Die Kunst-Halle (4.1898/1899)

Wummer 9.

Werkin, 1. Jebruur 1899.

IV. Juhrgung.

LeilrcbrM für Kunn unü IZunrigewerbe

Organ für die Interessen aller «Kikdenden Rünstker.

Herausgeber: Prof. Dv. Georg Gallanö.


Dseudo-Maturallsmus

er berühmte Ausspruch Dürers, daß die Kunst in der Natur
stecke und daß man, um sie zu besitzen, sie gleichsam aus der
Natur extrahiren müsse, ist oft mißverstanden worden, nicht nur
von Amateurphotographen, die das Rezept des Meisters heute zu haben
glauben. Zenes analoge ebenso bekannte Zitat von Michelangelo: die
fertige Statue stecke im Naturblock des Marmors und der Bildhauer
brauche sie nur geschickt herauszuschlagen, hat der Auffassungsgabe des
Durchschnittsverstands weit weniger Schwierigkeit bereitet. Die Statue
steckt zwar im Block aber nicht das künstliche Landschaftsbild in der Land-
schaft. Mit der Photographie des Apparats oder des menschlichen Auges
kann man wohl ein Stückchen Erdoberfläche sixiren, aussondern, doch
nicht zugleich das Problem Dürers absolut lösen. Denn er räth nicht:
schneidet hübsch sorgsam das Naturbild wie einen Bilderbogen in lauter
hübsche Stücke, parzellirt eine gewisse Gegend, schlachtet munter ihr
Panorama aus, sondern er spricht deutlich von „herausreißen", also
daß auch gleichsam eine verborgene Schönheit zu Tage gefördert werden soll.
Man hat da auch offenbar an einen Bestandtheil des Znnern zu denken, an
die belebende Macht der Dinge, mit einem Wort an die Seele der Natur-
schöpfung. And das ist es vor allem, was den Naturalismus, trotz der
Einwände, die man gegen ihn in der Regel aus ästhetischen und anderen
Gründen äußert, unter allen Umständen rechtfertigt, jenen Naturalismus,

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