". Auf diesem Gebiet, wie auch sonst,
gewinnt der Künstler bei näherer Bekanntschaft immer mehr.
Von modernen Franzosen sind dieses Mal hier einige
gute Arbeiten zu sehen. Neben Billotte und Lazin ver-
treten die französische Landschaftsmalerei Poittevin iAbend
auf der weide), M. I. Iwill (Abendstern) und penry
Lerolle, mit zwei feinen Dämmerungsstimmungen, recht be-
zeichnend. Dann ist eine Judith von I. Penner da, die
von der weichen, verschwommenen Art des Künstlers einen
guten Begriff giebt. Als Figurenmaler thun sich auch
Al. Vollon und Max Guyon hervor. Der Luminist Ld.
Rosset-Granger malte ein junges Weib im pemde in rothen
Lampenscheinreflexen und ein Baby in blaurother Wiegen-
dämmerung. Eines der virtuosesten Bilder ist das von Luigi
Loech: „Erinnerungen an den «Oktober s8s>6", das Straßen-
Szenen von dem Illuminationstreiben zu Ehren des Zaren
festhält. Die Bewegung der Figuren, der warme farbige
Straßendunst, die malerischen Lichteffekte — das ist Alles
gleich vorzüglich und überzeugend gegeben mit den scheinbar
einfachsten Mitteln in breitester Vortragsweise. Auch kleine
Bilderchen zweier verstorbener Meister, Meissonier und
Neuville, sind zu sehen.
Von den übrigen Nummern der diesmaligen Aus-
stellung sei auf die Bildnißarbeiten von Julius v. Blaas-
Wien, Julius Kraut-Berlin (die Schauspieler paase und
possart, Beide in sehr charakteristischer Auffassung), vor Allen:
aber von pelene Frauendorfer-Mühlthaler, München,
aufmerksam gemacht. Diese Künstlerin gebietet über eine
gut entwickelte Pastelltechnik und malt in ihr Frauen-,
Mädchen- und Kinderköpfe und palbfiguren mit dem Ge-
schmack und der Grazie eines I. B. Grenze. Auch des
Italieners A. Leto sei gedacht, wenngleich seine Motive
von Lapri mitunter etwas gar zu Süßliches und Glattes
in der Behandlung haben. I. N.


KunstchronM.

* Berlin. Die Eröffnung der Großen Berliner
Kunstausstellung ^899 im Landesausstellungsgebäude
am Lehrter Bahnhof wird in diesen: Jahre erst am
Sonntag, d. 7. Mai stattfinden. Inzwischen ist die Jury
zusammengetreten, um täglich ihres Amtes zu walten. —
Mit den photographischen Aufnahmen für den Katalog
wurde die bekannte Firma Boll betraut und als Buch-
drucker erhielten die Firma p. S. perrmann den Zuschlag.
Das Plakat, ein einfaches, gut leserliches Schriftplaka't,
wurde in der Kunstdruckerei von Gtto von polten her-
gestellt. K. a. Kollektionen wird eine Serie von Bildern
des bedeutenden Thiermalers Schmitson ausgestellt
werden, welcher in den sechziger Jahren in Berlin wirkte
und damals als Bahnbrecher für Licht und Sonne, für
Realismus und Bewegung seinen Zeitgenossen vorauseilte.
Da seine seltenen Werke der heutigen Jugend, welche
glaubt, obige Eigenschaften erst entdeckt zu haben, ziemlich
unbekannt sind, so hofft die Kommission der Ausstellung,
damit einen besonderen Anziehungspunkt zu veranstalteu.
In der Ausstellung des „Verbands deutscher Illu-
stratoren", die einen Pauptsaal füllen wird, werden mit
Kollektivausstellungen vertreten sein u. a. A. v. Werner,
Kallmorgen, Perm. Vogel, Karl Gebrts (ch). Angemeldet
haben ferner von bekannten Illustratoren w. Friedrich,
Dettmann, Rens Reinicke, Simm und andere.
^Berlin. Aus den Kgl. Museen. Aus der
englischen Clinton Pope-Sammlung, die zum Verkauf
stand, erwarb der hier bestehende Kaiser Friedrich Museums-
Verein, indem er die Geldmittel leihweise bergab, für
 
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